„Ja, Bosnien ist das Land des Hasses"
In einem Brief läßt der Autor einen Freund aus Sarajewo zu Wort kommen, der ihm 1920 zuletzt begegnet ist. Er werde die Heimat seiner Jugend verlassen, schreibt er, weil Bosnien ein Land des Hasses sei.
In einem Brief läßt der Autor einen Freund aus Sarajewo zu Wort kommen, der ihm 1920 zuletzt begegnet ist. Er werde die Heimat seiner Jugend verlassen, schreibt er, weil Bosnien ein Land des Hasses sei.
Bosnien ist ein herrliches, interessantes und keineswegs gewöhnliches Land, sowohl was seine Landschaft betrifft als auch seine Menschen. Und wie sich dort unter der Erde so manche Bodenschätze finden, so verbirgt auch der bosnische Mensch in sich mancherlei moralische Tugend, die man bei seinen Landsleuten in den anderen Gebieten Jugoslawiens seltener antrifft. Aber siehst Du, es gibt dort etwas, was die Menschen Deiner Art nicht außer acht lassen dürften: Bosnien ist ein Land der Angst und des Hasses. Lassen wir die Angst beiseite, die nur ein Korrelativ des Hasses ist, sein natürliches Echo.
Sprechen wir vom Haß. Ja, vom Haß. Auch Du zuckst instinktiv zusammen und protestierst, wenn Du dieses Wort hörst (wie ich schon in jener Nacht auf dem Bahnhof gesehen habe), wie jeder von euch sich dagegen wehrt, das zu hören, zu begreifen und einzusehen, aber es handelt sich gerade darum, daß man es einsehen, festhalten und analysieren muß. Das Unglück besteht darin, daß niemand dies tun kann und will.
Denn das fatale Charakteristikum dieses Hasses liegt darin, daß der bosnische Mensch sich seiner gar nicht bewußt ist, obwohl er in ihm lebt; daß er es vermeidet, den Haß zu analysieren und jeden haßt, der versucht, es zu tun. Und doch ist es eine Tatsache: in Bosnien und der Herzegowina gibt es mehr Menschen, die aus verschiedenen Motiven und mit den verschiedensten Ausreden in den Ausbrüchen dieses unbewußten Hasses bereit sind zu töten und sich töten zu lassen, als in anderen an Bevölkerungszahl und Raum viel größeren Ländern, seien es slawische oder nicht.
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