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Israel: Sechs Tage im Jänner

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Mittwoch, 16. Jänner: Kommen die irakischen Raketen oder nicht, und wenn ja, wann? Diese Frage beschäftigt jeden Israeli, Araber wie Juden, Taxichauffeur wie Gemüsehändler, Militär wie Politiker. Die bisherige Ungewißheit hat einem Bild des Unvermeidlichen Platz gemacht. Man rechnet mit einem Raketenangriff noch heute, morgen, spätestens übermorgen. Im Radio

und Fernsehen wird dieses Thema ununterbrochen strapaziert und es werden genaue Verhaltensmaßnahmen bekanntgegeben.

Psychologisch ist Saddam Hussein ein gewisser Teilerf og beschieden. Ein wenn auch nicht großer Teil der Bevölkerung ist verunsichert und reagiert sogar mit Panik. Dies betrifft aber durchaus nicht nur die Juden. Gestern besuchte mich mein arabischer Bekannter aus einem der Dörfer bei Hebron und bat mich um Rat und Verhaltensmaßnahmen im Namen seiner Familie. Seine Frau sei beinahe hysterisch vor Angst.

Mein 36jähriger Bekannter hat sieben Kinder, in seinem Hause leben elf Personen. „Meine Frau sagte mir, am sichersten sei es, im Hühnerstall zu schlafen, was glaubst Du?" Ich versuchte ihn zu beruhigen und sagte, Saddam würde gar nicht die besetzten Gebiete angreifen. Er verabschiedete sich

von mir mit einer großen Dosis Skepsis.

Ein Lokalaugenschein im abendlichen Tel Aviv zeigt beinahe leergefegte Straßen. Im Hilton trifft man nur zwei verlorene Pärchen an, die Pianistin in der Bar ging bald nach Hause, um nach ihren Kindern zu sehen. Die Theater spielen weiter, aber vor halbleeren Sälen. Eine Ausnahme ist ausgerechnet das „Kaffee Bagdad", in dem sich traditionsgemäß die Luftwaffepiloten treffen.

Donnerstag, 17. Jänner: Ein Gefühl der Erleichterung! In Israel haben in dieser Nacht nur wenige geschlafen. Lauffeuerartig verbreitete sich die Nachricht über den Beginn der Feindseligkeiten. Freunde rufen mich um drei Uhr nachts an: „Es geht los!" Die Nachrichten aus Riad und Washington klingen optimistisch. Israelische Kommentatoren bezweifeln, ob es der Luftoffensive gelungen ist, tatsächlich alle Abschußrampen zu eliminieren. Im arabischen Lager herrscht eine niedergedrückte Stimmung.

Die meisten haben auf Saddam gesetzt und diese Karte scheint jetzt nicht zu stechen. Die Militärregierung schließt die Einfahrtsstraßen aus den besetzten Gebieten nach Jerusalem und verhängt Ausgangsverbot. In Israel werden mehr und mehr Stimmen laut, die die Politik der Europäer - besonders von Frankreich und Deutschland -verurteilen. Der Eindruck von Israel aus ist, daß die Europäer bereit seien, eine Verbindung der Kuweit-Frage mit Israel zu suchen und damit Saddam auf Kosten Israels

zu beschwichtigen.

Freitag, 18. Jänner: Saddam hat sein Versprechen wahrgemacht. In dieser Nacht landeten acht Raketensprengköpfe in dem am dichtest besiedelten Gebiet im Raum Tel Aviv. Allerdings war der Schaden relativ gering. Es gab glücklicherweise nur sieben Verletzte. Dieser Beschuß verleiht dem Krieg eine zusätztliche Dimension. Die Aktion Saddams ist militärisch völlig sinnlos, hat aber den politischen Zweck, die arabischen Staaten, die mit Amerika marschieren, von den Amerikanern abzuspalten und die ohnehin fragile Koalition zu treffen. Israel ist vorläufig bereit, sich den Bitten der USA zu fügen, betont jedoch gleichzeitig, daß es sich für das Leben seiner Bürger verantwortlich fühlt.

Samstag, 19. Jänner: Heute früh um 7.15 Uhr ertönten von neuem die Alarmsirenen. Acht irakische Raketen gingen wiederum im Raum Tel Aviv nieder. Außer Sachschaden gab es 17 Leichtverletzte, die fast alle noch am gleichen Tag aus den Krankenhäusern entlassen wurden. Während ein Teil der Einwohner Tel Avivs den Beschuß mit hartnäckigem Trotz und sogar mit einem gewissen Stolz erträgt, gab es eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Leuten, die einfach das Weite suchten.

Plötzlich wurde das Ferienparadies am Roten Meer Eilat aus seinem Dornröschenschlaf geweckt. Die Hotelmanger rieben sich vor Erstaunen die Augen als plötzlich einige tausend mit Kind und Kegel in den Lobbies erschienen, um

Zimmer zu bestellen. Andere Tel Aviver wiederum wichen in den Norden aus nach Tiberias und Galiläa. Es gab solche, die in die Dörfer und Kibbuzim in der Nähe des Gaza-Streifens fuhren, da sie annahmen, daß dort keine Raketen fallen würden.

Sonntag, 20. Jänner: Eine ruhige Nacht. Während des gestriger. Nachmittags landeten über 40 Riesenflugzeuge vom Typ Herkules in Israel, die im Abstand von wenigen Minuten Teile der Ant.i-Raketen-Batterien vom Typ „Patriot" brachten. Diese wurden in Windeseile zusammengesetzt und waren noch in der gleichen Nacht gefechtsbereit. Dies verlieh den Einwohnern Tel Avivs ein zusätzliches Sicherheitsgefühl. Die Schulen sind bereits den fünften Tag geschlossen und bleiben es auch bis auf weiteres. Obwohl die Stimmung im allgemeinen zuversichtlich ist, ist sie auch gleichzeitig nervös. Dies zeigt sich am klarsten in den Lebensmittelgeschäften, in denen große Mengen von Brotwaren, Konserven und Molkereierzeugnissen gekauft werden, sodaß bereits zu früher Morgenstunde die Fächer leer sind. Der zweite Besuch im Laufe eines Monats vom stellvertretenden US-Außenminister Lawrence Eagle-burger beweist, daß die Amerikaner um jeden Preis eine Gegenaktion Israels vemeiden wollen.

Inzwischen spricht man immer mehr von der Möglichkeit eines irakischen Raketen- oder Flugzeugangriffes mit chemischen Waffen. Das Militär warnt heute: Es ist noch lange nicht alles durchgestanden.

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