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ist Platz für den Geist

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Geist - das habe ich vor einem Jahr in Rimini vor einer großen Versammlung von Gläubigen gesagt. Seit dem Konzil gibt es zwei Kurienreformen -keine revolutionären Sprünge, denn damit käme erst recht nichts zustande. Aber Reform ist immer nötig, weil ja auch das Leben ständig in Bewegung ist.

STEHLE: Müßte sich da nicht auch etwas an der Position des „Chefs", am Absolutismus in der katholischen Kirche ändern?

RATZINGER: Der Papst entscheidet nicht absolut, er ist nur Wahrer des vorgegebenen Glaubens, der auch ihn selbst wie jeden anderen bindet. Freilich wird es immer schwieriger, eine solche Aufgabe weltweit wahrzunehmen. Im übrigen handelt der Papst nicht einfach auf eigene Einfälle hin, sondern aus einer breiten Vielfalt von Beratungen heraus: Bischofssynode, Besuche ad Iimina und so weiter.

KÖNIG: Ja, der Papst selbst ist, wie du sagst, gebunden. Und daraus erwachsen eben auch vielerlei Konflikte - von der Personalpolitik bis zur Moral -, Konflikte, die vielleicht vermeidbar wären. Zum Beispiel bei umstrittenen Bischofsernennungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Da wurde in letzter Zeit in Rom oft die Meinung, das Votum der Ortskirche und ihrer Hirten nicht genug berücksichtigt. Es gab menschliches Versagen, auch Intrige, die -so sagt man - durch die Hintertür des Papstes eindrang. Ich wundere mich manchmal, daß die Kirche dies alles aushält!

RATZINGER (lächelnd): Das ist einer der Beweise ihrer göttlichen Herkunft - so heißt es in einer historischen Anekdote aus der Renaissance. Zwar wird ein Bischof, der ja die Kirche und den Glauben aller Zeiten zu vertreten hat, nicht demokratisch gewählt, aber seine Ernennung sollte schon aus dem Kennen und Hören des Volkes herauswachsen - das ist der Sinn des Informationsverfahrens.

Doch jedes System hat eben seine Schwächen...

KÖNIG: Wenn man die Kirchengeschichte überblickt, erweist sich doch manches als historisch bedingt und irrig - vom „Fall Galilei" bis zu Pius IX., der im 19. Jahrhundert in Lehrdokumenten gegen Demokratie und Menschenrechte auftrat.

RATZINGER: Ohne Zweifel belastet es das Lehramt, daß die Kirche in die Zeitgeschichte verwickelt ist. Die antiliberale Position Pius' IX., bei der man nicht jeden Satz verteidigen kann, war jedoch, auch nicht ganz falsch. Denn auch der Liberalismus war damals intolerant, kämpferisch, „dogmatisch", wenn man so sagen will. Dem Totalitätsanspruch seiner Art von „Freiheit" gegenüber mußte das eigene Wesen der Kirche verteidigt werden.

KÖNIG: Man muß unterscheiden, was Glaube, was Botschaft Christi für alle Zeiten und was zeitgeschichtliche Hülle, Beiwerk ist. Wenn das nicht auseinandergehalten wird, kommt es immer wieder zu Irreführungen.

RATZINGER: Das gilt gewiß für die ganze Dogmengeschichte und verschärft fürdie Auseinandersetzung mit dem Liberalismus und der Bibelkritik. Was vom päpstlichen Lehramt im 19. Jahrhundert dazu gesagt wurde, war nicht endgültig, es waren - so würde ich sagen - pastorale Klugheitsentscheidungen. ..

Auszug aus einem Beitrag in der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit" (29. 11. 1991).

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