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„Israel braucht Ordnung“

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„Wir saßen rings um das Lagerfeuer. Einer von uns hatte eine Gitarre mitgebracht. Wir sangen Lieder und erzählten Witze, wie zum Beispiel den: Schamir trifft sich mit Arafat und sagt: ,Ich habe Ihren Stellvertreter umbringen lassen, und das war nicht leicht. Was ist mit meinem Stellvertreter?“ (Bekanntlich ist Jizchak Schamir auf Schimon Peres nicht gut zu sprechen.) Dann grillten wir Fleisch, machten Unsinn, lachten viel. Es war der schönste Lag Beomer (ein Fest zur Erinnerung an den Bar-Kochba-Auf-stand) meines Lebens.“

Die das erzählte, ist die siebzehnjährige Ajelet; Schülerin der elften Klasse eines Tel Aviver Gymnasiums, die nächstes Jahr zwei Jahre beim Militär dienen muß.

Ajelet — Enkelin eines 1929 aus Polen eingewanderten Juden -diskutiert, wie ihre Mitschüler, nicht viel über Politik. Jeden Monat kommen Parlamentarier in

die Schule und sprechen vor den versammelten Klassen; jedesmal von einer anderen Partei. Wer besser überzeugen kann, dem gelten die Sympathien der Jugendlichen.

Die Intifada, der Aufstand der Palästinenser, wird in den Gesprächen kaum erwähnt. Die besetzten Gebiete sind so weit, auch wenn sie geographisch so nahe liegen.

Für Ajelet und ihre Generation ist der Judenstaat eine Selbstverständlichkeit. Man erhofft sich den Frieden — so wie jedermann hierzulande. Doch wie die Mehrheit der israelischen Jugend weiß auch sie nicht, wie man diesen erreichen kann. Die haßerfüllten Gesichter der Araber der besetzten Gebiete sind nicht allzu vielversprechend.

Die meisten Burschen in ihrer Klasse wollen sich zu kämpfenden Einheiten während ihres dreijährigen Militärdienstes melden. j3ie wollen sich als echte Männer beweisen.

Nur einer will den Dienst verweigern. Er glaubt, daß er es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren könne, etwa in den besetzten Gebieten Dienst zu tun. Ajelet ist gegen Dienstverweigerung. Sie. meint, daß es sich dabei um einen undemokratischen Akt handelt.

Der Schatten der Kriegsgefahr lastet auf ihren Schultern. Vielleicht könnte die verfahrene Politik zu einem neuen Krieg führen. Ajelets Generation muß dann eben wieder kämpfen. So wie ihre Altersgenossen bereits am Kampf gegen Freischärler im Norden teilgenommen haben. Erst dieser Tage wurden wieder drei junge Soldaten begraben. Sie ließen ihr Leben für die Sicherheit der Grenzen des Judenstaates im Mai 1988.

Die Jahre des Zweiten Weltkrieges waren für die Juden, die damals im englischen Mandatsgebiet lebten, Jahre des Kampfes, aber auch Jahre, in denen sie weit entfernt waren vom Holokaust und nicht wissen konnten, was sich in Europa wirklich abspielte, das von Hitlers Truppen gerade zertreten wurde.

Die jüdische Bevölkerung Palästinas mußte mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs umdenken lernen. Ähnlich wie die Araber wurden wir Natives — Eingeborene, zweitklassige Menschen. Unsere Forderungen auf freie Ein-

wanderung wurden mit der Veröffentlichung eines Weißbuches beantwortet, das die Rechte der Juden auf Einwanderung und Bodenkauf sehr einschränkte.

Die kleine jüdische Bevölkerung von etwa 500.000 Seelen schickte trotzdem rund 25.000 junge Leute als Freiwillige in die britische Armee. Allerdings als Eingeborene. So wurden sie zu Beginn des Krieges nur zu Pioniereinheiten zugelassen. Sie durften nicht in der Flotte als Besatzungsmannschaften dienen, desgleichen in keiner englischen Einheit. Erst gegen Ende des Krieges wurde auch eine jüdische Brigade zugelassen, die sich aktiv am Kampf beteiligen durfte.

