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Israel: Mit der Inflation leben

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Schwindelnde Inflationsraten, enorme Preissteigerungen, drohende Streiks und Arbeitslosigkeit: Auch Israels Wirtschaft scheint nur mehr dem Prinzip des „Weiterwursteins” anzuhängen!

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Schwindelnde Inflationsraten, enorme Preissteigerungen, drohende Streiks und Arbeitslosigkeit: Auch Israels Wirtschaft scheint nur mehr dem Prinzip des „Weiterwursteins” anzuhängen!

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Elf Stunden lang tagte das Kabinett einige Tage vor Pfingsten in Jerusalem, um Israels marode Wirtschaft neu anzukurbeln. Der wichtigste Beschluß war die Bestätigung, das Regierungsbudget um umgerechnet 74 Milliarden Schilling zu kürzen. Wie das jedoch in die Tat umgesetzt werden soll, darüber sind nach wie vor die Meinungen der Regierung geteilt. Bei Regierungsantritt vor zehn Monaten wurde dieser Entscheid getroffen. Mit der Räumung des

Südlibanons wurden zwar rund 20 Mülionen Schilling pro Tag eingespart, doch dies ist zur Zeit fast alles.

Das große Lavi-Projekt, die Entwicklung und der Bau eines israelischen Kampfflugzeuges der neunziger Jahre, sollte aufgegeben werden. Dieser Plan wurde jedoch wieder zurückgestellt, denn dann wären plötzlich Tausende Ingenieure, Techniker etc. arbeitslos. Auch bei Schließung verschiedener nicht rentabler Firmen stellt sich ein ähnliches Problem. So versucht nun die Regierung mit allen Mitteln, den großen Textilkonzern „ATA” am Leben zu erhalten, obwohl er mit über 800 Millionen Schilling in den roten Zahlen steht. Rund 1.500 Arbeitsplätze sind gefährdet. Als das Budget des Unterrichtsministeriums gekürzt werden sollte, erhielten fürs erste 3.500 junge Lehrer Entlassungsbriefe und wieder kam eine Diskussion in Gang: Wenn man die Erziehung der jungen Generation minimali-siert, wie kann man dann in der technologischen Entwicklung des 20. und 21. Jahrhunderts Schritt halten?

Die Lehrer drohten mit Streiks, die Entlassungsbriefe wurden abgeschickt. Da man nicht wußte, was man mit den entlassenen Lehrern anfangen soll, blieb vorläufig alles beim alten, wie auf allen anderen Gebieten. Die Diskussion geht weiter, das Regierungsbudget ist immer noch nicht oder nur unmerklich beschnitten.

Dies war der Grund, daß der Großteil der Kabinettssitzung nicht mehr der Budgetbeschneidung gewidmet wurde, davon hat man schon längst abgesehen. Wirtschaftliche Restriktionen sollen mithelfen, Devisen einzusparen, die Regierungseinnahmen zu vergrößern, um so das Budget auszugleichen.

Auch hohe Regierungsbeamte sollen durch die Maßnahmen in Mitleidenschaft gezogen werden. Minister dürfen nur mit der Bestätigung des Kabinetts in den nächsten drei Monaten Dienstreisen antreten. Ministerialdirektoren und andere hohe Beamte können nur mit besonderer Erlaubnis des zuständigen Ministers Dienstreisen machen. Ferner soll der Versuch unternommen werden, eine Fünf-Tage-Woche in den Regierungsämtern einzuführen.

Nur die Produktionsarbeiter in der Industrie, Landwirtschaft, am Bau etc., die bereits 50 Prozent ihres Einkommens an Steuern ab-Hefern mußten, sollen eine Steuerermäßigung von zehn Prozent erhalten.

Nachdem schon Ende April der Preisindex um 19,4 Prozent angestiegen ist, werden die neuen Wirtschaftsrestriktionen das Leben hier weiter verteuern, sodaß ein Durchschnittseinkommen von 12.100,- Schilling pro Monat gerade ausreicht, um eine vierköpfige Famüie ernähren zu können. Wobei man damit rechnen muß, daß jeder Arbeitnehmer 45 bis 50 Prozent des Einkommens an Steuern und Sozialabgaben entrichten muß.

Inzwischen sind alle Läden für elektrische Geräte, Video- und Fernsehapparate etc. überlaufen. Die Supermärkte machen Uberstunden, denn die Israelis decken sich aus Angst, mehr zahlen zu müssen, mit allem Erdenklichen ein. Für diesen Zweck wurden auch Sparguthaben aufgelöst, um die Gelegenheit nicht zu versäumen, billig einzukaufen.

Nur schwer konnten sich die Minister entschließen, für die neuen Wirtschaftsrestriktionen zu stimmen, da es sich noch lange nicht um die gesuchte Lösung handelt. Doch Finanzminister Yitzhak Modai erklärte, daß alle Teillösungen zusammen einen Plan bilden, die Wirtschaft zu sanieren.

Nur Teillösungen

Inzwischen besteht in Israel immer noch ein Sozialabkommen zwischen den Gewerkschaften, dem Arbeitgeberverband, den Industriellen und der Regierung — zwecks Einfrierung der Preise und Löhne. Deswegen wurden nur 58 Produkte, nicht alle, zur freien Preisbildung freigegeben. Doch der Industriellenverband und die Gewerkschaften protestierten gegen diese neue Teuerungsquelle. Die Industriellen wollen die Preisfreigabe auf alle ihre Produkte ausweiten, die Gewerkschaften fordern nach wie vor eine vollständige Einfrierung der Preise.

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