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Digital In Arbeit

Ist Gras blau?

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Es war meine erste Ausstellung in einer namhaften Galerie. Zwar waren meine Bilder mehrmals in Kollektivausstellungen gezeigt worden, woraus resultierte, daß mein Name, zumeist zusammen mit dem von Kollegen, in einer Zeitungsnotiz in zwei oder drei Zeilen erwähnt wurde. Verkauft hatte ich noch nichts. Diesmal war ich mit meinen Arbeiten allein vertreten. Ich war sehr froh darüber, und ich hatte Angst.

Die Vernissage war vorüber: Hände schütteln, Fragen beant-

Worten, fotografiert werden. Eine Ansprache des Herrn vom Kunstverein, der in leicht herablassendem Wohlwollen an allem vorbeitönte, worauf es mir angekommen war. Ein Abend, von dem man sich im nachhinein fragt, ob einem irgendwas davon im Gedächtnis bleiben werde, mein eigenes nicht ausgenommen.

Täglich saß ich nun in meiner Ausstellung, zählte die nicht allzu zahlreichen Besucher und musterte die eigenen Bilder, als hätte ich sie nie zuvor gesehen. Sie hingen gut in diesen hellen, kühlen Räumen. Platz genug, daß sie sich gegenseitig nicht bedrängen konnten. Nicht einmal das Licht, das im November schon am Vormittag nötig war, vermochte ihnen viel anzuhaben.

An solch nebeligem Tag fiel sie mir auf. Sie stand unbeweglich vor einem der Bilder: ein Mädchen Mitte oder Ende der Zwanzig, beide Hände tief in den Taschen ihrer karierten Lodenjacke. Kinn und Wangen waren straff von einem gelben Kopftuch umspannt. Eine Ausländerin vermutlich, Arbeiterin der nahen Mantelfabrik, deren Sirene man jeden Mittag schrillen hörte. Sie vertrieb sich hier vermutlich die Eßpause, denn draußen regnete es fast ununterbrochen. Es erstaunte mich, wie lange sie vor ein und demselben Bild verharrte, einer Dorfskizze aus einer Reihe von Aquarellen, die ich von einer Motorradfahrt quer durch Jugoslawien mitgebracht hatte.

Ich trat zu ihr.

Gefällt Ihnen dieses Bild?

Sie schüttelte den Kopf mit dem Streifen schwarzglänzenden Haars, der unter dem Kopftuch sichtbar war.

Nix gut, sagte sie. Bild ist falsch.

Falsch?

Ja. Ist das doch Sveti — und sie nannte weitere zwei oder drei Silben, die ich mir nicht gemerkt habe. Damals wußte ich wahrscheinlich gar nicht, wie dieses Nest eigentlich hieß. Eine kurze Mittags-■ rast mit belegten Broten und einer Flasche Cola. Gänse, Mohn rings um einen Heuschober. Es waren die Farben gewesen, die mich zur Wiedergabe reizten, grelle unbekümmerte Sommerfarben.

Das Mädchen zupfte an meinem Ärmel.

Bin von dort. Kenne ich genau.

Sie streckte einen Zeigefinger voll kleiner Stichnarben aus und wies auf die letzten ärmlichen Hütten, die ich gemalt hatte.

Das ist Haus von Sava Mirkov, kenne ich gut. Hat zwei Fenster, nicht nur eines.

Von der sogenannten künstlerischen Freiheit hielt sie offenbar wenig. Das kann schon sein, räumte ich ein. So genau erinnere ich mich nicht.

Dann nicht malen, wenn nicht erinnern. Haus hat zwei Fenster — schönes Haus!

