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Italiens vorgeplante Krise

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In Rom gilt es als Gemeinplatz, daß die am 16. Jänner ausgebrochene Regierungskrise alles andere als eine Kürzschlußhandlung gewesen sei. Zwar haben die drei großen Linksgewerkschaften auf Mitte Jänner einen Generalstreik angekündigt, und vor neun Jahren reichte eine solche Ankündigung bereits aus, daß der damalige christlichdemokratische Ministerpräsident Mariano Rumor kurzerhand seinen Hut genommen hatte. Der jetzige Kabinettssturz schien aber von langer Hand vorbereitet gewesen zu sein: Der Republikanerführer La Malva hatte die Krise bereits vor vier Monaten als politisches Druckmittel empfohlen, und KPI-Chef Enrico Ber-linguer griff den Gedanken bald darauf in Gesprächen, Interviews und öffentlichen Erklärungen auf und stellte ihn zur Diskussion. I

Schließlich vermochte Mitte Dezember nur noch das Christkind Andreotti zu retten. Nach den ungeschriebenen - und vielleicht gerade darum umso wichtigeren — Gesetzen der italienischen Politik, kommt es vor Weihnachten, Ostern oder dem Fest Maria Himmelfahrt (Ferragosto) nie zu einer Regierungskrise. Als würden die mächtigen italienischen Matronen mit Rückendeckung der manchmal noch mächtigeren Großmüttern ihren schlechteren Hälften erklären: „Nachher könnt ihr tun, was ihr wollt. Aber die drei Höhepunkte des christlichen Festkalenders müßt ihr friedlich und zu Hause, im Schöße der Familie, nicht im Parlament oder gar in den Parteizentralen verbringen.“

Es mag den einen und anderen Leser tröstlich stimmen und zuversichtlich nach Italien blicken lassen, daß in diesem Lande offenbar sogar Kommunistenführer und Gewerkschaftsbosse sich an solche Spielregeln des Zusammenlebens halten und in Referenz zu den Geboten der Kirche und des über alles gehenden Familienverbandes offenbar mit einer Regierungskrise zuwarten können. Zu weniger Optimismus berechtigt die „Beinah-Gewißheit“, daß diese Krise von verschiedenen Seiten geschürt wurde, um der KPI die Möglichkeiten einzuräumen, einen weiteren Schritt vorwärts in Richtung einer vermehrten Machtbeteiligung zu tun.

La Malvas Krisen-Vorgeplänkel ging von der Voraussetzung aus, daß eine große Partei wiadie KPI, die das Kabinett Andreotti nur durch Stimmenthaltung über Wasser hielt, die großen Probleme des Landes - Wirtschaftskrise und öffentliche Sicherheit - nicht meistern konnte. Darum müßten die Kommunisten zu vermehrter Regierungsverantwortung herangezogen werden. Dies ließe sich durch Aufnahme der KPI in die Regierungskoalition bewerkstelligen. Wenn die kommunistischen Abgeordneten und Senatoren einem neuen DC-Kabi-nett das Vertrauen zusagen und seine Gesetze nicht nur verstohlen, wie bereits seit Juli 1977, sondern ganz offen unterstützten, erhielte die Regierung eine beträchtliche Autorität. Dadurch ließe sich die Allmacht der Gewerkschaften (lies: verhängnisvolle Streiks) brechen und bestehe Aussicht auf eine Regierungsführung über das bloß notdürftige Reagieren hinaus.

Zahlreiche Sozialdemokraten und Christdemokraten, ja sogar Liberale dachten ähnlich wie Republikanerführer La Malva. Die KPI sollte in die Regierungsmehrheit aufgenommen werden, um die parlamentarische Mehrheit zu vergrößern oder überhaupt erst herzustellen. Auf solche Weise könnten die Kommunisten endgültig der Oppostion abspenstig gemacht werden.

