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Ist das Wetter noch normal?

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Nicht nur der April „macht, was er will", auch sonst spielt das Wetter in unseren Augen manchmal verrückt. Sind daran langfristige Klimaveränderungen schuld?

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Nicht nur der April „macht, was er will", auch sonst spielt das Wetter in unseren Augen manchmal verrückt. Sind daran langfristige Klimaveränderungen schuld?

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In den letzten Monaten häuften sich Berichte über Wetterkatastrophen: ergiebige Schneefälle auf den Britischen Inseln und in Nordamerika, damit verknüpfte Verkehrskatastrophen mit Dutzenden von Toten. In Spanien dagegen eine lange Trockenperiode, die schließlich von Überschwemmungen abgelöst wurde. Uber dem Nordatlantik und Nordwesteuropa schwere, anhaltende Stürme und als eine der Auswirkungen das Versinken einer Bohrinsel im Meer. In Australien extreme Hitze und schwere Tropengewitter.

In Österreich ist gerade ein strenger und extrem langer Winter zu Ende gegangen: Es gab Lawinenkatastrophen, eine strek-kenweise vereiste Donau, Glatteis mit Massenkarambolagen, Föhnstürme mit schweren Sachschäden. Unter dem Eindruck dieser scheinbar immer unwirtlicher werdenden und sprunghaft wechselnden Wetterverhältnisse, von denen auch die sogenannten „gemäßigten Breiten" keineswegs verschont werden, kommt die Frage auf, ob man unter diesen Umständen überhaupt noch von normalen Wetterverhältnissen sprechen kann.

In Europa gibt es seit mehr als 200 Jahren exakte Meßdaten, zumindest von den Hauptparametern des Wetters, das sind Temperatur, Luftdruck und Niederschlag, die meteorologischen Jahrbüchern entnommen werden können. In Einzelfällen reichen die meteorologischen Aufzeichnungen bis 1670 zurück. In der Zeit der „vorinstrumentellen Wetterbeobachtung" wurden nur große Wetterereignisse wie Dürre, Überflutungen, extreme Kälte-und Hitzeperioden in Chroniken verzeichnet.

Die Wjener instrumenteilen meteorologischen Beobachtungen zu den drei Terminen 7,14 und 21 Uhr begannen 1775. Sie wurden seither selbst im Bombenhagel der Jahre 1944 und 1945 niemals unterbrochen. In Kremsmünster, Oö, wurde bereits 1763 mit systematischen Beobachtungen von Temperatur und Luftdruck begonnen.

Mit Hilfe dieser archivierten, in Jahrbüchern gedruckten exakten Aufzeichnungen kann sich jedermann sofort davon überzeugen, daß es große bis extrem sprunghafte Schwankungen des Wetters zwischen warm und kalt auch in früheren Jahren gegeben hat, ja daß diese großen Pendelausschläge der meteorologischen Parameter geradezu der Normalzustand in unseren mittleren Breiten sind. Man wird in der mehr als 200 Jahre langen Wiener Meßreihe vergeblich ein konstant verlaufendes Wetter oder ein Wetter finden, das sich mit kontinuierlich ansteigenden Temperaturen vom Winter zum Sommer fortentwik-kelt bzw. mit kontinuierlich sinkenden Temperaturen vom Sommer zum Winter zurückkehrt.

Merkwürdigerweise würde aber ein kontinuierlicher Wetterablauf, den es bei uns kaum gibt, allgemein als „normal" angesehen werden, während das mit großen Ausschlägen um den „Normalwert" pendelnde realistische Wetter als „verrückt" angesprochen wird.

Der Verlauf des Wetters vom Winter zum Sommer ist schon immer von häufigen und empfindlichen Kälterückschlägen begleitet gewesen. Unseren ländlichen Vorfahren war dies geläufig, sie haben es in Bauernregeln zum Ausdruck gebracht, daß es im März noch einen „Märzwinter", im April unbeständiges Wetter mit Schnee, im Mai „Eismänner", im Juni die „Schafskälte" gibt und auch der Juli noch ein erheblich gestörtes Sommerwetter aufweisen kann (Regen am „Siebenbrüder-Tag", 10. Juli). Auch der Ubergang vom Sommer zum Winter geschieht mit „Wärmerückfällen" (Altweibersommer, Allerheiligensommer, Weihnachtstauwetter).

Vier streng voneinander abgegrenzte Jahreszeiten, die es zu Großvaters Zeiten, „als das Wetter noch normal war", gegeben haben soll, sind Legende. Schon immer hat der Winter Auswirkungen bis tief in den Sommer hinein gehabt und schon immer hat der Sommer in den winterlichen Wetterverlauf eingegriffen.

Diese Wetterpendelungen sind nicht etwa Anomalien, die mit irgendwelchen Auswüchsen unserer Zeit (Luftverunreinigungen, Düsenjets, Raketenstarts, Spraygasen usw.) zusammenhängen, sondern sie sind eine Folge ganz normaler physikalischer Prozesse in der Atmosphäre, die es in diesem Ausmaß immer gegeben hat, seit es auf der Erde ein Wetter gibt, die aber schon immer von den betroffenen Menschen als abnorm empfunden worden sind.

Schon im „Sommernachtstraum" läßt Shakespeare im 2. Akt, 1. Szene, die Titania sagen: „Verändert sehen wir durch diese Störung

die Jahreszeiten; silberhaar'ge Fröste

fall'n in der Purpurrose frischen Schoß,

und um des alten Winters kalten Scheitel

und Bart von Eis ward ein duftreicher Kranz

von Sommerknospen wie zum Spott gewunden. Der Lenz, der Sommer, der zeitigende Herbst

und zorn'ge Winter wechseln ihre alte

gewohnte Tracht, und die erstaunte Welt

erkennet keinen mehr an Art und Weise. quot;

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