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Istanbuler Patriarchat am Ende?

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Repressionen der türkischen Behörden gegen Minderheiten haben in den vergangenen Jahrzehnten weit über zwei Millionen Menschen zum Auswandern bewegt. Indirekt ist dadurch auch die Weiterexistenz des Ökumenischen Patriarchats in Istanbul gefährdet.

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Repressionen der türkischen Behörden gegen Minderheiten haben in den vergangenen Jahrzehnten weit über zwei Millionen Menschen zum Auswandern bewegt. Indirekt ist dadurch auch die Weiterexistenz des Ökumenischen Patriarchats in Istanbul gefährdet.

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Die türkische Verfassung sichert allen nicht muslimischen Minderheiten, die gleichen bürgerlichen und politischen Rechte zu wie Muslimen, auch Glaubensfreiheit ist gewährleistet. Menschenrechtsorganisationen und Kirchen berichten jedoch von Grundrechtsverletzungen und Diskriminierungen. Aus diesem Grund wandern insbesondere christliche Minderheiten aus. Besonders betroffen ist das Ökumenische Patriarchat. 1923 zählte die griechische Minderheit in der Türkei noch über eine Million Angehörige, 1969 etwa 100.000,1992 geschätzte 2.000, vorwiegend in Istanbul.

Die Rechtsstellung des Patriarchats ist völkerrechtlich abgesichert: 1923 hat sich Istanbul im Vertrag von Lausanne gegenüber Griechenland und den Siegermächten des I. Weltkriegs zur Achtung der Rechte der griechischen Minderheit verpflichtet. Der Ökumenische Patriarch wurde als Oberhaupt der in der Türkei lebenden Orthodoxen, aber nur dieser anerkannt. Die Stellung als Ehrenoberhaupt von etwa 90 Millionen Orthodoxen weltweit ist dagegen für die staatlichen Behörden irrelevant.

Der Vertrag von Lausanne bestimmte auch, daß nur ein türkischer Staatsbürger zum Patriarchen gewählt werden darf, dieser nur von in der Türkei residierenden Bischöfen gewählt werden darf und die Behörden überdies das Recht haben, Kandidaten von der Wahlliste zu streichen.

Die Beschränkung der Wahl auf die türkische Staatsbürgerschaft, häufige Diskriminierungen und die ständige Emigration entbindet die Türkei möglicherweise bald von ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen: Die orthodoxe Kirche wird wahrscheinlich bald nicht mehr in der Lage sein, ihrerseits die Voraussetzungen für die Wahl eines neuen Patriarchen zu erfüllen: Es wird bald unmöglich sein, überhaupt noch Kandidaten für den Patriarchenthron namhaft zu machen.

Hochschule geschlossen

Dem hat die türkische Regierung auch durch eine weitere Maßnahme Vorschub geleistet: 1971 wurde von den Behörden die renommierte orthodoxe Hochschule von Haiki geschlossen. So ist zu fürchten, daß es innerhalb weniger Jahrzehnte keine orthodoxen Geistlichen mehr geben wird, die türkische Staatsbürger sind.

In den nächsten Jahren kann der Bestand des ökumenischen Patriarchats allerdings noch als gesichert gelten. Neben 22 Bischöfen gibt es noch etwa 20 Priester und drei junge Mönchsdiakone.

Auch Patriarch Bartholomaios hat bereits in den eineinhalb Jahren seiner Tätigkeit große Umsicht bewiesen. In sein Pontifikat fällt die erste Konferenz der vierzehn orthodoxen Kirche-noberhäupter seit Jahrhunderten (März 1992). Aufsehen hat auch der Plan zu einem Treffen mit Papst Johannes Paul II. am 25. September auf Patmos erregt.

Langfristig wird sich vielleicht eine ähnliche Entwicklung ergeben, wie sie die Patriarchate von Antiochien bereits durchgemacht haben. Die Patriarchen von Antiochien bezeichnen sich zwar nach wie vor als solche, tatsächlich residieren sie jedoch schon lange nicht mehr im mittlerweile bedeutungslosen Antiochien, sondern in Damaskus.

Der Ökumenische Patriarch ist der erste unter den rechtlich gleichgestellten Kirchenoberhäuptern. Ihm unterstehen neben den rund 2.000 Orthodoxen in der Türkei die Gläubigen auf der Dodekanes und auf Kreta sowie in der Diaspora, insgesamt somit etwa zwei Millionen Gläubige. Außerdem ist er Ehrenoberhaupt von etwa 90 Millionen Orthodoxen, über die er jedoch keine Jurisdiktionsvollmacht besitzt, da die orthodoxe Kirche landeskirchlich organisiert ist: Jedes Land besitzt eine eigene, unabhängige Hierarchie. Insgesamt sind vierzehn orthodoxe Kirchen allgemein anerkannt. Danach werden die orthodoxen Kirchen auch als russisch-orthodox, serbisch-orthodox oder rumänisch-orthodox bezeichnet. Alle orthodoxen Kirchen haben jedoch einen gemeinsamen Glauben.

Der Autor ist Leiter des Büros der Arbeitsgemeinschaft mitteleuropäischer Bibelwerke mit Sitz in Klosterneuburg.

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