6984357-1986_20_17.jpg
Digital In Arbeit

Ist Literatur etwas wert ?

Werbung
Werbung
Werbung

In besonders einnehmender AllArt lud Bundesminister Moritz für den 7. April über die österreichische Gesellschaft für Literatur zu einem Zusammensein unter Vorsitz von Wolfgang Kraus ins Wiener Cafe Landt-mann. Von Jeannie Ebner, Hans Weigel, Ilse Tieisch, Milo Dor bis Peter Marginter, Roman Rocek, Ernst David, Ernst Hinterberger, Michael Scharang reichte das Spektrum der etwa fünfzig Gekommenen. Sie hatten zwar einander viel Persönliches zu erzählen, vermieden aber im Dialog mit dem Regierungsmitglied jedes substantiell künstlerische oder kulturprogrammatische Thema zugunsten standespolitischer Feststellungen. Nach mehreren Beschwerden über die Art, wie Schullesungen durch das „Kulturservice“ abgewickelt würden, berichtete der Minister, daß dessen Leitung ausgetauscht worden sei.

Als zweites Thema wurden von Jeannie Ebner die Ruhensbestim-mungen der Schriftsteller angeschlagen, von Ilse Tieisch, Ernst Hinterberger und dem höchst verdienstvollen Vorkämpfer für materielle Schriftstellerbelange, Milo Dor, wurde es fortgesetzt.

Die Problematik besteht darin, daß der unter schwerer Doppelbelastung erworbene Pensionsanspruch nach dem Brotberuf im Fall literarischer Einkünfte nach der Pensionierung erlischt. Die diszipliniert und mühsam erwirkte Altersversorgung, Basis endlicher Alleinzuwendung zu literarischer Leistung, steht unter der Drohung, bei fallweiser Honorareinnahme oberhalb der Ruhens-bestimmungsgrenze zu entfallen.

Minister Moritz zeigte sich äußerst informiert und verständnisvoll. Er hatte als ressortzuständiger Salzburger Landesrat eine Verfassungsgerichtshofbeschwerde gegen diesen Paragraphen 94 ASVG angestrengt — allerdings erfolglos. Er verwies auf die befürchtete Beispielswirkung einer Sonderregelung für Literaten - bei grundsätzlicher Anerkennung des Anliegens — und versprach die neuerliche Befassung von Regierungsmitgliedern und Abgeordneten mit diesem Problem.

Er bat um Argumentationshilfe. Hier ist sie.

1. Kein Schriftsteller kann die volle Aufrechnung seines frei gewählten Einsatzes für Wort und Wahrheit fordern; eine materielle Abgeltung für die Bewährung vor den Herausforderungen einer literarischen Existenz gibt es nicht. Der Schriftsteller teilt selbstverständlich das Schicksal aller Menschen, insofern die ökonomischen Kategorien sich nie mit den existentiellen decken. Doch funktioniert diese Synchronisation bei marktnahen und güterprodukti-onsnahen Bezügen halbwegs. Beim Dienst an ideellen Werten durch Ohnmächtige versagt sie. Dies nicht nur in einer geistig, sondern auch wirtschaftlich verblendeten Gesellschaft — wie zu erweisen sein wird.

2. Literarische Produktion ereignet sich tatsächlich nicht in Sphären materieller Kalkulation, setzt aber ökonomische Inkompetenz nicht zwingend voraus. Egon Friedell nennt Schiller ein Finanzgenie; Schopenhauer rettete als einziger seine Einlage aus einem Bankkonkurs; der von Bettlern abstammende Kant ordnete sein ganzes kleines Einkommen so an, daß er zu ansehnlichem Vermögen kam; Thaies inszenierte erfolgreich eine Art öltrust; Bacon, Locke, Leibniz, Goethe hatten Staatsposten inne; Shakespeare war Bodenspekulant; Tho-reau und Broch waren Fabriksleiter.

3. Wesentlich ist, daß der Autor als Autor kein Gut herstellt, das bereits vor seinem Dasein als Bedarf mit Preisangebot artikuliert wäre, wie alle anderen Waren und

Dienstleistungen. Daher versagen die sonst durchaus respektablen und vom Minister auch reklamierten Marktmechanismen.

4. Der „Bedarf“ ist selbstverständlich objektiv gegeben, nur subjektiv nicht präsent genug für eine der existentiellen Bedeutung gemäße ökonomisch manifeste „Nachfrage“.

Von diesem Sachverhalt sind zwar viele immaterielle Angebote betroffen — manche Geisteswissenschaften, Bildungs- und Seelsorgeangebote, Museen, Musik, Theater, Malerei -, aber die zeitgenössische Literatur eindeutig am schwersten. Ihre gewinnbringende und genußreiche Rezeption setzte eine Disposition des „Marktes“ voraus — ich versteige mich nicht zum Wort Qualität -, die stärkster Erosion unterliegt, durchaus zum Nachteil der selbstmörderisch abgelenkten, zerstreuten Literaturkonsumverweigerer.

