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Ist die CSSR für uns wichtig?

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Gewaltsam verweigerten tschechoslowakische Grenzbehörden dem Schriftsteller Pavel Kohout am 4. Oktober die Rückkehr in seine Heimat. Wenig später teilt man ihm in der CSSR-Botschaft in Wien seine Ausbürgerung mit. Was hinter dieser Aktion steckt, untersuchen exklusiv für die FURCHE zwei prominente tschechische Emigranten. Die größere Dimension nahm der Fall Kohout ah, als damit in Zusammenhang von der CSSR-Bot- schaft eine Erklärung abgegeben wurde, wonach Österreich die CSSR aus „strategischen Gründen“ brauche. Zwar distanzierte sich Prag später von der Erklärung, der befremdende Eindruck der Aussage bleibt jedoch bestehen. Ein Militärwissenschaftler nimmt dazu Stellung:

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Gewaltsam verweigerten tschechoslowakische Grenzbehörden dem Schriftsteller Pavel Kohout am 4. Oktober die Rückkehr in seine Heimat. Wenig später teilt man ihm in der CSSR-Botschaft in Wien seine Ausbürgerung mit. Was hinter dieser Aktion steckt, untersuchen exklusiv für die FURCHE zwei prominente tschechische Emigranten. Die größere Dimension nahm der Fall Kohout ah, als damit in Zusammenhang von der CSSR-Bot- schaft eine Erklärung abgegeben wurde, wonach Österreich die CSSR aus „strategischen Gründen“ brauche. Zwar distanzierte sich Prag später von der Erklärung, der befremdende Eindruck der Aussage bleibt jedoch bestehen. Ein Militärwissenschaftler nimmt dazu Stellung:

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Macht man zunächst einen Abstecher auf das Gebiet der Wirtschaft, so stellt sich heraus, daß der Anteil der Tschechoslowakei an den Gesamtimporten Österreichs jährlich etwa zwei Prozent beträgt, also kaum ins Gewicht fällt. Bei den „strategischen“ Rohstoffen Erdgas und Steinkohle ist zu bemerken, daß die aus der Westukraine kommende Pipeline, aus der auch Österreich Erdgas bezieht, von Uschgorod über slowakisches und mährisches Gebiet führt.

Österreich bezog 1978 aus der Sowjetunion 1,4 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Ebenso führen die wichtigen Steinkohleimporte aus Polen über mährisches Gebiet. Es ist aber kaum vorstellbar, daß die Regierung in Prag daran denkt, diese Gegebenheiten als Druckmittel auszuspielen, ohne vorher das Einverständnis der Sowjetunion einzuholen.

Die strategische und militärgeographische Bedeutung der CSSR beruht auf ihrer zentralen Lage in Mitteleuropa sowie auf ihrer Landbrük- kenfunktion zwischen dem Potential des Warschauer Paktes in der DDR und in Polen einerseits sowie in Ungarn andrerseits.

Rein geographisch gesehen eignet sich der böhmische Raum sowohl für einen Angriff gegen die NATO-Kräfte in Bayern als auch für eine Bedrohung Österreichs. Eine eventuelle Ausflankierung der NATO in Bayern aus dem südböhmischen Raum durch das Mühlviertel würde unter anderem eine Überwindung von 25-30 Kilometer zur Gewinnung des Donau-Abschnittes zur Voraussetzung haben.

Wirtschaftlich gesehen liegt die Bedeutung der CSSR für die Sowjetunion beziehungsweise für den COMECON nicht zuletzt in den Uranerzvorkommen bei Karlsbad und Jo- achimstal.

Ein Eingreifen in Österreich oder eine Teilbesetzung des Landes spielte auch in der bereits im Februar 1974 bekanntgewordenen Plan-Studie „Polarka“ eine große Rolle. Wenn auch der Informant, der im Februar 1968 aus Prag über Jugoslawien in den Westen geflohene Generalmąjor

Jan Sejna, nicht über alle Details unterrichtet gewesen sein dürfte, ließ sich doch folgendes entnehmen:

Unter gewissen politischen Voraussetzungen und nach Schaffung der notwendigen Konstellation käme im Gefolge eines großangelegten militärischen Vorgehens gegen Jugoslawien auch eine Teilbesetzung Österreichs in Frage; Ost- und Südösterreich sollte von Norden und Osten her etwa bis zur Enns-Linie bzw. bis zum Klagenfurter Becken besetzt werden.

Unter dem Einsatz von getarnten und subversiv operierenden Vorauskommandos sollten 30.000 Mann tschechischer Truppen und 20.000 bis 25.000 Mann ungarischer.Truppen in drei Stoßrichtungen die wichtigsten Donauübergänge und in der Folge alle Nord-Süd-Verbindungen bis zum Dreiländereck bei Villach in die Hand nehmen. Als zweiter Welle fiele Teilen der sowjetischen „Transkarpatenfront“ die völlige Sicherung des durchstoßenen Raumes zu.

Man hat dieser Planstudie mit Recht wenig Originalität und Neuigkeitswert zugeschrieben, da die meisten Gedankengänge aus der Sicht des Generalstabsoffiziers gewissermaßen auf der Hand lagen und außerdem bei einer Intervention in Jugoslawien ein „Aussparen“ Österreichs durchaus plausibel erschien. Auch heute besteht kein Anlaß zu einer Auffassungsänderung.

Die Tschechoslowakei verfügt laut „Military Balance“ vom Londoner Institut für strategische Studien bei einer Bevölkerungszahl von 15 Millionen über aktive Streitkräfte in der Stärke von etwa 194.000 Mann, wovon 140.000 Mann auf das Heer und 54.000 Mann auf die Luftstreitkräfte entfallen. Das Heer gliedert sich in fünf Panzerdivisionen, fünf motorisierte Schützendivisionen, ein Luftlanderegiment, drei Brigaden, ausgerüstet mit Feldraktenwerfem „Scud“ sowie zwei Artilleriebrigaden.

An Kampfpanzern dürften zwischen 3400 und 4000 vorhanden sein. Nachdem man von den zwölf aktiven Divisionen, die bis zum August 1968 vorhanden waren, zwei aufgelöst hat, liegen Informationen vor, wonach zusätzlich eine Aufstellung von drei Divisionen innerhalb von drei Tagen nach Mobilmachung vorgesehen ist.

Die Luftstreitkräfte sollen über etwa 460 Kampfflugzeuge verfügen. An Grenzschutzeinheiten stehen sieben Grenzbrigaden zur Verfügung, von denen vier gegenüber der Bundesrepublik Deutschland und drei an der Grenze zu Österreich stationiert sind.

Betrachtet man die räumliche Verteilung der sowjetischen sowie der tschechoslowakischen Verbände, so fällt auf, daß die letzteren vor allem in den westlichen und südlichen Landesteilen untergebracht sind; die sowjetischen Divisionen stehen hingegen mit einer einzigen Ausnahme vor allem in den nördlichen Landesteilen.

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