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Ist das Gute zu langweilig ?

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In diesen Tagen, in denen die Bilder von der schrecklichen Erdbebenkatastrophe in Armenien die internationalen Nachrichtensendungen beherrschen, in diesen Tagen also führt sich die Diskussion, ob nur schlechte Nachrichten die Aufmerksamkeit und das Interesse das Publikum fesseln können, ad absurdum.

Als „Macher“ von Informationssendungen wird man sonst ohnehin oft genug darauf angesprochen, ob es denn wirklich notwendig sei, der Öffentlichkeit, die ja die Nachrichtensendungen des Fernsehens weiterhin mit größter Glaubwürdigkeit ausstattet, die Scheußlichkeiten des Tages, auch im übertragenen Sinne, nach dem Nachtmahl direkt ins Wohnzimmer zu liefern. Die Antwort ist in solchen Fällen immer gleichermaßen kurz wie letztlich unverbindlich. Ja, sagt man dann immer, ja, das Publikum verlangt es doch offenbar so.

Die ORF-eigene Meinungsforschung liefert dazu auch gleich eine Argumentationshilfe, die freilich zwar nicht mehr nagelneu ist, aber in wahrscheinlich kaum veränderter Form auch noch heute erhoben werden könnte: eine breite Mehrheit von achtzig Prozent der Zuschauer ist nämlich mit dem Umfang wie auch mit der

Darstellungsform schlechter Nachrichten in den aktuellen Informationssendungen durchaus einverstanden, nur vierzehn Prozent der Zuschauer wollten derartige Beiträge auf kurze Meldungen ohne Filmberichte reduziert sehen, und nur vier Prozent wollen auf solche Beiträge überhaupt verzichten.

Selbstkritisch ist hier allerdings anzumerken, daß man sich gelegentlich auf dieses vom Meinungsforscher bestätigte Gefühl doch allzuleicht verläßt. Die Welt, zum elektronischen Dorf geworden, liefert vierundzwanzig Stunden hindurch Anlaß genug für packende und erschütternde Bilder, mit denen sich die internationalen Fernsehanstalten im Zeitalter der Satelliten ohnehin längst gegenseitig Konkurrenz machen. Oft genug ist in den eigenen Redaktionskonferenzen als letztes Argument zu hören, man möge doch ein bestimmtes Thema, dessen Nachrichtenwert an sich gar nicht so groß wäre, zum „Aufmacher“ machen, wo doch die Bilder so aufregend seien.

Also: Die Lust der Fernsehredakteure am Entsetzen? Gewiß, man entwickelt in diesem Beruf einen ähnlichen Zynismus, wie ihn die Ärzte angesichts des Ubermaßes an menschlichem Leid als Schutz gegen eigene Emotion, gegen eigenes Gefühl, entwickelt haben. Das läßt den Fernsehjournalisten manchmal weniger empfindlich gegenüber Nachrichten werden, als er es eigentlich sein sollte.

Die private Konkurrenz ist ebenfalls nicht gerade in der Lage, die Zurückhaltung der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten zu fördern — eine Diskussion, die in der Bundesrepublik Deutschland schon längst im Gange ist, spätestens seit der Bergwerks-Katastrophe vom Sommer 1988, als sich die Nachrichtenredaktionen privater Programm-Macher vor allem auf das Leid der Hinterbliebenen stürzten, mit der scheinheiligen Begründung, daß sich eben daran erst eine Tragödie so richtig darstellen ließe.

Da es dem kommerziell betriebenen Rundfunk aus materiellen

Gründen darum geht, möglichst hohe Einschaltquoten zu erzielen, ist er zweifellos mit weniger Hemmungen behaftet als der öffentlich-rechtliche Sender, dessen Berichterstattung sich an festgeschriebene Grundsätze zu halten hat.

Der Praktiker hat es also leicht und schwer zugleich, wenn er sich damit auseinanderzusetzen hat, warum gute Nachrichten denn immer „fad“ sein müssen. Die Redaktionen sind chronisch unterbesetzt, sodaß Redakteure unter dem täglichen Produktionsdruck kaum in der Lage sind, darüber nachzudenken, ob das Bilderangebot nicht überhaupt die Gesamtdarstellung der Wirklichkeit so verzerrt, daß das, was in me-dienabgewandten Diktaturen geschieht, in den Nachrichtensendungen einer Fernsehanstalt einfach nicht mehr vorkommt.

Die monströse Aus- und Umsiedlungspolitik der rumänischen Führung etwa war deshalb immer wieder nur ein Thema am Rande, weil es der rumänischen Diktatur ohne besondere Mühe geglückt war, westlichen Fernsehteams, die kritisch berichten wollten, die Einreise zu verwehren. Und so passiert es uns fast täglich, daß tolle Büder mit zweit-, wenn nicht drittrangigem Informationswert eine Wortmeldung aus dem Nachrichtenblock verdrängen, deren Inhalt gewichtiger wäre als die erwähnten Sensationsbilder.

Wo bleibt sie also, die gute Nachricht? Wird sie wirklich durch Sensationsmacherei verdrängt? Vielleicht ist es nur eine Frage der Definition, der Abgrenzung, die uns die Antwort auf diese vom Zuschauer immer wieder gestellte Frage so schwermacht.

In allen Ländern werden die Informationsleute von ihrem Publikum immer wieder danach gefragt, ob denn nicht „Erbauliches“ die Fülle von täglichen Schreckensmeldungen einigermaßen ausgleichen könnte. Aber, so frage ich, was hätte denn eine gute Nachricht wie „heute sind sämtliche Züge im Wiener Westbahnhof pünktlich angekommen“ gegen dramatische Bilder von einem Eisenbahnunglück für eine Chance?

Der Autor ist Chefredakteur des ORF-Fernsehens.

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