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Ist Freiheit noch eine Alternative?

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Portugal präsentiert sich in dieser Woche als ein Land, in dem Wahlen bevorstehen, und, wie man noch immer hoffen kann, offenbar sogar mehr oder weniger freie Wahlen zwischen echten Alternativen, dessen Machthaber aber bereits kund und zu wissen gaben, sie würden sich um das Ergebnis dieser Wahlen nur scheren, soweit es ihnen in den Kram paßt. Die Junta hat Portugal nicht nur den Weg zum Sozialismus verordnet, sondern genau jenen Weg, den sie für richtig hält, zu genau jener Form von Sozialismus, die ihr als die richtige erscheint. So sieht es jedenfalls aus.

Die vielzitierte Feststellung, Portugals Wahlen seien unter diesen Umständen wenig mehr als eine aufwendige Meinungsforschung, lag daher nahe. Aber trifft sie in dieser Schärfe auch wirklich zu? Kurze Zeit vor den Wahlen gaben Mitglieder der portugiesischen Militärjunta auch zu verstehen, man werde nach den Wahlen auf etwas größere Distanz gegnüber der kommunistischen Partei gehen und die Sozialdemokraten unter Soares stärker zum Zug kommen lassen.

Das kann verschiedenes bedeuten. Das kann zum Beispiel lediglich eine Alibi-Bekundung gewesen sein. Es kann aber auch ein Zeichen dafür sein, daß Portugals Militärjunta innerlich uneiniger ist, als nach außen deutlich wird. Es deutet sogar sehr viel darauf hin, daß die Offiziere, die heute in Portugal die Macht ausüben, zwar durchwegs linksorientiert sind, daß aber das Spektum

ihrer Leitbilder sehr viel umfangreicher ist, als dem KP-Generalsekretär Cunhal lieb sein kann, und etwa vom schwedischen bis zum Moskauer Modell und darüber hinaus reicht.

Die Vorgänge der letzten Wochen und Monate deuten auf eine Vormacht des moskauhörigen Flügels. Die große und für Portugals Zukunft entscheidende Frage ist, wie weit es diesem Flügel bereits gelungen ist, andere Meinungen zu überspielen und die Weichen für die Zukunft, das heißt für die Zeit nach der Wahl, zu stellen. Nach dem mißglückten Coup von General Spinola bei dessen stümperhafter Vorbereitung konservative Oppositionelle und agents provocateurs der Gegenseite einander durchaus in die Hände gespielt haben könnten, stand die Durchführung der Wahlen einige Zeit offensichtlich hart auf Messers Schneide. Allein die Tatsache, daß sie nun doch stattfinden, kann als Indiz dafür gewertet werden, daß jener Junta-Flügel, der Demokratie für eine Gefährdung des Weges zum Sozialismus hält, innerhalb der Junta keineswegs so unangefochten ist, wie es nach außenhin den Anschein hat.

Wo militärische Geheimhaltung die Willensbildung der Machthaber abschirmt, ist Spekulation legitim:

Es wäre durchaus denkbar, daß es auch im Interesse eines demokratischen Junta-Flügels gelegen ist, Bedeutung und Risiko dieser Wahlen herunterzuspielen, um bei jenen, deren Pläne durch das Ergebnis einer Wahl gefährdet werden könnten, die Versuchung, den Volksentscheid unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand abzusagen, nicht unnötig zu vergrößern. Denn damit, daß diese Wahl tatsächlich stattfindet, ist für die demokratischen Kräfte Portugals sehr viel gewonnen.

Nur ein politischer Laie, und in den Uniformen vieler Militärdiktatoren stecken politische Laien, kann meinen, sich über das Resultat freier Wahlen einfach völlig hinwegsetzen zu können. Niemand kann heute sagen, welches Ergebnis diese Wahlen am kommenden Wochenende haben werden. Denn dieses hängt nicht nur von den Hoffnungen, Wünschen, Meinungen und von der politischen Bildung und Information der Wähler ab, sondern auch davon, ob sie den dieser ihrer Meinung entsprechenden Stimmzettel tatsächlich frei und ungehindert abgeben können und davon, wie korrekt die Stimmenzählung verläuft. Wenn die Wähler nicht eingeschüchtert und die Stimmen korrekt gezählt werden, sollte ein eindrucksvoller Erfolg der Sozialdemokraten unter Soares niemanden wundern, denn auch Portugals liberal eingestellte Konservative dürften in ihm den chancenreichsten Vertreter aller nicht-

diktatorischen politischen Kräfte dieses Landes erkannt haben.

Falls sich aber Portugals doktrinäre Linke einschließlich der KP nicht durchsetzt, wird es ihren Schirmherren innerhalb der Junta sehr schwerfallen, einen selbstherrlichen Weg zum Sozialismus weiterzugehen und anderseits ein Minimum an demokratischer Fassade aufrechtzuerhalten. Denn Parteien mit demokratischer Legitimierung werden sich nicht so leicht von der Teilhabe an der Regierung ausschließen oder von einer Junta gängeln lassen wie jetzt. Wenn Portugal in den nächsten Tagen wirklich frei wählen kann, steht dem Land die große Machtprobe erst bevor. Beziehungsweise eine Reihe von Machtproben.

