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Italienischer Weg — Nein, danke!

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Der Gewerkschaftsbund setzt weiter auf den pragmatischen Weg: in besseren Zeiten erworbene Sonderzahlungen sind kein Dogma, aber die Steuerreform muß kommen.

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Der Gewerkschaftsbund setzt weiter auf den pragmatischen Weg: in besseren Zeiten erworbene Sonderzahlungen sind kein Dogma, aber die Steuerreform muß kommen.

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FURCHE: Präsident Anton Benya gibt im jüngsten Jahrbuch des österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) die fast beschwörende Parole aus: „Kein Grund zur Resignation“. Andere Erklärungen des Präsidenten und mancher Gewerkschaftsfunktionäre aus allerletzter Zeit vermitteln aber doch den Eindruck einer gewissen Resignation.

FRITZ VERZETNITSCH: Weder der Präsident noch unsere Organisation resignieren. Das wäre falsch. Wenn wir an die Probleme denken, die die Gewerkschaften in der Vergangenheit zu bewältigen hatten, dann hätten die viel mehr Grund zur Resignation gehabt.

Ich halte es vielmehr mit dem Sprichwort: Wenn du nicht bereit bist, Politik zu machen, dann wird mit dir Politik gemacht. Die Arbeitnehmer können es sich heute— angesichts der Probleme, die auf uns zukommen — gar nicht leisten, daß andere über ihre Köpfe hinweg Politik machen.

FURCHE: Aber der ÖGB ist doch heute — anders als in den siebziger Jahren — öfter in Situationen, in denen er seine Position verteidigen muß und weniger offensiv agieren kann. „Nach Hainburg ist die Republik nicht mehr das, was sie vorher war“, konnte man im Dezember 1984 lesen. Gilt das auch für den ÖGB ?

VERZETNITSCH: Konkret auf das Kraftwerksprojekt Hainburg angesprochen, dann hat das tatsächlich zu einer Veränderung geführt. Der ÖGB wird nicht mehr, wie man das gern von ihm erwartet, derjenige sein, der als einziger in der Öffentlichkeit etwas vertritt, was andere auch wollen, sich dabei aber in nobler Zurückhaltung üben.

FURCHE: Da spielt sicher auch das Zwentendorf-Trauma eine Rolle. Wird der ÖGB keinen Vor-stoß mehr in Sachen A tomenergie unternehmen?

VERZETNITSCH: Der ÖGB steht nach wie vor zur friedlichen Nutzung der Kernkraft. Was Zwentendorf und Hainburg im allgemeinen betrifft: in diesen Fragen herrscht in den Betrieben ein gewisser Unmut und manchmal auch Resignation. Dahinter steckt aber eine falsche Einschätzung der Leute, die oft glauben, der ÖGB baut die Kraftwerke.

Der ÖGB hat immer lang gebraucht — ob das nun positiv oder negativ beurteilt wird —, bis er sich für etwas entschieden hat. Wenn sich der Gewerkschaftsbund aber einmal für etwas entscheidet, dann steht er auch dazu.

FURCHE: Sie gehören dem inneren Kreis des ÖGB an. Sie waren auch schon in den Zeiten der sozialistischen Alleinregierung dabei. Hat sich seither im Verhältnis ÖGB — Regierung etwas geändert?

VERZETNITSCH: Im Prinzip gilt nacn wie vor der Satz, den unser Präsident geprägt hat: Der ÖGB beurteilt jede Regierung danach, wie sie sich gegenüber seinen Forderungen verhält.

FURCHE: Täuscht der Eindruck, daß Benya mit Bruno Kreisky besser auskam als mit Fred Sinowatz?

VERZETNITSCH: Man muß dabei trennen zwischen dem, was der Sozialist Benya mit dem Sozialisten Sinowatz vereinbart, und dem, was der ÖGB-Präsident mit dem Kanzler bespricht. Da gibt es inhaltlich manche Unterschiede ...

FURCHE: mehr als früher?

VERZETNITSCH: Nein. Nur stellen sich heute andere Probleme wie in den siebziger Jahren. Damals gab es kein Verstaatlichten-Problem, wir waren nicht mit der Arbeitslosigkeit konfrontiert.

Das soll aber nicht heißen, daß es jetzt deswegen Konflikte gibt. Konflikte würde es dann geben, wenn die Regierung Maßnahmen setzt, ohne sie vorher mit den Ge-

werkschaften entsprechend abzusprechen.

FURCHE: Beim neuen ÖIAG-Gesetz hat sich die Regierung daran gehalten?

VERZETNITSCH: Die Gewerkschaften waren zu Gesprächen geladen. Darüber hinaus sind Verantwortliche der betroffenen Gewerkschaften ständig in den Informationsprozeß involviert.

FURCHE: Ein Beispiel dafür, daß die Widerstände gegenüber ÖGB-Forderungen größer geworden sind, ist die Steuerreform.

VERZETNITSCH: Zum Thema Steuerreform müssen Sie nur die Erklärungen der Finanzminister 1977,1979 oder 1983 nachlesen. Diese Erklärungen sind fast wort-ident mit jenen von Finanzminister Franz Vranitzky. Ich bin sicher, daß es am 1. Jänner 1987 eine Steuerreform geben wird!

FURCHE: Eines der zentralen Probleme des ÖGB dürfte in den kommenden Jahren sein, die Solidarität zwischen den Einzelgewerkschaften zu bewahren. Am Beispiel Arbeitszeitverkürzung: Es existiert ein ÖGB-Rahmenbe-schluß und jede Gewerkschaft muß jetzt schauen, was sie für sich herausholen kann. Kleinere Gewerkschaften könnten da leicht unter die Räder geraten.

