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Digital In Arbeit

Ist Wertschöpfung künftig das Maß ?

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Der Siegeszug der neuen Technik ist nicht aufzuhalten. Auch Arbeitnehmerverbände müssen sich darauf einstellen. Und gleichzeitig auf härtere Verteilungskämpfe.

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Der Siegeszug der neuen Technik ist nicht aufzuhalten. Auch Arbeitnehmerverbände müssen sich darauf einstellen. Und gleichzeitig auf härtere Verteilungskämpfe.

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Es ist zu erwarten, daß durch den Einsatz der neuen Techniken die Produktivität steigen wird. Nun ist der Einsatz der neuen Techniken nicht in allen Sparten und Branchen im gleichen Maße möglich. Daher werden auch die Produktivitätssteigerungen unterschiedlich sein. So ist vor allem zu erwarten, daß sich die Produktivitätsunterschiede zwischen der Produktion und dem Dienstleistungsbereich noch ganz erheblich vergrößern werden.

Aber auch im Dienstleistungsbereich wird es erhebliche Unterschiede geben. So werden zum Beispiel bei Banken und Versicherungen zweifelsohne große Produktivitätsfortschritte möglich sein, während sie im Fremdenverkehr und im Sozialdienst' sehr gering sein werden.

Anläßlich einer REFA-Tagung in Wien wurde darauf verwiesen, daß im Bereich der industriellen Fertigung zur Erreichung des gleichen Ausstoßes wie bisher unter vollem Einsatz der Mikroelektronik ein Maschinenbedarf im Verhältnis von 43 zu 90, ein Beschäftigungsbedarf von 39 zu 195, ein Flächenbedarf von 6.600 zu 16.500 und eine Durchlaufzeit von 30 zu 91 gegenüber bisher erforderlich sein wird. Das ergibt die Quotienten 0,477 beim Maschinenbedarf, 0,2 beim Beschäftigungsbedarf, 0,4 beim Flächenbedarf und 0,33 in der Durchlaufzeit. Schon daraus ist zu ersehen, daß die größte Reduzierung beim Beschäftigtenbedarf erfolgt.

Im Dienstleistungsbereich sind nicht annähernd solche Produktivitätsfortschritte zu erreichen und wären auch nicht wünschenswert, da sie zweifelsohne mit Qualitätsverlusten und Einschränkungen der Leistung verbunden wären, zum Beispiel im Fremdenverkehr, bei der Spitalspflege. So wird es in den Produktivitätsfortschritten starke Unterschiede geben, die nach Schätzung in einer Bandbreite von 0 bis 15 Prozent liegen werden.

Das hat unverkennbare Folgen für die Beschäftigungssituation. Wenn der Produktivitätsfortschritt einer Branche oder eines Betriebes größer ist als das wirtschaftliche Wachstum, so führt das unter sonst gleichen Bedingungen unweigerlich zum Verlust von Arbeitsplätzen.

Aber auch für die Lohnpolitik der Gewerkschaften hat das Konsequenzen. Bisher waren die Gewerkschaften immer bestrebt, eine „solidarische Lohnpolitik” zu betreiben, das heißt die starken Gewerkschaften beziehungsweise Branchen gingen bei Lohnverhandlungen voraus und die schwächeren kamen hinterher, wobei der Abschluß der starken Gruppen stillschweigend als Leitlinie für die folgenden Abschlüsse galt, die zwar nie höher, aber auch nie beträchtlich niedriger lagen. Ob bei dieser stark differenzierten Entwicklung der Produktivität weiterhin eine „solidarische Lohnpolitik” möglich sein wird, ist eher zweifelhaft.

Eine generelle Ausrichtung an den Hochlohnbranchen wird aus Rücksichtnahme auf ddi Dienstleistungssektor (und hier vor allem auf den Fremdenverkehr) ebensowenig möglich sein wie eine ausschließliche Orientierung am Dienstleistungssektor, weil dies von den hochspezialisierten Fachkräften wohl nicht akzeptiert werden würde.

Deshalb ist zu erwarten, daß die Verteilungsauseinandersetzungen auch innerhalb der Arbeiterschaft zunehmen werden. Es wäre theoretisch möglich, daß sich die Lohnunterschiede vergrößern. Einige wenige hochtechnisierte Branchen werden in der Lage sein, wesentlich höhere Löhne zu bezahlen. Andere Branchen könnten sich auf einem relativ niedrigeren Lohnniveau einpendeln.

Da bei hohen Produktivitätsraten kürzere Arbeitszeiten eher zu erreichen sind, könnten sich die Unterschiede sogar potenzieren:also deutlich höhere Löhne bei kürzeren Arbeitszeiten.

Es ist allerdings kaum zu erwarten, daß die Gewerkschaften das durchhalten werden. Eher wird es schon—ja muß es wohl — zu einer höheren Besteuerung der Betriebe mit höherer Produktivität kommen (Wertschöpfungsabgabe).

Wenn immer weniger Menschen in der Lage sein werden, immer mehr zu produzieren, wird es notwendig werden, nicht mehr den Lohn (oder nur den Lohn), sondern die Wertschöpfung zur Grundlage der Besteuerung zu machen. Jedenfalls ergibt sich hier ein nicht leicht zu lösendes Problem für die Gewerkschaften.

Abgesehen von der Lohnpolitik wird es durch die neuen Techniken auf beiden Seiten, also bei den Arbeitnehmern und Arbeitgebern, immer schwieriger, allgemeine Anliegen zu formulieren, die von der Mehrheit der Mitglieder akzeptiert werden.

Forderungen der Gewerkschaften in diesem Zusammenhang sind: der Ausbau des Kündigungsschutzes, Rationalisierungsschutzvereinbarungen, eine Arbeitszeitverkürzung, eine Pausenverlängerung und die Humanisierung der Arbeit.

Damit werden vor allem jene geschützt, die einen Arbeitsplatz haben, den Arbeitslosen aber wird es erschwert, einen solchen zu bekommen. Aber auch die Beschäftigten haben nicht alle die gleichen Interessen; so haben zum Beispiel hochqualifizierte Kräfte kein Interesse an einer Verbesserung des Kündigungsschutzes.

Was die Arbeitszeitverkürzung anlangt, so wird sie zweifellos in manchen Bereichen notwendig sein. Gerade die unterschiedliche Entwicklung der Produktivität aber läßt es sinnvoll erscheinen, nicht eine generelle, sondern eine branchenweise Arbeitszeitverkürzung anzustreben. So wird also die Politik der Verbände vor neue und nicht leichte Aufgaben gestellt werden.

Der Autor, langjähriger Präsident der Arbeiterkammer Vorarlbergs, ist Präsident des Vorarlberger Landtags.

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