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Italien: Krise ohne Ende

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Wer Italiens verschlungene innenpolitische Szenerie aus dem Blick verloren hat, mochte sich bei dieser Nachricht erstaunt die Augen reiben: Am 24. November haben sich nach langer Zeit zum erstenmal wieder ein christdemokratischer und ein kommunistischer Parteichef, Fla- minio Piccoli und Enrico Berlin- guer, an den Verhandlungstisch gesetzt.

Und dies ausgerechnet am Vortag der „Nationalversammlung“, eines neuartigen Vorparteitages, durch den die Democrazia Chri-

stiana in der vergangenen Woche öffentlich Gewissenserforschung betreiben und verlorenes Prestige zurückgewinnen wollte.

Ging es bei diesem „Gipfeltreffen“ wirklich nur um Verfassungsreformen? Dies war das offizielle Gesprächsthema; es bot jedoch auch den einleuchtenden ersten Anlaß zu einer Wiederannäherung, die aus manchen Gründen in der Luft liegt, vor allem seit Alarmsignale des Ministerpräsidenten Giovanni Spadolini das Land und seine Politiker aus der Illusion einer „kleinen Stabilisierung“ gerissen und sogar den größten, den kommunistischen

Gewerkschaftsverband CGIL, zum vorsichtigen Einlenken bewogen haben.

Mit dem ganzen Gewicht seiner Beredsamkeit war Spadolini am 18. November vor den Kongreß der dreizehnhundert kommunistischen und sozialistischen Gewerkschafter getreten, die über vier Millionen Mitglieder vertraten. Als erster Regierungschef der italienischen Republik konnte er diesen Auftritt wagen.

Was er den „Freunden Gewerkschaftern“ (wie er sie titulierte) vortrug, klang nicht nach Werbesprüchen: „Verheerend marschierende“ Inflation (über 19 Prozent) bei galoppierender Arbeitslosigkeit, „Ausplünderung“ der

Staatsfinanzen (rund 500 Milliarden Schilling Auslandsverschuldung), Korruption und Terrorismus, Verquickung von Wirtschaft und Staatsbürokratie bei hemmungslosem Ausufern des Wohl

fahrtsstaates - all das erzeuge ein „Klima des Peronismus“, setzte Italien immer mehr dem Risiko der „Südamerikanisierung“ aus.

Spadolini konnte es sich leisten, diesen durchaus ernst gemeinten Schreckschuß gleichsam aus der Hüfte abzugeben, weil der CGIL- Vorsitzende, der Kommunist Luciano Lama, schon vorher die Bereitschaft gezeigt hatte, am Sanierungsprogramm Spadolinis selbst auf die „Gefahr“ hin mitzuwirken, daß so die Regierung des linksliberalen Republikaners mehr als nur überwintern könnte.

Doch ohne den mutigen Auftritt des Ministerpräsidenten hätte der Kongreß wohl kaum mit nur zehn Prozent Gegenstimmen und Enthaltungen Lamas Vorschlag gebilligt, die Scala Mobile zum erstenmal abzubremsen-jene Rolltreppe, die in Italien bisher Löhne und Preise untrennbar und un

aufhaltsam nach oben befördert hat.

Spadolinis Vorsatz, die Inflationsrate 1982 zu programmieren und so wenigstens auf sechzehn Prozent zu senken, hat also eine Chance erhalten; allerdings nur — so fordert die Gewerkschaft —, wenn der Staat für die begrenzten Lohnerhöhungen zugleich Steuer- und Sozialabgabenerleichterungen gewähre. Und eben diese Bedingung unterhöhlt schon jetzt die Aktion, weil sie Spadolinis zweiten guten Vorsatz gefährdet, nämlich das Staatsdefizit im kommenden Jahr auf „nur“ 50.000 Milliarden Lire (etwa 665 Milliarden Schilling zu begrenzen).

Wer aber traut einer Regierung zu, die Inflation auf sechzehn Prozent zu begrenzen, wenn sie gleichzeitig neue Staatsanleihen auflegt, für die sie den Käufern 21 Prozent Zinsen verspricht? Welche Garantien kann Spadolini geben, solange er—der Exponent einer Zwergpartei — von der Gunst seiner mächtigeren Koalitionspartner zehrt, die mit sich selbst hadern?

Die Sozialisten, deren Partei- chef Bettino Craxi sich als rechtmäßiger Nachfolger Spadolinis betrachtet, schwanken. Zuweilen winken sie den Christdemokraten mit einem „eisernen Pakt“ bis zum Ende der Legislatur, dann wieder wirft Craxis Stellvertreter

Martelli ein mitleidiges Auge auf die Kommunisten: Es sei „ein Problem, das nicht wenig zählt“, daß diese seit 35 Jahren von der Regierung ausgeschlossen blieben.

Die Christdemokraten, nach 35 Jahren vom höchsten Regierungsamt entfernt, spüren, daß sie abmagern. So genau wissen sie nicht, ob sie das krank oder gesünder macht.

„Wenn wir konservativ würden, verlören wir unser Existenzrecht“, sagt Piccoli; doch bevor er sich mit Berlinguer traf, speiste er mit dem Papst. Seit Kirche und Democrazia Christiana voneinander größere Distanz halten, ist ein Zwischenraum entstanden, in dem sich ideelle Plagegeister tummeln, die der Partei das gute Gewissen und den Tatendrang zugleich vergällen.

Daß es den Kommunisten mit Moskau ähnlich ergeht, ist ein schwacher Trost für Italien. Es ist zwar heute so wenig von katastrophalen Wendungen bedroht wie Ende der siebziger Jahre, als alle Welt die „koirununisti sehe Machtergreifung“ und Schlimmeres kommen sah. Es gibt jedoch eine Form der Krise, die ihre eigenen Symptome gleichsam versanden läßt. Manche ähneln dann schlummernden Vulkanen, deren schwache Rauchfahnen kommendes Unheil ankündigen.

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