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Islam und Menschenrechte

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Die Menschenrechte scheinen im Westen tief im Kurs gefallen zu sein. Dies ist für den Osten ein Grund zum Aufatmen; denn das Betonen der Menschenrechte durch den Westen betrachteten die Staaten des Ostens stets als Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten.

Wie stehen die nach islamischem Recht konstituierten Staaten zu den Menschenrechten? Ist im Gedanken- und Glaubenssystem des Islam über­haupt Raum für das, was wir im We­sten „Menschenrechte“ nennen?

Gerade zur rechten Stunde erschien „ .Ethik* im Islam“ von Peter Antes (in: „Ethik der Religionen“). Im fol­genden einige Gedanken nun daraus und dazu:

Seitdem das öl das „neue Schwert Allahs“ geworden ist, hat sich nicht nur das national-arabische, sondern das muslimische Selbstbewußtsein überhaupt stark gesteigert. Antes sagt daher zusammenfassend: „Endlich darf man die Maske fallen lassen und wieder ganz der sein, der man im Grunde des Herzens immer war.“

Wer war man und ist man im Inne­ren des Herzens immer noch? Welche in den letzten Jahrhunderten von Sand verwehten Ideale werden nun wieder sichtbar?

Im Abendland trat in Zeiten geisti­ger Wiedergeburt das Ideal des Hu­manismus immer neu in Sicht. Das. antike philosophische Denken legte die Fundamente zu dem, was wir heu­te Menschenrechte nennen: Der Mensch ist ein Wesen, das sich in Freiheit für Gut und Böse entschei­det. Die Norm seines Handelns, also die ethischen Prinzipien, sind ihm vorgegeben, da er auf das absolut Gu­te hin veranlagt ist.

In seinem Inneren trägt er ein Orga­non, das ständig mit dem Guten an sich in Verbindung steht. Sokrates nennt dies Syn-eidesis, „Mit-Wissen“, was unserem „Gewissen“ entspricht. Der Mensch hat kraft seiner Vernunft und seines Verstandes die Fähigkeit, die Gesetze des sittlichen Handelns zu erkennen; denn die Summe dessen, was wir Ethik nennen, ist in sein In­neres geschrieben (Paulus, Römer­brief). Auch der christliche Humanis­mus arbeitet mit rationalen Prinzipi­en; denn „Ethik ist eine philosophi­sche Disziplin, die systematisch die Maximen für das sittliche Handeln aus der Idee des Guten ableitet“.

Wie sieht nun der Islam den Men­schen?

Daß der Islam kein einheitlicher Block ist, dürfte durch die Ereignisse im Iran ins allgemeine Bewußtsein ge­treten sein. Die Spaltung in Sunna und Shia ist vordergründig erkenn­bar, doch kommen dazu noch zahlrei­che andere Abspaltungen. Aber in ei­nem sind sich alle Richtungen des Is­lam einig: die einzige Norm für das sittliche Handeln - also für das, was wir Ethik nennen - ist der Koran!

Sicher ist auch nach dem Koran der Mensch von Gott geschaffen worden. Doch dieser koranische Mensch leitet die Prinzipien des ethischen Handelns nicht aus-seinem Menschsein als sol­chem ab, denn was gut und böse ist, kann dieser nicht aus sich, mit den Kräften der Vernunft vernehmen, er bedarf vielmehr der unmittelbaren Mitteilung und Offenbarung Allah’s.

„Gut ist demnach stets das, was Allah zu tun befiehlt, und schlecht/

böse das, was er verbietet. Über die Gründe, die Allah zu der konkreten Qualifizierung bewogen haben, kann man nur Vermutungen anstellen. Je­denfalls gilt: Allah hätte in jedem Fall anders qualifizieren können. Sein Entschluß ist durch keine irgendwie geartete Seinsordnung (die doch der Humanismus als gegeben voraussetzt) vorprogrammiert und bedingt. Al­lah ist doch der Schöpfer von allem.“

Der Mensch wird also der Unmit­telbarkeit Allah’s unterstellt, was der fromme Muslim als Vorrecht empfin­det. Der übliche Spruch „in- ša’Allah“, „wenn Allah es will“, kann zwar als Ausdruck religiöser Ergeben­heit in den Willen Gottes verstanden werden, theologisch durchdacht, spricht er aber den Verzicht auf ratio­nales Denken aus.

Ethische Fragestellungen kennt da­her der Islam eigentlich nicht. Das soll aber nicht heißen, daß der Muslim die Unterscheidung von Gut und Bös nicht kennt; es besagt nur, daß er Gut und Bös nicht mit Verstand und Ver­nunft erkennen kann, sondern daß dies ihm von Allah geoffenbart sein muß.

Diese Offenbarung liegt aber im Koran vor, dessen Aussagen im isla­mischen Recht (saricah) je neu kon­kretisiert werden. Letzte Instanz ist daher nicht die menschliche Erkennt­nis, sondern das im Koran von Allah geoffenbarte Gesetz. An Stelle der hu­manen Ethik tritt demnach die Herr­schaft des Gesetzes (Nomokratie).

Die richtige Auslegung des Koran ist daher das Um und Auf, das Ein und Alles im Islam.

Hier stößt man dann auf die ver­schiedenen Deutungen. Es gibt auch muslimische Gelehrte, die die Aussa­gen des Koran und der Saricah mit der modernen Industriegesellschaft in Einklang zu bringen versuchen. In der heutigen triumphalistischen Stim­mung wird aber vieles als „islamisch“ erklärt, was mit Islam nichts zu tun hat, sondern lediglich anti-westlich bzw. anti-amerikanisch ist. '

Unser Anliegen ist es aber nicht, diese extremen Richtungen zu kenn­zeichnen, sondern mit wissenschaftli­cher Nüchternheit aufzuzeigen, wo der wesentliche Unterschied zwischen humanistischer und islamischer „Ethik“ aufklafft:

Für Menschenrechte ist nur im christlich fundierten Humanismus Platz, der dem Menschen genügend Freiraum zur selbständigen Entschei­dung zubilligt. In rein innerweltli­chen, totalitären Systemen werden die Prinzipien für menschliches Handeln - also für „Ethik“ - vom System pro­grammiert. Wer davon abweicht, be­gibt sich auf die Seite des „Bösen“.

Im Islam - das Wort wird philolo­gisch auch mit „total“ übersetzt - wird menschliche „Ethik“ der Totali­tät Allah’s geopfert.

Diese abstrakten Erkenntnisse dürften auch zur richtigen Einschät­zung der Zeitgeschichte beitragen. Hat es sich doch gezeigt, daß man auf der Basis der'allzu optimistisch de­klarierten Menschenrechte weder in den kommunistischen noch in den is­lamischen Ländern dem Menschen zu seinem Recht verhelfen konnte.

ETHIK DER RELIGIONEN. Ein Handbuch. Her- ausgegeben von C. H. Ratschow. Verlag W. Kohl­hammer, Stuttgart 1980. 450 Seiten, öS 520,-

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