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Ist frei vogelfrei?

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Ein neues, vom Nationalrat beschlossenes Verfassungsgesetz garantiert die Freiheit der Kunst, ihrer Lehre und Vermittlung. Die Künstler dürfen sich freuen. Jetzt haben sie etwas, worauf sie sich berufen können. Was es ihnen wohl nützt?

Das neue Gesetz wird kaum die Publikationsmöglichkeiten der Autoren vermehren. Es wird obdachlosen Theatergruppen nicht zu geeigneten Räumen verhelfen. Die Befürchtung ist nicht unberechtigt, das neue Verfassungsgesetz könnte zu einem Feigenblatt für Versäumnisse werden. Es bietet ja nicht einmal eine Handhabe, bürokratische Apparate zu kunstfreundlicherer Auslegung ihrer Paragraphen zu veranlassen oder Leuten, die sich durch Kunst belästigt fühlen, Toleranz einzuimpfen.

Hier soll nur von den Problemen die Rede sein, mit denen in Wien Theaterleute kämpfen, die kein von einem Theatererhalter gestütztes, von der Tradition geheiligtes Dach über dem Kopf haben.

Viele dieser Probleme sind nicht oder nicht ausschließlich finanzieller Art, aber auch keineswegs Ergebnis einer Attacke auf die Freiheit der Kunst.

Da gibt es zum Beispiel in Wien ein „theater brett”, das hervorragende Pantomime macht, aber noch so unbekannt ist wie einst etwa ein Erwin Piplits.

Die Gründerin, Nika Brettschneider, ist vor der totalen Unfreiheit in der CSSR entwichen. Sie stieß in Wien auf wohlwollendes Verständnis, als sie bei den Zuständigen in den diversen Magistratsabteilungen fragte, welche Bedingungen erfüllt werden müßten, um in einem Keller im vierten Bezirk spielen zu dürfen.

Zehntausende Schilling wurden investiert, alle genannten Bedingungen erfüllt. Dann kamen die Herren zusammen, und die vorher gegebenen Ratschläge erwiesen sich als unverbindlich. Bei solchen Kommissionierungen entstehen gruppendynamische Prozesse, die dazu führen, daß Einbauten zur Auflage gemacht werden, von denen vorher keine Rede war, im gegenständlichen Fall Frischluft-Zuführung aus Dachhöhe des Gebäudes. Das war unmöglich, das investierte Geld futsch.

Ein weniger kafkaesker Kompetenz-Dschungel wäre, aus dem Blickwinkel derer, die Keller für Theater adaptieren, wichtiger für die Freiheit des Theaters als ein Verfassungsgesetz über die Freiheit der Kunst. Dieses freilich kommt billiger.

Verglichen mit der Not der fünfziger Jahre, sind heutige Subventionen für kleine und mittlere Bühnen, freie Gruppen und so weiter fürstlich. Das ist für die „Gruppe 80” aber nur ein kleiner Trost dafür, daß die zugesagte Subvention für eine Produktion, nach von Monat zu Monat prolongierten Versprechungen, erst nach der Premiere kommt oder gar nach der letzten Aufführung. Folge: Beeinträchtigung des künstlerischen Prozesses, waghalsige Finanzkunststücke, denn von ihren hervorragenden Pressekritiken können die von den „Komödianten”, unter Mitnahme eines Großteiles der künstlerischen Potenz abgegangenen Schauspieler ja nicht leben.

Ihre künstlerische Freiheit war noch von keiner Seite bedroht, wichtiger als deren Sicherung wäre für solche Truppen die Befolgung der Maxime „Wer schnell gibt, gibt doppelt” durch den Subventionsgeber.

Musterbeispiel für Kunstverhinderung im Einklang mit dem Gesetz ist das Teamwork der Schikanen gegen das bei Publikum und Kritikern erfolgreiche, an höheren Orten ungeliebte „Wiener Sommertheater am Spittelberg”.

Wo bleibt die „Freiheit der Kunst”, wenn künstlerische Absicht, vielzitierte Theorie beim Wort nehmend, darauf abzielt, Theater im städtischen Wohnraum zu verwirklichen, Schranken zwischen „Kunst” und „Leben” niederzureißen, ein Viertel inklusive der Kinder die Entstehung einer Aufführung miterleben zu lassen, wenn sich ein intimes „Platzl” ideal dafür anbietet, und wenn das alles daran scheitern muß, daß sich die Prestigestandpunkte verhärten, einer mit dem anderen nicht mehr reden kann und ein paar anonyme Briefe, deren Verfasser, o Schreck, wohl Wähler sind, den Politikern jedes Engagement für das „Theater im städtischen Wohnraum” austreiben?

Die Theatermacher vom Spittelberg verfolgen ernstzunehmende, wichtige Absichten. Vielleicht fehlt es ihnen am Talent, richtigen Ortes zu „buckerln”. Bloß: Im Verfassungsgesetz über die Freiheit der Kunst ist von Buckerln die Rede nicht.

Der Vorwurf, zu blockieren oder jedenfalls nicht zu beschützen, was nicht auf ihrem Mist gewachsen ist, trifft im konkreten Fall beide großen Parteien, einen „roten” Stadtrat ebenso wie einen „schwarzen” Bezirksvorsteher.

Aber so schaut halt die Realität aus. Das neue Gesetz kodifiziert nur, was ja eigentlich längst ist. Es ersetzt nichts vom vielen, das fehlt - weder Verständnis „oben” noch Toleranz „unten” und schon gar nicht den fehlenden Mut derer, die an den vielen Schalthebeln der Kulturpolitik sitzen und sich in der zweifelhaften Tugend der Selbstzensur üben.

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