VERZETNITSCH: Wir waren alle zusammen in den letzten 15

Jahren zu sehr von der Vorstellung geprägt: ich muß nur meinen Mitgliedsbeitrag zahlen und alles andere wird die Gewerkschaft schon für mich regeln. Aber der ÖGB ist kein Versicherungsunternehmen. Die Mitglieder selbst müssen sich engagieren.

Das mit der Entsolidarisierung hat zwei Seiten. Auf der einen Seite merken wir — wie die Demonstrationen für die verstaatlichte Industrie gezeigt haben - eine sehr starke Solidarisierung, die über die Mitarbeiter der unmittelbar betroffenen Betriebe hinausgeht.

Auf der anderen Seite meinen manche Gruppen zum Beispiel in der Frage des Ladenschlusses, warum gibt's da soviel Diskussion, im Gastgewerbe wird ja auch Samstag und Sonntag gearbei-

tet. Als ÖGB müssen wir nun darauf hinweisen, daß es im Prinzip nach wie vor nur die eine große Gruppe der Arbeitnehmer gibt und daß sich jede Veränderung in einer Gruppe auch auf andere auswirkt.

Deshalb müssen wir aufklären, warum manche Regelungen entstanden sind. Auf keinen Fall darf es so sein, daß gesagt wird: Jetzt geht's gegen den anderen. Denn wenn's dem einen schlecht geht, dann geht's dem anderen auch bald schlecht.

FURCHE: Und wie ist das mit den vielzitierten „geschützten“ Arbeitsplätzen in der Verstaatlichten?

VERZETNITSCH: Da wird oft sehr polemisch argumentiert. Derselbe Arbeitnehmer, der sich über die staatlichen Zuschüsse für Verstaatlichte erregt, denkt dabei nicht daran, daß wir zum Beispiel 20,7 Milliarden Schilling in die Landwirtschaft buttern, bei einem etwa gleich hohen Beschäftigtenstand wie dem in der verstaatlichten Industrie.

Wir sollten sachlicher argumentieren und uns nicht ständig den

Dreck selber über den Kopf schütten.

Fest steht: Wir müssen ein Wirtschaftsklima schaffen, in dem verstaatlichte wie private Betriebe ohne Dauersubventionen auskommen. Ich persönlich halte nicht viel davon, jeden Arbeitsplatz mit einer Subvention zu fördern. Bei der Jugendbeschäftigung machen wir diese Erfahrung: Unternehmer, die früher ohne Förderung Jugendliche eingestellt haben, sagen heute, ich stelle keinen Jugendlichen ein, wenn ich dafür keine Subvention vom Staat erhalte.

FURCHE: Ursprünglich sollte die verstaatlichte Industrie auch so etwas sein wie eine sozialpolitische Lokomotive. Gilt das heute auch noch?

VERZETNITSCH: Auch damals wurde gesagt, daß sich die verstaatlichte Industrie an betriebswirtschaftlichen Zielen genauso orientieren muß wie jeder private Betrieb. Die Vorreiterfunktion der Verstaatlichten liegt allein schon in der Betriebsgröße begründet.

FURCHE: Uberall in der Verstaatlichten wollen die Manager jetzt betriebliche Sonderleistungen einschränken...

VERZETNITSCH: ... das gilt für den privaten wie für den verstaatlichten Sektor.

FURCHE:Bricht da ein Damm? Kann man sich nicht mehr auf wohlerworbene Rechte verlassen?

VERZETNITSCH: In Zeiten, in denen es allen gutgeht, spricht niemand über die sogenannten wohlerworbenen Rechte. Anders ist das, wenn es wirtschaftliche Schwierigkeiten gibt.

Aus meiner Sicht sind die wohlerworbenen Rechte keine ehernen Gesetze. Wer glaubt, daß sich im Wirtschaftsleben nichts verändert, ist schlecht beraten. Deshalb werden wir uns bei allen außerordentlichen Sozialleistungen die Frage gefallen lassen müssen, ist das sinnvoll, ist das auch noch machbar.

Es darf aber nicht so sein, daß einseitig Sozialleistungen einseitig auf Seiten der Belegschaft gestrichen werden und das Management bleibt ungeschoren.

FURCHE: Europaweit einmalig ist in Österreich die starke Präsenz von Spitzengewerkschaftern in der Regierung. Führt das nicht dazu, daß dem ÖGB, wenn er gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen ins Auge faßt, die Hände ziemlich gebunden sind?

VERZETNITSCH: Würden Sie es befürworten, wenn die österreichischen Gewerkschaften den italienischen oder den britischen Weg gingen? Jedes Land muß für sich selbst ausloten, ob eine bestimmte Taktik sinnvoll ist oder nicht.

Wir im ÖGB glauben nach wie vor, daß der Sozialminister aus unseren Reihen kommen soll. Darüber hinaus ist es durchaus legitim und vielleicht auch notwendig, daß wir uns mehr als bisher die Frage stellen, ob eine Vertretung als Gewerkschaft in dem einen oder anderen Bereich auch sinnvoll ist.

FURCHE: Hegen Sie irgendwelche Präferenzen hinsichtlich einer bestimmtenRegierungskoa-lition?

VERZETNITSCH: Jede demokratische Regierung ist mir recht. Für den Gewerkschaftsbund wäre es vielleicht nur unter einer ÖVP/ FPO-Regierung schwieriger. Die ÖVP allein ist dabei sicher nicht das Problem. Im ÖGB haben wir ja christliche Gewerkschafter, die dann in die Rollen eintreten, die heute die sozialistischen Gewerkschafter ausfüllen.

Mit Franz Verzetnitsch, dem leitenden Sekretär im OGB sprachen Gerhard Popp und Tino Teller.

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