Sie kam beinahe täglich während ihrer Mittagspause und stellte sich immer wieder vor dasselbe Bild. Die übrigen sah sie gar nicht an, und die weiteren Räume hatte sie meines Wissens nie betreten. Ihr ging es nicht um Malerei. Ihr ging es um andere Dinge. Da stand sie in ihrer karierten Jacke, eine lebende Mahnung zur Redlichkeit. Ich erfuhr, daß sie Jovanka heiße und tatsächlich in der Mantelfabrik arbeite, als Ärmelnäherin im Akkord. Oft hatte sie sich ein Butterbrot oder eine Wurstsemmel mitgebracht und biß mit kräftigen Zähnen hinein, während wir uns unterhielten.

Gras ist auch falsch, erklärte sie eines Mittags. Gras ist nicht blau. Gras ist grün. Du nicht wissen?

Ich bemühte mich, ihr begreiflich zu machen, daß man versuchen müsse, die Dinge festzuhal-

ten, wie sie sich einem boten, und daß Gras sehr wohl bläulich schimmern könne - frühmorgens etwa, wenn der Tau noch nicht getrocknet sei.

Ist aber nicht frühmorgens, beharrte sie. Ist Mittag auf dem Bild.

Das können Sie sehen, Jovanka?

Sie nickte. Ich erkundigte mich, weshalb sie das Bild so lange anschaue, wenn es ihr mißfalle. Sie zuckte die Schultern.

Ich wieder zurückfahren, sagte sie. Ich Geld verdienen, viel Geld. Ich dann Kleider kaufen und Lederschuhe. Und großen Hut! Auch Steppdecke mit Blumen darauf, auch Tassen mit goldenem Rand. Werden alle mich heiraten wollen. Ich auch sparen für Fahrgeld. Kommt der Tag, wo ich in Zug sitzen und heimfahren. Ich zu Mirkov sagen: Sava, du hast ein schönes Haus!

Ich verstehe, Jovanka.

Dann gut.

Mein Ausstellungstermin ging zu Ende. Am Vorabend, bevor wir schlössen, kam ein Herr, der zwei der Aquarelle erwarb. Eines davon war das aus Sveti — na; egal. Jovanka war glücklicherweise in ihrer Mantelfabrik. Ich empfand, während ich die beiden Blätter einpackte, etwas wie Schuldgefühl, obwohl sie mir niemals etwas wirklich Freundliches über mein Bild gesagt hatte.

Am nächsten Morgen half ich, die unverkauften Bilder von den Wänden zu nehmen und gegen die Mauer zu lehnen. Ein Lastwagen zu ihrem Abtransport war bestellt. Es gab eine Menge zu tun.

Ich gehe jetzt Bier holen, sagte der jüngste der Arbeiter. Es wird Mittag.

Mit einemmal stand Jovanka vor uns, das Kopftuch in die Stirn gezogen, weil es regnete. Mit ihr kam ein großer, schwarzhaariger junger Mensch, ein Landsmann offenbar.

Wo ist Bild? Er mir kaufen. Ist Vorarbeiter, verdient massenhaft Geld. Ja, bestätigte der Begleiter. Zwei Goldplomben glänzten wie zur Bestätigung unter seinem schwarzen Bärtchen.

Ich wirklich kaufen.

Jovanka, sagte ich und schaute nicht ihn an, sondern sie. Es tut mir so leid, aber das Bild ist verkauft. Gestern wurde es abgeholt.

So, verkauft, murmelte sie. Komm, Predrag, wir gehen.

Jetzt erst bemerkte ich, wie groß ihre Augen waren. Sie maß mich vom Scheitel bis zur Sohle. Dann wandte sie sich brüsk um, und Hand in Hand mit dem jungen Mann schritt sie den Saal hinunter zum Ausgang. Der Regen klopfte aufs Glasdach der Galerie.

Uber die Fensterscheiben rannen schwere Tropfen, die allmählich zu getupften Linien wurden, um unterm Holz der Rahmen zu verschwinden. Ein neues Bild fing an.

Aus „Ein Engel in Oulu", Erzählungen, die im Residenz-Verlag, Salzburg, im kommenden Herbst erscheinen werden.

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