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Ist die „Ehe auf Zeit“ noch zu verhindern?

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Seit der Zeit vor den letzten Nationalratswahlen im Herbst 1975 hat Justizminister Christian Broda das Thema „Scheidungsreform“ auf den Lippen. Sein Wunsch: Sogenannte „Papierehen“ sollen in Hinkunft nach einer gewissen Dauer nicht mehr durch den Widerspruch eines der beiden Ehepartner aufrechterhalten werden können. Mit dem von der SPÖ ersehnten ersatzlosen Streichen des bisherigen Widerspruchs-Paragraphen sehen viele das Schreckbild der „Ehe auf Zeit“ heraufdämmern. Daß es soweit kommen konnte, schreibt ÖVP-Justizsprecher Walter Hauser, der am derzeit geübten Recht auch nicht festhalten möchte, in gewissem Sinne der Judikatur zu. Der Widerspruchs-Paragraph des ehemals deutschen Ehegesetzes sei vor 1945 „scheidungsfreundlicher“ judiziert worden als in den Jahren unmittelbar nach dem Krieg.

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Seit der Zeit vor den letzten Nationalratswahlen im Herbst 1975 hat Justizminister Christian Broda das Thema „Scheidungsreform“ auf den Lippen. Sein Wunsch: Sogenannte „Papierehen“ sollen in Hinkunft nach einer gewissen Dauer nicht mehr durch den Widerspruch eines der beiden Ehepartner aufrechterhalten werden können. Mit dem von der SPÖ ersehnten ersatzlosen Streichen des bisherigen Widerspruchs-Paragraphen sehen viele das Schreckbild der „Ehe auf Zeit“ heraufdämmern. Daß es soweit kommen konnte, schreibt ÖVP-Justizsprecher Walter Hauser, der am derzeit geübten Recht auch nicht festhalten möchte, in gewissem Sinne der Judikatur zu. Der Widerspruchs-Paragraph des ehemals deutschen Ehegesetzes sei vor 1945 „scheidungsfreundlicher“ judiziert worden als in den Jahren unmittelbar nach dem Krieg.

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Das derzeitige Recht sieht so aus: Paragraph 55 des Ehegesetzes sieht vor, daß jeder Ehegatte die Scheidung begehren kann, wenn die ,.häusliche Gemeinschaft seit drei Jahren aufgehoben“ ist und wenn „infolge einer tiefgreifenden, unheilbaren Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht zu erwarten“ ist. Absatz 2 des Paragraphen 55 sieht allerdings vor, daß der jeweils schuldlose Teil gegen das Scheidungsbegehren Widerspruch erheben kann, was wiederum dann nicht beachtlich ist, „wenn die Aufrechterhaltung der Ehe bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe und des gesamten Verhaltens beider Ehegatten sittlich nicht gerechtfertigt ist“.

Aus großteils bevölkerungspolitischen Gründen haben die Gerichte des „Dritten Reiches“ den Widerspruch des Gatten nur in Ausnahmefällen zugelassen, um neuen Ehen und damit der Zeugung des deutschen Nachwuchses keine unnötigen Steine in den Weg zu legen. Nach der Wiedererstehung Österreichs hingegen war nach der Ansicht von Walter Hauser ein Wandel in der österreichischen Judikatur zu beobachten. Praktisch jeder Widerspruch wurde im Scheidungsverfahren als „beachtlich“ anerkannt, insbesondere weil durch die Scheidung Unterhalts- und Pensionsanspruch verlorengingen und der schwächere Teil dadurch in materielle Bedrängnis geriet.

„Die Judikatur hat die Auslegung des Gesetzes in überspannter Form umgedreht; sie hat uns damit ein Ei gelegt“, meint Hauser. „Der Oberste Gerichtshof steht auf dem Standpunkt: Ich kann von der Judikatur nicht abgehen, es ist Sache des Gesetzgebers, etwas zu tun.“ Ein Festhalten an der zerrütteten Ehe um jeden Preis ist auch für Hauser nicht wünschenswert.