Gelingt das Vorhaben, zeichnet sich am Horizont eine große parlamentarische Mehrheit ab, wie sie seit 1949 nicht mehr bestanden hat. Bekanntlich regierte De Gasperi zwischen 1948 und 1953 mit einer relativ bescheidenen Mehrheit der sogenannten Zentrumsparteien: Christdemokraten, Liberale, Sozialdemokraten und Republikaner. Auch später brachten die christlichdemokratischen Ministerpräsidenten selbst mit den Nenni-So-zialisten kaum mehr als 60 Prozent der Abgeordneten und Senatoren hinter sich. Die Aufnahme der KPI in die Regierungskoalition könnte beim jetzigen Stand der Sitzverteilung im italienischen Parlament einer künftigen Regierung fast 90 Prozent der Stimmen bescheren. Daß unter solchen Vorzeichen inländische und ausländische Unternehmer bereit sein könnten, ihre Kapitalien in das „Stiefelland“ (zurück-)fließen zu lassen, ist bei einer Tagung von über hundert Managern des weltweiten „Geschäftsherrenverbandes“ Business International vor drei Monaten offen in Erwägung gezogen worden.

Natürlich stellt sich an diesem Punkt die Frage, ob solche Aussichten und Vorstellungen den harten Realitäten des politischen Machtkampfes zwischen Ost und West auch in Italien standhalten und nicht wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Wer lacht zuletzt und am besten bei diesem Seilziehen zwischen Berlinguer und Moro, La Malva und Andreotti, Breschnew und Carter? Läßt sich die KPI in die Regierungsmehrheit aufnehmen, ohne sie nachher maßgeblich bestimmen, ja dirigieren zu wollen? Dient sie einem Berlinguer als weiterer Schritt auf dem Wege zu einer Machtbeteiligung oder gar zu einer Machtergreifung? Soll über die bloße Unterstützung einer „bürgerlichen“ Regierung lediglich die Phase einer direkten Regierungsbeteiligung mit Besetzung bestimmter - immer wichtigerer - Ministerposten eingeleitet werden? Dienen die anderen Parteien der KPI als bloße Wegbereiter und - im Sinne Lenins - als nützliche Idioten, derer sich die kommunistischen Drahtzieher sobald wie möglich entledigen, um schließlich im Stil anderer kommunistischer Länder die praktische Alleinherrschaft auszuüben?

Dies sind die bangen Fragen hinter der Auflösung einer Regierungskrise, die von Seiten der italienischen Massenmedien fast unisono als „Krise im Dunkeln“, das heißt, „Sprung ins Ungewisse“ bezeichnet wurde, vielleicht aber nach dem genauen Fahrplan einer schrittweise vermehrten Machtbeteiligung der KPI abläuft. Ein Fahrplan, der vielleicht in und mit Washington - möglicherweise sogar Moskau - abgesprochen wurde.

Im Lager der Christdemokraten herrscht Zuversicht, daß die vermehrte Regierungsverantwortung der KPI - etwa über eine bloße Technokratenregierung von Sachverständigen auf Gnaden der Linksparteien- für die Democrazia Cristiana nicht tödlich zu sein brauche: Schließlich hätten sich die KPI-Exponenten durch den Historischen Kompromiß mehr und mehr von dem eigenen (stalinistischen und anarchistischen) Fußvolk entfremdet und könnten über bestimmte Zugeständnisse (lies: Machtzuwachs und fette Pfründen) für das bestehende System gewonnen werden. Andere sind skeptisch und gar resigniert, weil sie in der KPI einfach nicht Sozialisten von der Art der Gefolgsleute Nennis sehen, die zwischen 1962 und 1976 tatsächlich auf diesem Wege der vermehrten Machtbeteiligung für eine Zusammenarbeit mit den Christdemokraten herangezogen werden konnten. Für diese Beobachter hat jede demokratische Partei schon deshalb das Nachsehen, weil eine KP Kraft ihrer Eigengesetzlichkeit, straffen Führung und hierarchischen Gliederung schneller und besser agieren und reagieren könne. Dadurch sei es ihr schließlich möglich, ihre Widersacher in die Wüste zu schicken.

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