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Israel und das Beirut-Gemetzel

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Empörung und Entsetzen in der ganzen Welt rief das Gemetzel an geschätzten 1400 Palästinensern in den Flüchtlingslagern von Beirut hervor. Wie reagierte man darauf in Israel?

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Empörung und Entsetzen in der ganzen Welt rief das Gemetzel an geschätzten 1400 Palästinensern in den Flüchtlingslagern von Beirut hervor. Wie reagierte man darauf in Israel?

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Erst am Sonntag abend, am Ende der beiden Neujahrstage, wurde der gesamte Umfang des Massakers unter den Palästinensern in den beiden Westbeiruter Flüchtlingslagern bekannt, weil erst zu diesem Zeitpunkt die israelischen Korrespondenten nach Westbeirut kamen, die — wie alle Juden — zu den Neujahrsfeiern nach Hause gefahren waren.

Die Hauptschlagzeilen der beiden größten Abendzeitungen Israels brachten — wie in einem makabren Witz — am vergangenen Freitag, dem 17. September, noch das Zitat des Generalstabschefs: „Unser Einmarsch nach Westbeirut hat eine große Katastrophe vermieden...”

Am Montag, dem 20. September, waren dann nicht nur die israelischen Presseberichte, sondern auch die Leitartikel ausschließlich dem Massaker der Palästinenser in den Flüchtlingslagern Sabra und Schatila gewidmet. So berichtete die unabhängige Tageszeitung „Haarez” wie auch die größte Abendzeitung des Landes „Jediot Acharonot”, daß die Regierung am 16. September abend den Einmarsch der Falange-Milizen in die palästinensischen Flüchtlingslager zur Fahndung von PLO-Leuten bestätigt hatte, und die Milizen — in Ubereinstimmung mit der israelischen Armee — einmarschiert waren.

Was allerdings nicht bedeutet, daß die israelische Armee beziehungsweise die Regierung von den beabsichtigten Massenmorden gewußt hatte oder auch nur entfernt gutgeheißen hätte. Trotzdem schreibt „Haarez”: „Massenmorde gab es im Libanon auch in der Vergangenheit. Aber dieses Mal geschah es während Israels Besetzung von Beirut, und unsere ahnungslosen Soldaten umzingelten mit Panzern die Flüchtlingslager, während innen die Falange-Milizen tobten. Der moralische Fleck bleibt nicht nur an den von uns protegierten Fa-langisten hängen, sondern auch an uns Israelis.”

Im Leitartikel schreibt diese Zeitung weiter, daß die Umstände, die zu diesem schrecklichen Geschehen führten, auch Israel für den Tod Hunderter wehrloser Menschen, wenn nicht direkt, so doch indirekt verantwortlich machten. Als erstes fordert „Haarez” die Entlassung des Generalstabschefs Raf ael Eytan sowie des Verteidigungsministers Ariel Scharon.

In der auflagenstarken Zeitung „Maariv” schreibt der Chefredakteur des Blattes, der bis vor kurzem als Begin-Anhänger galt: „Wir müssen aufrichtig und stark genug sein, um vor allen Dingen zuzugeben, daß durch unseren Einmarsch nach Westbeirut, durch unsere Anwesenheit und durch das übertriebene Vertrauen, das wir in die Falange-Milizen gesetzt hatten, wir für das widerliche Pogrom in den Flüchtlingslagern mitverantwortlich sind.”

Weiter schreibt „Maariv”: „Die ganze israelische Bevölkerung ist ratlos und erschüttert von dem schrecklichen Anblick der entstellten, hingemetzelten Körper. Es ist zwecklos, die Opposition dafür verantwortlich zu machen, den Feinden Israels weitere Munition gegeben zu haben, weil sie ihrer Erschütterung Luft machte.” „Maariv” forderte den Rücktritt des Verteidigungsministers, ohne allerdings seinen Namen zu nennen.

Das Organ der Gewerkschaft und der Arbeiterpartei „Davar” schreibt: „Der Ministerpräsident kann während der jetzigen zehn Bußtage dreimal am Tage in die Synagoge gehen und beten. Trotzdem wird seine Schuld nicht gesühnt werden. Wenn es einen Gott im Himmel gibt, kann er diese Massenmetzeleien einfach nicht vergeben...”

Und die Zeitung fährt fort: „Es ist unwichtig, was der Papst oder der amerikanische Präsident sagen, oder was der Sicherheitsrat beschließt. Wichtig ist, daß wir selbst nun mit dieser entsetzlichen Untat leben müssen.”

Nur der Chefredakteur von „Jediot Acharonot”, ein persönlicher Freund Begins, schreibt: „Das Schlimmste von allem ist, daß unsere innere Opposition, nicht nur die Linksaußen, sondern auch die gemäßigte Arbeiterpartei, sich an die Spitze einer antijüdischen Bewegung gestellt hat. Kaum hat sich die Welt zum giftigen Kampf gegen uns gesammelt, entstand in Israel eine innere Opposition, um dieser antijüdischen Bewegung als Wegweiser zu dienen...”

Die einfachen Volksmassen, die wenig Zeitungen, höchstens die Uberschriften, lesen, verhielten sich indessen gleichgültig zum Massaker von Beirut. Nach wie vor verehren sie Begin und seine Regierung und glauben an seine Führung.

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