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Ist Demokratie einfach?

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Die Wahl vom 6. Mai wird - wie immer sie ausgehen mag - einen in vieler Hinsicht neuen Nationalrat zur Folge haben. Nicht nur, daß schon die Kandidatenlisten bewirken, daß in der nächsten Gesetzgebungsperiode ungefähr jeder fünfte Abgeordnete ein „Neuer“ sein wird. Schwerer wiegt, daß in diesem Nationalrat kein Mitglied Sitz und Stimme haben wird, das schon nach einer der drei ersten Wahlen der Zweiten Republik - also 1945,1949 und 1953! - dem Hohen Hause angehört hat.

Für viele Beobachter unseres politischen Lebens ist dies Anlaß zu der Vermutung, daß mit dem neuen Parlament auch eine neue Politik durchbrechen könnte. Die „Lust am Neuen“ ist allerdings ein Charakteristikum unseres politischen Lebens geworden. Schon die zu Ende gehende Gesetzgebungsperiode hat gezeigt, wie schwer es ist, im steten Wandel alles Vorläufigen und (mit Recht) Veränderbaren das Wesentliche bleibend zu bewahren. An Grundsätzen festzuhalten, ist nicht gerade eine Stärke unserer Zeit.

So ist es vielleicht mehr als ein bloßer Zufall, daß eine der letzten gesetzgeberischen Taten des alten Parlaments der Änderung der verfassungsrechtlichen Bestimmungen über die parlamentarische Immunität gewidmet war und daß nur die vorzeitige Auflösung des Nationalrates das Zustandekommen einer ganzen Reihe anderer Verfassungsänderungen verhinderte.

Mehr noch als das dauernde Herumbasteln an der Grundordnung unseres Staates sollten allerdings gewisse Schlagworte, die derzeit zur politischen Mode zählen, Anlaß zur Besinnung bieten. Vor allem im Gefolge der ersten Volksabstimmung über das Atomkraftwerk Zwentendorf gehörten so attraktive Begriffe wie „mehr direkte Demokratie“ und „einfacher leben“ zum Reportoire der Sympathiewerbung zahlreicher Politiker.

Nun sind „politische Aktivierung“ und „Bürgernähe“ zweifellos erstrebenswerte Ziele jedes demokratischen Systems. Trotzdem können sie aber auch zum gefährlichen Sprengsatz eines jeden solchen werden, wenn mit ihnen zu naiv hantiert wird. Dafür gibt es aus diversen „Bürgerinitiativen“ schon einiges Anschauungsmaterial.

Es ist psychologisch verständlich, daß der einzelne Bürger am leichtesten dann politisch aktivierbar ist, wenn in irgendeiner Form seine ureigensten Interessen betroffen werden. Im Gegensatz dazu erstrebt die parlamentarische Demokratie die Verwirklichung des Gemeinwohls in möglichster „Unbefangenheit“. Ein Parlament, das ein Gesetz beschließt, trifft nicht eine Einzelentscheidung, sondern schafft eine generelle Norm,, der dann alle in gleicher Weise unterworfen sind. Das ist das Wesen eines parlamentarischen Rechtsstaates.

Die Katholische Soziallehre hat hiezu noch den Begriff des „Gemeinwohls“ beigesteuert. Es ist nun gar kein Zweifel, daß in unserer unvollkommenen Welt das Einzelinteresse und das Gemeinwohl in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander stehen. Den (Berufs-)Politi-kern ist es aufgetragen, das Gemeinwohl nach bestem Wissen und Gewissen zu verwirklichen.

Auch das ist in unserer unvollkommenen Welt niemals „perfekt“ möglich; vor allem ergibt sich das Gemeinwohl nicht aus einer bloßen Summierung aller Einzelinteressen. Es ist in der Demokratie „das größte Glück der größten Zahl“, das zu finden Aufgabe und Wert der vom Volk hiezu berufenen Politiker ausmacht.