Broda argumentiert, es existierten zahllose Papierehen, bei denen die Trennung so lange zurückliegt, daß sich die Ehegatten auf der Straße gar nicht erkennen würden. Und Hauser zitiert den Fall jenes Österreichers, der im Laufe des Polen-Feldzuges eine Polin geheiratet, sie aber nur acht Tage seines Lebens überhaupt gesehen hat: Heute noch erhebt diese Polin, die nie nach Österreich gekommen ist, Widerspruch gegen die Auflösung der Ehe. Hauser: „Wenn die Judikatur nur halb so flexibel wäre, wie in der Auslegung des Pornographiegesetzes, dann brauchten wir vermutlich gar keine Scheidungsreform.“

Grundsätzlich sind die Großparteien einig, daß reformiert werden soll. Wie aber reformiert werden soll, darüber gehen die Meinungen noch beträchtlich auseinander:

•Die von Justizrninister Broda ausgearbeitete Regierungsvorlage hält insoweit an der bisherigen Fassung fest, als nach dreijährig aufgehobener Ehegemeinschaft jeder Teil die Scheidung begehren, der Schuldlose aber das Recht des Widerspruchs in Anspruch nehmen kann. Neu ist am Broda-Entwurf, daß ab jenem Zeitpunkt, „zu dem seit der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft fünf Jahre verstrichen“ sind, ein Widerspruch absolut unzulässig sein solL

Konsequenz dieser Regelung: Jeder Ehegatte kann nach fünfjähriger Ehedauer aus der Ehe ausbrechen, wenn er nur hartnäckig genug ist.

•Die Volkspartei lehnt ein absolutes, durch bloßen Zeitablauf erlangbares Recht auf Scheidung ab. Durch ein verbessertes Unterhalts- und Versorgungsrecht sollen in Hinkunft wirtschaftliche Aspekte außer Betracht bleiben. Dem schuldlosen Teil will die ÖVP einen Unterhalt „wie in aufrechter Ehe“ gewähren, außerdem soll der Unterhaltsanspruch des schuldlos Geschiedenen gegenüber dem Anspruch eines späteren Ehegatten des Verpflichteten Vorrang genießen. Kernpunkt der ÖVP-Forderung ist die „immaterielle Härteklausel“, die in besonders gelagerten Fällen auch weiterhin den Widerspruch gelten lassen soll.

Die von Hauser ausgearbeitete „immaterielle Härteklausel“ zielt auf den Schutz minderjähriger Kinder, aber auch auf den Schutz eines unheilbar erkrankten Gatten. Man denke etwa an einen durch einen Verkehrsunfall querschnittgelähmten Ehegatten, dessen Partner sich mit Hilfe des Broda-Entwurfes aus der Ehe „befreien“ könnte. Hauser: „Die Scheidung würde dann zu einem Zeitpunkt erfolgen, zu dem sich gerade die Ehe bewähren sollte.“

•Von kirchlicher Seite wurde die Diskussion um die Scheidungsreform zum Anlaß genommen, um den Schutz der Ehe und Familie durch die österreichische Verfassung zu fordern. Auf ihrer Herbstkonferenz bedauerten die Bischöfe das vorgesehene Erlöschen des Widerspruch-Rechtes nach fünfjähriger Trennung. Der Grazer Diözesanbischof Weber befürchtet, daß dadurch ein negativer erzieherischer Effekt erzielt wird: Es entstehe der Eindruck, die Ehe sei etwas nach Belieben Lösbares. Die Bischofskonferenz sprach sich vorrangig für den Schutz der „Schwächeren“ - also der Frauen und Kinder- aus. Nach wie vor ist die Ehe für die Kirche unauflösbar, wobei sie nicht den Anspruch erhebt, auch das staatliche Recht müsse davon ausgehen.

Während die beiden Großparteien noch um die unter dem hochtrabenden Titel „Scheidungsreform“ angekündigte Änderung des Paragraphen 55 verhandeln, hat ÖVP-Sprecher Hauser, der übrigens mit Broda seit 1970 im wesentlichen in toleranter und konsensfreudiger Weise zusammenarbeitet, eine weitere Forderung in die Debatte eingebracht: Die Änderung des Scheidungsrechtes soll sich nicht nur auf den Paragraphen 55 beschränken, sie soll auch die Ermöglichung der „einverständlichen Scheidung“ einbeziehen.

Auch hier sind sich die Parteien grundsätzlich einig: In der österreichischen Scheidungspraxis hat sich die unbefriedigende Vorgangs weise eingebürgert, daß Ehegatten, die sich einvernehmlich scheiden lassen wollen, vor Gericht jene Rollen mimen, die das Schuldprinzip erfordert.

In der einverständlichen Scheidung sieht die ÖVP ein Instrument zur „Vermenschlichung“ des Scheidungsrechtes. Hauser: „Die Sache sollte ideologisch von der richtigen Seite gesehen werden: Für die ÖVP ist die Ehe weiterhin ein Vertrag, der auf Lebenszeit geschlossen wird. Die einverständliche Scheidung soll nur eine völlig unbefriedigende Situation beseitigen. Außerdem soll es sie nur unter gewissen einschränkenden Bedingungen geben.“

Als solche Bedingungen nennt Hauser: Eine gewisse Mindestdauer der Ehe; eine gewisse Mindestdauer der Trennung; gleichzeitige Vorlage einer Vereinbarung über alle Scheidungsfolgen. Damit soll verhindert werden, daß nach der Scheidung noch um Kinder und Vermögen gestritten und gefeilscht wird. Das hieße also: Alle Karten auf den Tisch.

Diesem Vorstoß Hausers hat mittlerweile Broda den Wind aus den Segeln zu nehmen versucht, indem er eine etwas vereinfachte Form der Konventional-Scheidung in die Regierungsvorlage aufnahm. Brodas Vorschlag lautet: „Ist die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten seit einem Jahr aufgehoben und das eheliche Verhältnis unheilbar zerrüttet, so kann jeder Ehegatte die Scheidung begehren, wenn der Beklagte die unheilbare Zerrüttung zugesteht; dieses Zugeständnis begründet die unwiderlegbare Vermutung der unheilbaren Zerrüttung.“ Die „conditio sine qua non“ der Volkspartei, daß sämtliche Scheidungsfolgen gleich mitverhandelt werden müssen, will Broda nicht einbauen; ihm genügt es, wenn „der Richter beide Teile über die Scheidungsfolgen“ belehrt.

In einer Stellungnahme vor einigen Monaten hat sich der Katholische Familienverband prinzipiell für das Hau- | ser-Modell der einvernehmlichen Scheidung ausgesprochen, darin aber für den Begriffeines „außerstreitigen“ Scheidungsverfahrens plädiert. Die Bezeichnung„einverständliche

Scheidung“ ist für den Familienverband gänzlich inakzeptabel. An diese Meinungsäußerung des Familienverbandes hat sich die Bischofskonferenz angehängt, die auch darauf besteht, daß im Falle einer außerstreitigen Scheidung sämtliche Konsequenzen in einem Verfahren abgehandelt werden müssen.

Das ursprüngliche Ansinnen der Großparteien, die Scheidung im Husch-Pfusch-Verfahren über die Bühne zu bringen, ist deswegen nicht mehr aktuell, weil man sich einig ist, daß zuerst die gesamte Familien-rechtsreform beschlossen werden muß. Das Kindschafts recht und das Ehegüterrecht warten noch auf die abschließenden Beratungen im Unterausschuß. Nach dem voraussichtlichen Fahrplan kommt die Scheidungsreform nicht vor 1978 ins Nationalratsplenum. Bis dahin haben erhitzte Köpfe genügend Zeit, abzukühlen, was schon oft ein recht brauchbares Rezept war.

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