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Ist Australien Asien?

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,,Tito Witlam“ nannten ihn die indischen Journalisten. ..Ist Australien Asien?“ fragte Kalkuttas größte Tageszeitung „States-män“. Den Namen und die Frage provozierte Australiens Ministerpräsident bei seinem offiziellen Besuch in Indien. Das Crescendo seines Asien- und Regionalbekenntnisses brachte ihn nicht nur in Indien um die Glaubwürdigkeit.

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,,Tito Witlam“ nannten ihn die indischen Journalisten. ..Ist Australien Asien?“ fragte Kalkuttas größte Tageszeitung „States-män“. Den Namen und die Frage provozierte Australiens Ministerpräsident bei seinem offiziellen Besuch in Indien. Das Crescendo seines Asien- und Regionalbekenntnisses brachte ihn nicht nur in Indien um die Glaubwürdigkeit.

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Witlam steht vor einer schweren Aufgabe. Der Labour-Ministerpräsident muß die Überheblichkeit seiner Vorgänger, den Rassismus der traditionellen Asienpolitik Australiens, aus der Erinnerung der asiatischen Nationen verdrängen. Er veränderte den Asienkurs Australiens um 180 Grad, um mehr als 180 Grad. Der Kern seiner neuen Asienpolitik ist das Streben nach einer

Asien-und-Pazifik-Regionalorgani-sation. „Als Beispiel gilt die Organisation der Afrikanischen Einheit“, sagt Witlam selbst. Wenige asiatische Staaten glauben, daß das Beispiel glücklich gewählt ist. Man weiß um Australiens Feindschaft mit Lee-Quan-Yew, dem Labour-Ministerpräsidenten von Singapur. In Indonesien hat man Witlams Besuch und Vorschlag nicht sehr ernst genommen. Und die technischen Kooperationsvorschläge seines linken und seit Jahrzehnten chinaenthusiastischen Handelsministers Dr. Jim Cairns versanken in Peking im chinesischen Schweigen.

Nach der wenig erfreulichen Anlaufzeit in Ost- und Südostasien zog Witlam in Indien alle Register. Man glaubte, ein Tonband au9 der Zeit Nehrus und Sukarnos zu hören. Der Gast sprach der Gastgeberin nach dem Mund. Im gemeinsamen Abschlußkommunique stach die Handschrift Indira Gandhis hervor. Für die indische Presse war das alles etwas zuviel. Sie registrierte stolz die Souveränität Indiens und verhielt sich zu Witlam sehr freundlich, aber unverbindlich. Denn sobald die Probleme Asiens in den Hintergrund und die Probleme Indiens in den Vordergrund traten, enttäuschte der Gast.

Witlam kam in einer bösen Zeit nach Indien. Im Inneren der Republik zerrte die Dürre an Nerven und Vorräten. Große Teile des Mittelstandes sind durch Inflation und Arbeitslosigkeit gefährdet. Außenpolitisch belastet das Remis bei den Friedensbemühungen mit Pakistan und verstohlen hält man nach Verbindungen Ausschau, die Peking bewegen könnten, durch Interventionen in Islamabad zur Entkrampfung der Situation beizutragen.

Witlam konnte keine Getreide-und Reislieferungen versprechen. (Wie die USA in die UdSSR, hat Australien nach China die Getreideüberschüsse geliefert.) „Nächstes Jahr vielleicht, wenn die Ernte gut ist“, meinte er vage. Und trotz seiner neuen Asienpolitik wehren sich in Australien Gewerkschaften und Veteranenorganisationen gegen die Immigration von Asiaten — besonders von Indern — als Hilfe zur Linderung der wachsenden Arbeitslosigkeit im akademischen Mittelstand.

Als Rekommandation und als Legitimation für den Eintritt Australiens in den politischen Raum der asiatischen Staaten legte Witlam das übliche Vokabular des Antiamerikanismus und dea Neutralismus vor — freilich ohne Australiens Bindungen, Wie ANZUC, preiszugeben. Er werde aber die USA zur Räumung ihrer Stützpunkte auf australischem Territorium, dem North West Cap, bewegen; das werde Australiens Beitrag zur Befreiung der Region von den Stützpunkten der Großmächte sein — es müßten aber nicht nur die

Stützpunkte aufgelassen, sondern auch die Marineeinheiten zurückgezogen wetden. Der Indische Ozean müsse ein Friedensmeer werden.

Niemanden konnte es verwundern, daß Witlams indischer Gesprächspartner der US-Flotte die Schuld an der beunruhigenden Macht- und Interessenkonzentration im Indischen Ozean und um den Indischen Ozean gab und auf die chinesische Gefahr in diesem Raum hinwies. Schuldlos daran, und nur als Schutzmacht engagiert, ist die UdSSR. In dieser Zeit der Rüstung des Iran, Kuweits, Saudi Arabiens mit US-Hilfe muß Indira Gandhi, auch wenn sie über das „Friedensmeer Indischer Ozean“ spricht, fest und überall sichtbar auf dem Boden des indisch-sowjetischen Bündnisses stehen.

Für die südostasiatischen Nachbarn Australiens war Witlams Werben um Indien ein Alarmzeichen zur Vorsicht. Indien ist schließlich mit der UdSSR verbündet und mit China eher verfeindet. Witlam ist nicht nur an dem unasiatischen Ungestüm seines Ehrgeizes gescheitert, sondern auch an der Realität. In Südostasien ist eben China die Realität, mit der alle Staaten rechnen müssen. In Indien ist die UdSSR der Bündnispartner, an den man sich klammern muß. Der Indische Ozean wird immer weniger ein Meer des Friedens und immer stärker das Meer der konzentriertesten Gegensätze der Weltmächte. In dieser Situation erwartet niemand in Asien einen Neh-ru oder einen Sukarno — schon gar nicht aus Australien.

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