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Ist „Jimmy C“ schon unschlagbar?

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Die Gründe für. Carters Fävoritenposition sind bekannt. Er vermochte die mit Abstand stärkste Partei Amerikas — die Demokratische? Partei — hinter sich zu vergattern, und wenn keine Ereignisse eintreten, die seine Position innerhalb der Demokraten schwächen, müßte diese Stellung schon genügen, ihm im November den; Sieg zu geben. Innerhalb seiner Partei vermochte er durch die Wahl des linksliberalen Senators Mondale zum Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten die linke Opposition zu beschwichtigen, die ohnedies so gut wie „gefangen“ war. Denn kein linker Demokrat würde Ford gewählt haben — er hätte schlimmstenfalls am Wahltag zu Hause bleiben können. Mondale wird nun aber auch die Linken zur Mitarbeit antreiben. Die Demokraten wollen siegen, sie wollen wieder die reichen Pfründen Washingtons genießen, die ihnen acht Jahre lang vorenthalten worden sind.

Die parteiungelbunfdene Wählerschaft fändet an Carter auch mehr Interesse als an Ford, zumindest im Augenblick. Ein neuer politischer Stil, eine neue faszinierende Persönlichkeit und das Bewußtsein, sich dabei in kein Abenteuer zu stürzen, ziehen viele zu Carter. Hierin liegt überhaupt sein Geheimnis: neu und doch nicht revolutionär — eine Formel, auf dlie sich die Mehrheit des Wahlvolkes einstellen kann.

Was 'die Republikaner und ihr par-teigebundenes WähJerreservoir betrifft, so isollte man den Riß zwischen Ford- und Reagan-Anhängern nicht übertreiben. Ford steht nicht so weit links von Reagan, daß er — außer für wenige Rad'ikalkonsarva-tive — zur Gewissenisfrage werden könnte. Aber Ohne ungebundene Stimmen, ohne abtrünnige Demokraten kann kein Republikaner zuim Präsidenten gewählt werden. Seine eigene Parteibasis ist zu eng. Er muß zum nationalen Idol werden wie Eisehhower — oder breiteren Schichten als das kleinere Übel (Nixon, McGovern) erscheinen.

Und doch gab es In den letzten Wochen kleine Verschiebungen, die einen Carter-Sieg noch nicht' ganz zur Selbstverständlichkeit machen. Es sind kleine taktische Positionswechsel, die Fords Wähltaktikern gewisse Chancen geben. So hat die Wahl Senator Mondales zum Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten Fond wieder eine schmale Basis im Zentrum des politischen Spektrums geschenkt. Ob sie tragfähig ist, wird sich erst erweisen — aber Ford kann jetzt argumentieren, daß Carter kein Mann der Mitte sei, kein konservativer Demokrat des Südens,

sondern ein Politiker liberaler Prägung — ähnlich einem F. D. R. Roose-velt oder Senator Humphrey, dessen bester Freund und Schüler eben jener Senator Mondale ist. Dazu kommt, daß er Senator aus dem gleichen Staat ist wie Humphrey. Und jetzt könnte Ford auch leichter Carters mangelnde politische Profi-lierung angreifen. Carter wolle allen alles sein, könnte man Fond sagen hören, den Konservativen verspreche er ein ausgeglichenes Budget, den Linken werde Mondale wohl ■große Sozialleistungen ankündigen, Mondale will die Verteidligungsaus-gaben kürzen, Carter eine starke Mariine. Monidale will Rassanintegration in den Schulen, Carter ist dagegen. Man kann sicher sein, daß die Ford-Kampagne Dutzende von politischen und ideologischen Gegensätzen zwischen Carter und Monidale aufspüren wird. Ob das jedoch „ziehen“ wird, bleibt abzuwarten. Carter hat sich bis jetzt kaum festgelegt. Aber er wird jetzt wohl Farbe bekennen müssen. Bei der ihm nachgesagten Intelligenz, Glätte und Härte wird er sicherlich Monidale an die Kandare nehmen und sich nicht nach links abdrängen lassen.

Ein anderes Element, das in diesem bevorstehenden Wahlkampf von Gewicht sein wird, ist das persönliche. Es ist bekannt, daß Millionen Wähler ihre Stimme nicht dem Kandidaten geben,' der ihrem Intellekt anspricht, sondern jenem, der ihnen „sympathisch“ ist. Wärme ist aber nicht etwas, das Jimmy Carter ausstrahlt Die kalten blauen Augen, das stereotype Lächeln und die „Einsamkeit“ seiner Entscheidungen machen Carter zu einem zwar interessanten,

aber niaht unbedingt zu einem liebenswerten Kandidaten. Ford strahlt dagegen die Wärme der Mediokrität aus. Man weiß, wer er ist — ein hart arbeitender, offener, nicht sehr begabter Politiker—, kein Himmelsstür-mer, aber auch kein „Abgründiger“. Apropos Himmelsstürmer: Carters Bild wird immer mehr das eines religiösen Zeloten. Er betet öffentlich vor und für jede Entscheidung, die er zu treffen hat — seine Verwurzelung im südlichen Baptistenitum ist nicht nur auf ihn beschränkt, da ist auch eine Schwester, die er „gesund zu beten“ versucht, und eine dominierende Mutter, die Parallelen zur Patriarchin Rose Kennedy aufweist. Bis jetzt sind Carter all diese Facetten seiner ungewöhnlichen Persönlichkeit wohl bekommen. Sie dürften aber ungünstig abstechen gegenüber dem natürlichen, offenen, unkomplizierten Charme des Jerry Ford. Und wenn von „offen“ die Rede ist: Senator Mondale hat bereits angekündigt, er wolle Watergate und Fords Begnadigung Nixons wieder aufgreifen. Es gibt nicht wenige Kommentatoren, die in Carter einen Nixon-ähnlichen Typ wittern, einen verschlossenen Charakter, der niemandem Einsicht in sein Wesen gewährt.

Schließlich mag sich Ford auch damit trösten, daß es einem Kandidaten noch niemals gut getan hat, wenn er zu früh mit Lorbeeren bekränzt wurde, daß die überragende Favoritenposition taktische Schwächen mit sieh bringt und daß die Carter-Anhänger, die sich bereits im Glück wiegen, auf die harte Arbeit vergessen könnten, die trotz allem noch vor ihnen liegt.

Wenn all das gesagt ist, darf der politische Beobachter natürlich nicht das Vordergründige übersehen, die zweifellos vorhandene Sehnsucht nach einem neuen Beginnen, nach administrativen Reformen und neuen Gesichtern, nach einer Politik zugunsten höherer Beschäftigung und Heilung der von Krise zu Krise schlitternden Großstädte, nach Fortschritt im Bereich der Rasseniinte-gration und vielem anderen. Alles das spricht für einen ziemlich unangefochtenen Sieg Jimmy Carters im November.

Das Hintergründige jedoch, das Atmosphärische, muß in einer Wahlprognose nicht weniger berücksichtigt werden, und hier hält Ford wohl einige Trümpfe in der Hand. Auch und gerade diese sind jedoch sehr medienabhängig, und es ist zu erwarten, daß die gewichtigen Publizitätsmadien im Lager Carters stehen werden. Nicht nur ist er der Intellektuelle, der Neue, sondern auch der Liberalere, und man kann wohl annehmen, daß er sich in noch verstärktem Maß der Unterstützung solcher Organe wie der „New York Times“ und der „Washington Post“ erfreuen wird.

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