Schon diese Überlegungen zeigen, daß die moderne Demokratie kein einfaches System sein kann. Das Leben in unserem Jahrhundert ist nun einmal auf allen Gebieten kompliziert, wie sollte es da in der Politik anders sein?! Darum ist auch das Schlagwort vom „einfacheren Leben“ vom Standpunkt einer politischen Psychologie nicht ganz ohne Brisanz.

Allzu leicht könnte man darunter verstehen, daß es eine politische Zielsetzung wäre, dem einzelnen Bürger das Leben einfacher zu machen. Was aber kann dies alles bedeuten? Einerseits, daß der Staat in weniger Angelegenheiten reglementierend eingreift; das mag erfreulich sein. Es kann aber auch bedeuten, daß der Staat ohne Bindung an Gesetze zu agieren versucht; und das würde mehr Bürokratie an Stelle von Demokratie zur Folge haben.

Einfachheit ist also an sich noch kein demokratischer Wert. Einfach gemacht wurde in der vergangenen Gesetzgebungsperiode schließlich auch so manches, wogegen christliche Bürger unseres Staates schwerste Besorgnisse hegen: die Abtreibung und die Ehescheidung. Einfacher wurde durch den Konsumentenschutz auch der Rücktritt von bereits geschlossenen Verträgen.

Ob eine Politik, die bindenden Verpflichtungen auf solche Weise ihre Dauerwirksamkeit nimmt, überhaupt noch als Grundsatzpolitik gelten kann, wird wohl erst die Geschichte lehren.

Der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmid - als „Mächer“ verschrieen, aber als gläubiger Protestant von doch wesentlich mehr Tiefgang als so mancher nach Re-Ideolo-gisierung rufender Politiker - hat mit Recht einmal darauf hingewiesen, daß der Staat durch ein Grundrecht nur das schützen könne, was in der Gesellschaft als Grundwert überwiegend Anerkennung findet. Und er betonte ausdrücklich, daß die Pflege der Grundwert-Uberzeugungen in der Gesellschaft vor allem Aufgabt! der Kirchen sei.

Wer also klagt, daß die gegenwärtige Politik so wenig an Grundwerten und Grundsätzen ausgerichtet ist, konstatiert damit gleichzeitig, daß es den christlichen Kirchen offenbar nicht mehr gelingt, in unserer Gesellschaft gewisse fundamentale Wertüberzeugungen wirksam zu erhalten. Das aber ist nicht zuletzt auch ein politisches Problem. Im übrigen kann nur historische Unkenntnis übersehen, daß die politische Kultur der westlichen Demokratien (Personwürde, Gleichheit der Menschen usw.) auf säkularisiertem christlichem Gedankengut beruht, und nur politische Gedankenlosigkeit vermag anzunehmen, daß sich diese Grundwert-Uberzeugungen gewissermaßen selbst „reproduzieren“.

Die Entchristlichung des öffentlichen Lebens hat daher zwangsläufig eine „Desozialisation“ unserer öffentlichen Ordnung zur Folge. Und damit die vorstehenden Ausführungen nicht als „Konservatives Manifest“ mißverstanden werden: Nicht eine „sozialistische Ethik“ ist schuld an der Entvölkerung unserer Kirchen, sondern jene „aufgeklärte“ Mixtur aus ein bißerl Freudscher Psychologie, positivistischer Erkenntniskritik, relativierendem Historismus, schlecht verstandener Soziologie, dafür aber wohlverstandenen ökonomischen Interessen, die den spätbürgerlichen Liberalismus unserer Tage ausmacht.

Das sich politisch emanzipierende Bürgertum der klassischen Aufklärung war da noch wesentlich einsichtiger, da es an Stelle des Christentums wenigstens eine Vernunftreligion etablieren wollten, wohlwissend, daß ohne transzendente Bindung „der Mensch den Menschen zum Wolf' werde.

Wie sagte aber der Begründer der modernen „Politischen Theologie“, Professor Johann B. Metz, auf dem Deutschen Katholikentag 1978: „Ich gehe von der Vermutung aus, daß die Kirche an Strahlkraft nicht deswegen eingebüßt hat, weil sie zu viel fordert, sondern weil sie eigentlich zuwenig zumutet...!“

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