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Italien vor einem Staatsstreich?

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Die politisch-moralische Krise verbunden mit einem ökonomischen Niedergang läßt in Italien den Ruf nach dem starken Mann immer lauter werden. Die „Lega Nord" warnt vor dem Putschszenario. Der Lega-Refe-rent für EG- und Außenpolitik, Christian Monti, glaubt, daß der Lega-Föderalismus Italiens einzige Chance zur Erhaltung der Einheit ist.

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Die politisch-moralische Krise verbunden mit einem ökonomischen Niedergang läßt in Italien den Ruf nach dem starken Mann immer lauter werden. Die „Lega Nord" warnt vor dem Putschszenario. Der Lega-Refe-rent für EG- und Außenpolitik, Christian Monti, glaubt, daß der Lega-Föderalismus Italiens einzige Chance zur Erhaltung der Einheit ist.

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Als äußerst explosiv hat der Referent für außenpolitische Fragen der viertstärksten parlamentarischen Kraft in Italien, der „Lega Nord", Christian Monti, die momentane Lage in Italien bezeichnet. In einem Gespräch mit der FURCHE verwies der Lega-Spre-cher auf ein tödliches Konglomerat von politisch-moralischerund ökonomischer Krise. „Wenn die Arbeitslosigkeit (derzeit elf Prozent, Anm. d. Red.) noch weiter zunimmt, die Lira weiter verliert, die Kaufkraft geringer wird und die ökonomische Lage sich noch weiter verschlechtert, sich das alles mit der politischen Krise verbindet, dann wird es unmöglich sein, mit diesem heillos zersplitterten Parlament weiter zu regieren."

In der „Lega" macht man sich keine Illusionen: mit dieser ökonomischen Krise und der politischen Instabilität könnte man mittels Attentaten eine Panikstimmung erzeugen, die den Ruf nach dem starken Mann als letzten Ausweg erscheinen läßt. „Dann hätten jene politischen Kräfte, die mit der Krise spielen, die Möglichkeit, sich legitimiert zu sehen, indem sie darauf verweisen könnten, die Bevölkerung habe es ja nicht anders gewünscht." Und diese Kräfte sind nach Aussage Christian Montis kein Hirngespinst. „Italien steht heute an der Kippe."

Erst kürzlich hat sich der „Corriere de la Sera" über eine diesbezügliche Aussage des früheren Staatspräsidenten Francesco Cossiga alarmiert gezeigt. Für Monti kommt noch hinzu, daß Cossiga, der in sehr guten Beziehungen zu den Carabinieri steht, seinerzeit als Staatspräsident gegen das Parteiensystem (partitocrazia) gewettert hat. Diesbezüglich sei er der Bevölkerung noch gut in Erinnerung, aber - so meinte Monti - sei er selbst 30 Jahre lang eine tragende Säule des Parteiensystems gewesen, „und deshalb für uns unglaubwürdig".

Um die Unregierbarkeit Italiens zu beenden, fordert die Lega Nord ein neues Wahlgesetz und anschließend sofortige Neuwahlen. Das Proportionalwahlrecht sei mitschuld an der derzeitigen parlamentarischen Situation, sagte Monti. „Ministerpräsident Giu-liano Amato (PSI/Sozialisten) kann nur mehr mit Dekreten regieren. Das Parlament ist völlig zersplittert und gegen mehr als 100 Abgeordnete ermittelt gerade die Staatsanwaltschaft." Deswegen müßte rasch - die Lega denkt an Oktober 1993 - ein Mehrheitswahlrecht nach englischem Vorbild eingeführt werden. Dann blieben im Endeffekt nur drei Parteien -die Democrazia Cristiana, die PDS (Reformkommunisten) und die Lega Nord - übrig.

Die Einheit Italiens - so Monti zur FURCHE - kann nur durch Einführung des Föderalismus gewährleistet werden. „Die Sezession wurde von uns stets nur als allerletzte Möglichkeit in Betracht gezogen, um den Zentralismus zu vernichten; aber vor kurzem haben wir auf diese Lösung endgültig verzichtet: die Einheit des Landes stellen wir nicht mehr in Frage. Der Föderalismus ist in der Lage, die Unterschiede zu überbrücken und die Einheit des Staates zu bewahren und die Befreiung des Südens von Mafia und Armut zu ermöglichen."

Der zentralistische Staat mit seinen Altparteien habe eine gesunde Entwicklung des Südens verhindert, ihn mit Stimmenkauf zum Erhalt der Macht und mittels wirtschaftlichem, Assisten-tialismus" unterentwickelt gehalten. Man habe zum Beispiel Zigtausende falsche Invalidenrenten im Süden ausgestellt, ein Geschenk mancher Politiker an ihre Wahlhelfer; in Italien gebe es heute mehr als fünf Millionen Invalidenrenten, aber die Dunkelziffer der „echten" Invaliden sei weitaus geringer. „Mittels dieser Erpressung haben sich DC und PSI auf Nationalebene 15 bis 20 Prozent der Stimmen gesichert."

Die innenpolitischen Ziele sind neben dem neuen Wahlrecht die volle Autonomie für die italienischen Regionen, die sich nach dem Projekt der Lega in wenige große „Makroregionen" zusammenschließen sollten. Der Staat soll nur mehr für die Vertei-digungs- und Außenpolitik, für die großen Netze (beispielsweise die Post), für das Höchstgericht und für die Polizei zuständig sein. Schulwesen, Industrie, Wirtschaft sowie die Gendarmerie sollen in Regionenkompetenz fallen, die Geldpolitik müßte -wegen der europäischen Währungsunion auf Nationalebene abgewickelt werden.

An einer Art „Solidarpakt" für den Süden des Landes werde man jedoch nicht vorbeikommen, betonte Monti und fügte hinzu, daß man im Süden mit kleinen Schritten - wie der Agrarreform - beginnen müsse. Was der „Lega Nord" im Zusammenhang mit dem Föderalismus vorschwebt, steht nach seinen Worten in keinem Widerspruch zur Europäischen Union, die -im Gegenteil - immer mehr die Regionen in den Mittelpunkt stelle.

Als wichtigsten Erfolg der „Lega

Nord" wertet Christian Monti die nach den Parlamentswahlen vom 5. April 1992 entstandene neue Situation -enorme Stärkung der Lega -, die, wie auch der Mailänder Oberstaatsanwalt bescheinigt hat, dazu geführt habe, daß sich die Staatsanwaltschaft erst richtig frei fühlen konnte, um gegen korrupte Politiker vorzugehen. „Die Herrschaft der Parteien über die Gesellschaft ist gebrochen. Die Leute wissen, daß wir die einzige Partei sind, die gegen das alte System kämpft. Und solange wir gestärkt werden, wird es so etwas nicht mehr geben."

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