Allerdings standen einige Kommandoeinheiten für palästinensische Juden offen, denn in diesen Selbstmördereinheiten war immer Not am Mann. Für diese jüdischen Soldaten war die englische Armee die Kriegsschule, um sich für die Armee des Judenstaates vorzubereiten (Seite 12).

Wir - die Jugend dieser Jahrgänge — waren uns sicher, daß es einen Judenstaat geben wird und daß wir für ihn kämpfen müssen. Es war dies eine1 Generation, die auf gegenseitige Hilfe angewiesen war, man fühlte sich wie eine größere Familie.

Als der damalige Befreiungskrieg ausbrach (1948), zogen wir in diesen in unseren eigenen Kleidern und Schuhen. Kaum einer hatte bereits eine Waffe. Auch die Offiziere hatten keine Uniformen oder Abzeichen. Erst einige Monate nach Kriegsbeginn bekamen wir an der Front Uniformen und Ausrüstung geliefert. Waffen trafen bei uns nur tröpfchenweise ein.

Wir hatten einen großen Traum und schwer zu kämpfen; doch hatten wir auch das einmalige Gefühl, uns wirklich für eine gute Sache geopfert zu haben. So war damals jeder Kriegsversehrte ein Nationalheld.

Als wir dann nach zwei Jahren als „alte Kämpfer“ entlassen wurden, mußten wir feststellen, daß es sehr viele gab, die es verstanden hatten, sich aus diesen Kämpfen herauszuhalten. Oft machten sie sich unentbehrlich in irgendeiner Kanzlei und waren immer dann zur Stelle, wenn es einen guten Job gab. Die Besseren waren so und so beim Militär.

Der erträumte Sozialismus (siehe nebenstehenden Beitrag), von dem damals die Kriegergeneration schwärmte, war gar nicht so sozialistisch. Im Gegenteil, es begannen die politischen Kämpfe, der Kalte Krieg.

Zur selben Zeit kamen Tausende Uberlebende des Holokaust nach Israel. Wir halfen mit, wo wir konnten. Jeder Neueinwanderer galt noch als unser persönlicher Gast Bald wurden es zu viele. Wir als Gründergeneration traten immer mehr in den Hintergrund.

Gegenüber den anderen haben wir etwas mehr: Wir haben das Gefühl, unserem Volk diesen Staat gebracht zu haben. Wir waren die Kämpfer der Befreiung und haben den wichtigsten Moment der jüdischen Geschichte der letzten Generationen mit unserem Leib und unserer Seele erlebt.

Auch die zweite Generation des Judenstaates ist eine Generation

der Kriege. Jahrelang war sie frustriert, denn sie hatte den Befreiungskrieg verpaßt und das Gefühl, nun gäbe es nichts mehr, wofür es sich lohnte, etwas zu opfern. Viele suchten ihr Glück im Ausland. Das waren die Jahre der ersten großen Auswanderungswelle.

Dann kam der Sechstagekrieg. Endlich konnte sich auch die zweite Generation beweisen. Israel wurde von einer Euphorie des Sieges und der darauf folgenden Überheblichkeit befallen.

Israels größter Sieg war auch das größte Unglück des Judenstaates. Plötzlich war Israel auch ein Großisrael mit den besetzten Gebieten (siehe Seite 12), aber auch ein Judenstaat mit einer riesigen rechtlosen arabischen Minderheit.

Die zweite Generation wurde zur Generation der Technokraten, der Leute, die am liebsten für sich arbeiteten. Von den Idealen des Befreiungskrieges sind nur noch Erinnerungen geblieben.

Diese Leute meinen, man sollte schon mit der PLO verhandeln, doch nur, wenn sie sich vom Terror lossagt, die UNO-Beschlüsse 242 und 338 sowie Israels Existenz-recht anerkennt. An erster Stelle müsse man wieder die Ordnung in Israel herstellen.

Heute geht die dritte Generation zum Militär: Für welche Zukunft? Wird die neue Generation in Frieden leben können, ohne Kriege und Kriegsgefahr?

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