5. In allen Fällen objektiv notwendiger, subjektiv nicht erkannter Werte ersetzt der Staat den versagenden Markt. Er finanziert oder unterstützt Universitäten, Krankenhäuser, Festspiele—auch Literatur: tragischerweise aber verkehrt proportional zum richtigen Ausmaß seines gebotenen Einspringens! Dieses müßte nämlich im Verhältnis zur Uneinsich-tigkeit in den wahren Bedarf gestaffelt einsetzen. Dem abstraktesten, nur langfristig, dafür aber nachhaltig bedeutsamen Bereich der Literatur wird am wenigsten geholfen.

6. Blasphemische Auflistung der realwirtschaftlichen Relevanz von Literatur:

• Ganzheitliche Grundlage der Identität einer Gemeinschaft durch sinnlich gedeckte Aufbewahrung der „wahren“ Lebensstoffe jeder Generation zu ihrem eigenen, vor allem aber zum Nutzen aller folgenden.

„Was aber bleibet, stiften die Dichter“, schreibt Friedrich Hölderlin. Dazu Heimito von Dode-rer: „Und keine Professoren werden das Wesentliche unserer Tage aufzeichnen. Vielmehr besorgt das die Romanliteratur.“

• Beitrag zum kulturellen Ansehen der Nation — das sehr wohl ein Transportmittel auch für handfeste Wirtschaftsbeziehungen ist.

• Wirksamste Vermittlung inhaltlichen Wissens von durchaus auf Umwegen umzusetzendem ökonomischem Realwert.

• Implizite — wenn auch manchmal dialektisch aufgerissene -Manifestation eines ethischen Bewußtseins, das selbstverständlich für das Gemeinwesen unersetzlich ist.

• Begründung einer geistigen Sensibilität, denkerischen Genauigkeit, die erst die humane „Bewohnbarkeit“ der Zivilisation bewirkt — insofern kommt Literatur allen Bürgern eines differenzierten Staatswesens materiell zugute, auch wenn diese selbst nichts lesen. (Dies ist die einzige moralisch-ökonomische Rechtfertigung für die Annahme eines Literaturpreises aus den Steuermitteln von Illiteraten.)

• Psychohygienische Bedeutung der Literatur für ihre Hersteller und ihre Leser; Verhinderung der sonst unvermeidlichen Umwegkosten des Gesundheitsdienstes.

• Bedeutung für Arbeitsplätze: zunächst für die Schriftsteller selbst, denn es ist ja nachgerade schon die Ausnahme, daß jemand auf eigene Kosten leben will (für bestimmte Fabriksarbeitsplätze werden zunächst je bis zu 2 Millionen Investitionskapital und später jährlich hunderttausende Schilling Verlustabdeckungen von der Öffentlichkeit aus durchaus humanistischen Motiven zugeschossen). Weiters Arbeitsplätze in Verlagen, Papierfabriken, Druckereien, Buchhandlungen, Bildungseinrichtungen, Medien, Ministerien...

7. Schlußfolgerung für die Öffentlichkeit und ihre handlungsfähigen Vertreter: Die materielle Relevanz der Literatur wird kraß unterschätzt, ohne daß sie selbst oder Marktmechanismen dies korrigieren könnten. Tatsächlich ist ein konsistenter Regelkreis zwischen Literaturproduktion und Literaturdotation nicht öko-nometrisch darstellbar.

Literaten sind stets Leidensfiguren im Vergleich etwa zu Dirigenten, bildenden Künstlern oder sonst öffentlich ihre Kunst ausübenden Solisten. Schriftsteller bieten keine optische, überhaupt keine primär sinnliche Attraktivität. Aber sie schaffen unter Schmerzen das allerfeinste Spiegelsystem, durch das blickend alle anderen sich und die Welt verstehen, verändern, genießen, entwik-keln können.

Die Spekulation, daß „genügend“ (?) Literatur auch ohne alle materielle Anreize entstehe, als brutale Aushungerung wirksam werden zu lassen, wäre ein Zynismus, eine Schurkerei, die sich fraglos zuletzt auch empirisch selbst richtete.

Honorarsätze und Literaturpreise, die weit unter dem niedrigsten Kollektivvertragsstundensatz oder Mindest Jahreseinkommen liegen, sind harter Unrechtsvollzug. Und die eingangs erwähnten Pensionskürzungen für alte Literaturschaffende sind das ebenfalls — verschärft durch die angebliche versicherungsbud-getäre Bedeutungslosigkeit dieser „causa“, für die sich nur kein „Titel“ fand.

Vielleicht findet sich einer in diesem Text. Ein Glaubwürdiger versprach neuerliche Suche.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung