7018870-1988_37_14.jpg
Digital In Arbeit

Ist das Risiko abzuwägen?

Werbung
Werbung
Werbung

Entgleitet die Gentechnik dem Menschen? Die Frage ist berechtigt und muß gestellt werden... Eingriffe in die menschliche Erbsubstanz sind gezielt heute noch nicht möglich. Sie werden aber in etwa zehn bis 15 Jahren möglich sein, und darauf müssen wir uns vorbereiten...

Unser Handeln muß bestimmt sein, und darauf müssen wir uns vorbereiten... kunft?

Dies ist aber eine Forderung, die von jedem Menschen verlangt, ein Messias sein zu können oder dem richtigen Propheten zu folgen. Wer ist aber der rechte Messias, der uns sagen kann, was die Gentechnik uns in Zukunft bringen wird? Ist es Erwin Chargaff, der vom „molekularen Auschwitz“ sprach? Ist es Jerry Rubin, der gesagt hat, daß eine geringe Wahrscheinlichkeit existiert, daß etwas schiefgeht, aber wenn es schiefgeht, auch ein extrem hohes Risiko entsteht? Oder ist es Joshua Lederberg, wenn er sagt, daß diese Probleme gelöst werden können?

Erlauben Sie mir, mit Ihnen einen Blick in mein Labor zu werfen, um eine der Aufgaben der Gentechnik an einem konkreten Beispiel zu definieren. Ich befasse mich mit einer Krankheit, die insbesondere Erwachsenen, die das 65. Lebensjahr überschritten haben, intellektuell unfreiwillig in die Kindheit zurückzwingt, zum Säugling zurückverwandelt.

Sie müssen gefüttert, gewickelt, gewaschen, getragen werden. Patienten, die dieses Stadium der Alzheimer'schen Krankheit erreicht haben, haben einen fünf-bis zehnjährigen Leidensweg hinter sich.

Etwa ein Prozent der Bevölkerung der westlichen Welt, die das sechste Lebensjahrzehnt überschritten hat, leidet an dieser Krankheit — und 100 Prozent aller Down-Syndrom-Patienten.

Ich halte diese Krankheit für nicht akzeptabel. Sie sollte auf keinen Fall als „normales Altern“ angesehen und geduldet werden, da sie des Menschen Persönlichkeit zerstört.

Was geht in den Gehirnen vor? Nervenzellen und ihre Verbindungen, die die biologische Grundlage unseres Gedächtnisses repräsentieren, lösen sich auf, verschwinden. Dieser Vorgang ist dem „Kabelbrand“ in einem Computer vergleichbar, der zu Funktionsausfall führen kann.

Der „Kabelbrand“ kann im Mikroskop indirekt verfolgt werden, denn er hinterläßt eine Art „Asche“, Eiweißablagerungen, die in den Gehirnen verstorbener Patienten gefunden werden.

Die meisten Down-Patienten haben drei statt der normalen zwei Chromosomen 21. Daher wird angenommen, daß das zusätzliche Chromosom 21 mit seinem Gen für die Ablagerungen verantwortlich sein könnte.

Wir hoffen, in Zukunft diesen „Kabelbrand“ rechtzeitig verhindern zu können.

Wir können nicht ausschließen, daß auf dem Weg der für die Therapie notwendigen Ursachenforschung bezüglich dieses „Kabelbrands“ Ergebnisse erzielt werden, die für eine „Intelligenzbestimmung“ mißbraucht werden könnten. Dies wäre jedoch keine Problematik der Gentechnik, sondern der mißbräuchlichen Anwendung eines „Produktes der Gentechnik“. Letzteres muß daher einer strengen Kontrolle unterworfen werden.

Was sein darf und was nicht, bedarf der Entscheidung. Entscheidungshilfe kann nur eine Abwägung des Risikos sein. Risiko wiederum ist das Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit, Schadensgröße, Menge, Zeit und Akzeptanz. Für eine derartige Abwägung brauchen wir jedoch die Vermehrung des Erkenntnisstands für diese Parameter, die uns aber nur eine freie, verantwortungsbewußte Grundlagenforschung unter Einschluß der Methoden der Gentechnik garantiert.

Der Autor ist Professor für molekulare Biologie der Universität Heidelberg, sein Beitrag ein Auszug aus einem Vortrag in Alpbach am 22. August 1988.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung