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Ist die Technik schlagbar?

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Der Slogan: „Tausche Dayan gegen Lütgendorf“ hat heute sicher weniger Spötter hinter sich als noch vor wenigen Jahren. Trotz des ramponierten Image des israelischen Kriegshelden täte der Generalstab an der Wiener Dominikanerbastei gut daran, den Gedankenaustausch mit den Berufsgenossen unter dem Davidstern auf den verschiedensten Ebenen zu pflegen.

Die Israelis können Erfahrungen mit sowjetischer Ausbildung und taktischer Unterrichtung ebenso aus erster Hand weitergeben, wie technisches Wissen um das neueste Ost-Gerät. Die „heißen Eisen“ auf dem Gebiet der elektronischen Kriegführung dürften sich allerdings zur Gänze bereits zerlegt in den diversen Labors der amerikanischen Streitkräfte befinden. Wenngleich die jüngste Auseinandersetzung, dieser Stellvertreterkrieg, geführt mit den Waffenarsenalen der Supermächte, keinen bisher unbekannten technologischen Ideen zum Durchbruch verhalf, bietet er doch Ansätze für Überlegungen.

Zieht man den Geländefaktor ab, der jaden Parallelschluß auf mitteleuropäische Verhältnisse verwirft, bleibt die Dominanz der „dritten Dimension“ im modernen Bewegungskrieg bestehen. Ohne Lufthoheit, zumindest zeitlich und örtlich erkämpft, sind mechanisierte Verbände auf dem Gefechtsfeld nicht mehr zu verschieben. Diese Lufthoheit ist aber durch den rasanten Fortschritt auf allen Ebenen der Luftabwehrkriegführung immer schwerer zu erkämpfen. Hier läuft die Technik dem Kleinstaat unwiderruflich davon.

Umgelegt auf österreichische Verhältnisse könnte dies folgendes bedeuten.

• Die heimische Panzerwaffe — zuerst im Aufbau durch materielle Schwäche steckengeblieben, dann von ihren geistigen Vätern unter dem Vorzeichen des „Kleinkrieges“ im Stich gelassen — muß als Instrument unserer Verteidigungsphilosophie einen neuen Platz erhalten. Ein Einsatz der stählernen Kolosse ist selbst in einer begrenzt aktiv geführten Verteidigungsphase ohne Luftunterstützung und ohne eine starke Boden-Luftabwehr undenkbar.

• Die letztgenannten Waffensysteme stellen die schwächsten Punkte der gegenwärtigen Struktur des Bundesheeres dar. Anders als in der Aufbauphase des Heeres können wir in Zukunft kaum mit Geschenken der Signatarmächte des Staatsvertrages rechnen. Finanziell gerät die von der Elektronik vermehrt beherrschte Rüstung allmählich in den für den Kleinstaat kaum mehr tragbaren Bereich. Die Chance des Verteidigers — nicht nur in unserer Größenordnung — liegt vermehrt in einer den räumlichen Dimensionen entsprechend variierten Panzerabwehr. Sie reicht von der Schulterraketenwaffe des einzelnen Schützen bis zum raketenbestückten Panzer klassischen Zuschnitts.

• Ob es uns möglich sein wird, den Sprung in die „dritte Dimension“ mittels des Kampfhubschraubers zu schaffen, bleibt abzuwarten. Der Drehflügler hat sich in der bisherigen Verwendung im Bundesheer als überaus vielseitig zu verwendendes Gerät bewährt. Gegenwärtig (in den USA) laufende Versuche mit Musterverbänden integrieren die Panzerabwehr aus der Luft bereits.

Dabei verwerten die Amerikaner vor allem ihre Erfahrungen aus dem Vietnamkrieg.

Das deckungslose Gelände des Vorderen Orients verminderte die Wirkungsmöglichkeiten dieser Art der Panzerbekämpfung. Umgekehrt erleichterte es aber den Einsatz der mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit ihr Ziel ansteuernden sowjetischen Luftabwehrraketen.

Die sich konstant steigernde Technologie stellt den Kleinstaat aber vor eine Grundsatzentscheidung: — soll er den Rüstungswettlauf akzeptieren — oder sich um eine Alternativlösung bemühen? Die Lage als neutraler Staat schafft Österreich noch einige zusätzliche Problemstellungen. So müßte wohl in Betracht gezogen werden, den Anforderungen der Neutralität im Luftraum nachzukommen, ohne daß der Versuch unternommen wird, damit bereits ein Element der Verteidigung zu schaffen. So ist zweifellos aus dem letzten Nahostkrieg abzuleiten, daß ein Verteidiger ohne eine stets präsente Abwehrtruppe in eine hoffnungslose Situation gegenüber einem Aggressor gerät. Dennoch liegt die unseren wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechende Wehrform im Misehsystem zwischen längerdienenden Berufssoldaten und kurzdienenden Milizangehörigen. Wir verfügen ähnlich wie Israel nicht über eine Eindringtiefe, die Zeit für die Mobilmachung läßt. Diese muß daher zeitgerecht erfolgen. Und setzt die absolute politische Handlungsfreiheit für die Staatsführung voraus.

Man macht sich in Militärkreisen keine Illusion darüber, daß Israels große Probleme und Verluste zu Beginn des Krieges vor allem auf die Tatsache zurückzuführen waren, daß die Einberufung der Reservisten doch geraume Zeit in Anspruch nahm. Am Suezkanal und auf den Golanhöhen stand nur eine Minibesatzung, die noch in Anbetracht des Versöhnungstages reduziert worden war. Tatsache ist, daß ein Heer ohne entsprechend große, mobile und schlagartig einsetzbare Bereitschaftstruppe — in welcher Organisation auch immer — einem überraschend angreifenden Feind hoffnungslos unterlegen ist. Und daß erst eine Einsatztruppe in der Lage ist, in Fällen der partiellen Grenzverletzung wirkungsvoll zu intervenieren.

Dazu kommt, daß natürlich auch die Beschleunigung der Einberufung von Reservisten im Ernstfall von entscheidender Bedeutung ist — und hier besonders scheint in Österreich ein echter Systemmangel zu liegen. Man wird etwa zu einer engen Zusammenarbeit zwischen Rundfunk und Militärkommanden kommen müssen, will man die Reservisten rasch zu ihren Einheiten bringen. Israel hat hier Beispiele gesetzt, die überlegt werden sollten.

Freilich: bei alledem muß man von der entscheidenden Tatsache ausgehen, daß der zwar hart, aber schließlich doch erzielte militärische Erfolg Israels nur das Ergebnis aus der Kombination von militärischer Führungsqualität und Wehrwillen der gesamten Bevölkerung war. In Österreich darf man zumindest Zweifel hegen, ob auch nur annähernd die Bereitschaft besteht, das Land auch zu verteidigen. Und da ist nun einmal des Pudels Kern: im von einer Regierung offiziös geduldeten, ja propagierten Defaitismus.

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