Immer deutlicher kristallisieren sich die drei großen Alternativen heraus. Die Diktatur einer moskauhörigen, konservativ-marxistischen KP, eine Offiziersherrschaft, die auf dem Weg nach dem idealen Sozialismus wahrscheinlich an eine charismatische Führergestalt vom Gaddafi-Schlage gerät, oder aber ein mühsamer, langwieriger Demokratisierungsprozeß.

Es ist interessant, daß die Gangart der portugiesischen Kommunisten auch mehreren kommunisti-

schen Parteien im Westen bereits unheimlich geworden ist. KP-Generalsekretär Cunhal repräsentiert heute in Portugal den skrupellosesten und konsequentesten Willen zur uneingeschränkten Macht. Portugals Kommunistische Partei hat vor wenigen Monaten den Bezug auf die „Diktatur des Proletariats“ aus ihrem Parteiprogramm gestrichen. Weil, so erklärte Cunhal wörtlich, das Wort Diktatur zu negative Assoziationen an die vergangene Diktatur Portugals wachrufen könne. Der Geist der Formulierung von der Diktatur des Proletariats aber, so Alvaro Cunhal, werde immer ein wesentli-

cher Bestandteil der Parteidoktrin bleiben. Sollte Cunhal die Programmstelle wirklich aus derart opportunistischen Gründen gestrichen haben, dann war es eine klassische Fehlleistung, in der die wirklichen Absichten des KP-Generalsekretärs zutage traten: Es ist längst abzugehen, daß das portugiesische Proletariat unter keiner Variante der portugiesischen Zukunftsmöglichkeiten so wenig zu reden hätte wie bei uneingeschränkter Machtausübung dieser moskauhörigen Partei.

Moskau hat sich verbal von dieser KP etwas abgesetzt, aber sie bleibt das Pferd, auf das Moskau in Portugal setzt. Diese Option kommt schon darin zum Ausdruck, daß Moskau den portugiesischen Sozialdemokraten in einer Weise die kalte Schulter zeigt, die nur als Affront bezeichnet werden kann. Moskau spielt nicht nur eine Rolle als Schutzmacht der KP, sondern auch als „selbstloser Helfer der portugiesischen Revolution“, stellt Kredite, Entwicklungshilfe, Know-how, außenpolitische Unterstützung zur Verfügung. Unter diesen Umständen wurde von den portugiesischen Sozialdemokraten mit Verbitterung registiert, daß ihr bedeutendster Exponent, Soares, in Moskau zwar mehrmals um Aus-

sprachen mit den politischen Führern der Sowjetunion antichambrierte, bislang aber stets von zweit-bis letztrangigen Gesprächspartnern abgefertigt wurde. Angesichts der Tatsache, daß in Moskau Exponenten der Dritten Welt, wenn sie sich nur halbwegs „fortschrittlich“ ge-rieren, ohne Anlauf bis zur ersten Garnitur vorzudringen pflegen, ist das eine Demonstration dessen, was Moskau in Portugal tatsächlich im Sinne hat. Als Führer der portugiesischen Sozialdemokraten ist Portugals ehemaliger Außenminister offensichtlich eine Quantite negli-geable geworden.

Offenbar wissen Westeuropas kommunistische Parteien mindestens so gut wie Westeuropas Öffentlichkeit, wohin die portugiesische Bruderpartei die Weichen gestellt hat. Der italienische Kommunistenführer Enrico Berlinguer etwa betonte im italienischen Fernsehen zwar seine generelle Sympathie für die portugiesische Entwicklung, forderte aber eine Beschleunigung der vollen Demokratisierung des öffentlichen Lebens und verschwieg auch nicht seinen Wunsch, daß diese „breiter und korrekter vor sich gehe, und zwar im Sinne eines parlamentarischen Regimes, das auf Parteien basiert, (und) alle Freiheiten und Rechte anerkennt...“.

Auch das Zentralorgan der spanischen Kommunisten äußerste ziemlich offene Kritik am Stil der portugiesischen Kommunisten, wenn dort daran erinnert wird, „daß das, was wir fordern, die Wiederherstellung der demokratischen Freiheiten für alle ist, für die Rechte wie für die Linke, so weit sie bereit sind, im Rahmen der demokratischen Legalität zu arbeiten, welche Ideologie und welche Programme immer sie auch vertreten mögen. Wir haben mehrmals gesagt, daß wir gerne wüßten, wieviele Stimmen die Falange bei einer wirklich freien Wahl erhalten würde.“

Portugals Kommunisten wollen und werden nicht erfahren, wieviele Portugiesen jeglichen Weg zum Sozialismus ablehnen, denn das Spektrum der zugelassenen Parteien endet rechts mit den Soares-Soziali-sten. Was sich nicht sozialistisch gibt, ist nicht zugelassen, einschließlich aller christlichen sozialrefor-merischen Kräfte. Was in Portugal auf dem Spiel steht und auch in dieser Einschränkung nicht hoch genug veranschlagt werden kann, ist diese eingeschränkte Demokratie, ist die Alternative zwischen demokratischem und diktatorischem Sozialismus.

