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Ist der EWR jetzt den Rhein hinunter?
Mit 50,3 gegen 49,7 Prozent haben sich die Schweizer bei ungewöhnlich hoher Abstimmungsbeteiligung am 6. Dezember gegen eine eidgenössische Teilnahme am Europäischen Wirtschaftsraum entschieden. Auf den ersten Blick nur eine knappe Entscheidung, tatsächlich haben aber die Befürworter ein Ja zum EWR recht deutlich verfehlt: Es hätte einer Doppelmehrheit bedurft, also einer Mehrheit der Bevölkerung - unabhängig von Stimmbürgerzahl - in mindestens 13 der 26 Kantone, und zusätzlich einer Abstimmungsmehrheit insgesamt, wobei die Schätzungen dafür zwischen 54 und 60 Prozent liegen. So gesehen haben die Euro-Skeptiker einen klaren Sieg errungen: 18 Kantone haben den EWR-Vertrag verworfen.
Unmittelbare Konsequenz: Ab 1. Jänner gibt es damit keinen Europäischen Wirtschaftsraum, sondern nur den Binnenmarkt der zwölf EG-Staaten. Was aus dem EWR noch wird, kann sieben Monate nach der Vertrags-unterzeichnung in Porto niemand seriös vorhersagen. Eine Neuverhandlung unter Ausschluß der Schweiz - vielleicht demnächst auch ohne Liechtenstein - ist zwar denkbar, möglich aber auch, daß der EWR seit Sonntag überhaupt bereits den Rhein hinunter ist.
Durch das Ausscheren der Schweiz hat sich - abgesehen von den Finanzierungsfragen für den sogenannten Kohä-sionsfonds zugunsten der armen EG-Länder - nicht nur die Verhandlungsposition der Rest-EFTA-Staaten verschlechtert, wahrscheinlich wägt man EG-intern längst ab, ob unter diesen Umständen nicht Direktverhandlungen mit Beitrittskandidaten ingesamt gleich zielführender sein könnten. Aus österreichischer Sicht: Seit letztem Sonntag - und nicht weil irgendjemand schon vorher mit diesem Gedanken gespielt hat - sollten die Beitrittsverhandlungen, deren Ergebnis ja einer Volksabstimmung zu unterziehen ist, absolute Priorität haben.
Schweizer Besonderheiten, die Fast-Spaltung in Sprachgruppen, der Kan-tönli-Geist, die Angst um Wohlstand und Arbeitsplätze, auch die Angst vor Ausländern - mit einem Ausländeranteil von über 17 (!) Prozent aber anders begründet als in Österreich -, sollten zu keinen vorschnellen Rückschlüssen führen. Aber eines könnte man aus den emotionalen Auseinandersetzungen vor diesem Plebiszit lernen: Mit Euro-Arroganz läßt sich kein Volk für Europa gewinnen. Die gibt es, dort wie da. Daß die Schweiz Veränderungen gegenüber immer vorbildlich reagiert, darf man generell nicht ableiten: den Eidgenossinnen hat man ein Wahlrecht ja auch nur mit Ach und Krach und erst nach ungezählten Anläufen zugestanden.
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