Daß es zu dieser Einengung gekommen ist, kann nicht der Linken allein angelastet werden. Dem Willen der diktatorischen Linken zur Macht, und der Hoffnung Moskaus, auf der iberischen Halbinsel der NATO einen Pfahl ins Fleisch setzen zu können, stand zweifellos rechts auch ein starker Wille zur Rückkehr an die Macht gegenüber. Daß sich die Diktatoren von gestern als schwächer erwiesen als die Diktatoren in spe von morgen, muß nicht heißen, daß sie chancenlos waren.

Der Westen hat im neuen Portugal Chancen vergeben. Daß die Sowjetunion in diesem Land ein Monopol als Lieferant nicht nur materieller Güter hat, ist sicher nicht zuletzt auch auf die überaus reservierte Haltung der USA und anderer westlicher Staaten gegenüber dem Regime zwischen Diktatur und Demokratie zurückzuführen.

So, wie die Dinge heute liegen, scheint es aber vollkommen ungerechtfertigt, wenn die Militärs, die Portugal beherrschen, von irgendeiner Gefährdung der portugiesischen Revolution von rechts reden. Portugals Demokratie kann auf absehbare Zeit nur von der Linken blockiert oder gefährdet werden. Zumindest, solange die Junta die Armee in der Hand hat, und dies scheint voll und ganz der Fall zu sein.

Portugals uniformierte Machthaber lassen das Land wissen, daß kein Wahlausgang sie veranlassen könne, die Macht aus der Hand zu geben. Niemand in Portugal kann es sich heute leisten, ihnen ins Gesicht zu sagen, daß sie sich damit als politische Reformatoren abqualifiziert haben, da jede Regierung, die auf Grund jedes denkbaren Wahlausganges gebildet werden könnte, notwendigerweise eine sozialistische wäre, da ja rechts von den Sozialisten nichts kandidiert. Politisch wäre die portugiesische Demokratie eine volle Wahlperiode lang nicht zu gefährden, nicht in Frage zu stellen. Die militärische Absicherung aber, über deren Fehlen in Chile Allende stürzte, wäre in Portugal auf jeden Fall garantiert, auch dann, wenn sich die uniformierten Revolutionäre in ihre Kasernen zurückzögen, um Portugals junge Demokratie von dort her zu bewachen.

Allerdings haben sie sich damit, daß sie das politische Spektrum rechts von den Sozialdemokraten kappten, unter der Voraussetzung wirklich freier Wahlen selbst parlamentarische Gegenspieler mit einer starken demokratischen Absicherung geschaffen. Denn Portugals Demokraten sollten erkannt haben, daß es Wahnwitz wäre, dieser Wahl fernzubleiben, und welche für,sie die wählbarste Partei ist, versteht sich von selbst. Damit hat sich die Junta, wenn Wahl und Stimmenzählung korrekt vonstatten gehen, eine lästige demokratische Laus in den Militärpelz gesetzt.

Viele Beobachter registrierten das geradezu generalstabsmäßig professionelle Vorgehen der Kommunisten, die ihre Machtpositionen mit Methoden besetzten, die an die Frühphase der osteuropäischen Volksdemokratien (deren Entstehung man offenbar immer wieder studieren sollte) erinnern. Die Politik dieser KP wirkt so durchdacht, daß die Zulassung mehrerer bürgerlicher Parteien, welche die den Plänen der KP entgegenstehenden politischen Kräfte zersplittert und nach dem alten Rezept „divide et impera“ handhabbar gemacht hätte, eher in das Konzept gepaßt hätte. Ob ein durch die bürgerlichen Kräfte verstärktes sozialdemokratisches Lager als Gegenspieler einer sicher starken KP mehr in deren Sinne — oder in dem von demokratischen orientierten Juntamitgliedern war? Wie immer: Die Ausschließung der Bürgerlichen bedeutet einen schweren Abstrich von der Demokratie, hat aber Portugal auch die Konkurrenz zwischen Sozialdemokraten und Bürgerlichen erspart und die Sache der portugiesischen Demokratie voll und ganz in die Hände der Sozialdemokraten gelegt. Von ihrem Abschneiden bei der Wahl, von ihrem Verhalten hängt die Chance der portugiesischen Demokratie in den kommenden Wochen, Monaten und wohl auch Jahren ab. Also auch das Schicksal der Bürgerlichen.

Portugals Sozialdemokraten werden nach der Wahl auch im günstigsten Falle einen Zweifrontenkrieg zu führen haben, auf der einen Seite gegen die Junta oder zumindest deren diktatorisch eingestellten Flügel, auf der anderen innerhalb der Gewerkschaftsbewegung, welche die Kommunisten in den letzten Monaten nahezu völlig in ihren Besitz übernommen haben.

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