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Ja zu „Holocaust“

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Am 1., 2., 3. und 4. März wird FS 2 im Abendprogramm den amerikanischen Vierteiler „Holocaust“ zeigen: das Schicksal einer jüdischen Familie in der NS-Verfolgung. Ansehen und nachdenken: Das ist eine unerläßliche Pflicht! Als Nachdenkhilfe bietet die FURCHE zwei Beiträge auf dieser Seite an und wird nächste Woche noch einmal das Thema berühren.

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Am 1., 2., 3. und 4. März wird FS 2 im Abendprogramm den amerikanischen Vierteiler „Holocaust“ zeigen: das Schicksal einer jüdischen Familie in der NS-Verfolgung. Ansehen und nachdenken: Das ist eine unerläßliche Pflicht! Als Nachdenkhilfe bietet die FURCHE zwei Beiträge auf dieser Seite an und wird nächste Woche noch einmal das Thema berühren.

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Über „Holocaust“ zu reden oder zu schreiben, bedeutet zweierlei: sich dem Film zu stellen und zu versuchen, die Reaktionen darauf zu deuten. Denn die ungeheure Welle der Rezeption zeigt, daß hier nicht nur „Vergangenheit bewältigt“, sondern gegenwärtig Verdrängtes entsichert wird.

Vergangenheitsbewältigung war bisher: Das vergangene Grauen so festzuhalten, wie es war, Dokumentationen anzulegen, die jedem Versuch späterer Geschichtslügen standhalten, die so für sich sprechen sollten, daß die Empörung über ver-

gangene Verbrechen gleichsam von selbst zur Schranke gegen Zukünftiges wird.

Dieses historisierende Festhalten hat weder ausgereicht, um ehemalige Massenmörder und ihre Handlanger vom Unrecht ihres Tuns zu überzeugen, noch das Ferment aufzulösen, das aus der nazistischen Gewalttradition neuen Faschismus hervorbringt, noch jene Gleichgültigkeit zu besiegen, die Unvorstellbares zu den Akten der Väter legen will.

Denn hier ist der Satz, daß gegen Fakten Argumente nichts ausrichten, außer Kraft gesetzt. Die Fakten sind unbezweifelbar. Die Gegenargumente derer, die Geschichte einebnen und verharmlosen wollen, ruhen auf dem Glauben, daß derartiges nicht geschehen darf.

Sie sagen: „Die Berichte sind übertrieben!“ Und: „Wer spricht von den deutschen Blutopfern?“ Natürlich sind die Argumente falsch, da sie Rechtfertigung nahelegen, in Wirklichkeit aber ein Appell sind, Schuld zu vergessen. Der Glaube, auf dem sie ruhen, ist irrational. Die Aufarbeitung der Schuld braucht aber andere Argumente und einen anderen Glauben.

„Holocaust“ wirft die Fragen auf: Warum wirkt das Erinnern dieser Vergangenheit jetzt? Welche Art von Glauben wird gegen das Vergessen-und Verdrängen-Wollen provoziert? Wo sind die Ansätze zur Identifikation mit dem Gezeigten? Wie argumentiert der Film?

Am einfachsten ist es, mit der letzten Frage zu beginnen. Die dominierenden Bilder in „Holocaust“ sind Bilder aus dem Privatleben. Das Hauptmotiv dieser Ebene ist das Thema der Trennung und des Sich-Wiederfindens.

Es sind Paare, die zusammenhalten, bedroht werden, bestehen oder zugrundegehen. Zwischen diesen Paaren, die Grenzmöglichkeiten zeigen, die Fülle der anderen Schicksale, die wir bis zu ihrem Ende verfolgen: die Ausrottung einer Familie und den Beginn einer neuen Identität im Widerstand. Folie dieser Geschichte sind die Bilder der Masse, am eindrücklichsten die Bilder des Zuges - Menschen, die zur Schlachtbank geführt werden.

Aber zwischen den Einzelschicksalen und dem Volk gibt es noch die Ebene der Gruppe: Besprechungen, in denen es um die Organisierung des Massenmordes auf der einen Seite, um Flucht oder Widerstand auf der anderen Seite geht. Auch die hierarchischen Elemente des Befeh-lens und Gehorchens gehören in diesen Bereich.

Auf dieser Ebene werden alle wesentlichen Aussagen des Films gemacht: erstens durch dokumentarische Bilder (Diaserien, die als Dokumente der Vernichtung vorgeführt werden) und zweitens durch Aussprüche, die sehr oft Originalzitate

sind, die den Handelnden in den Mund gelegt werden.

Die Ebene der Gruppe ist die Ebene der intellektuellen Identifikation. Es wird ausgesprochen, daß der Haß gegen die Juden als Feindbild im Inneren politisch verwertet werden soll; daß dieses Feindbild moralischreligiös gestützt wird, so daß es zu einem Vorrecht der Herrschenden führt, die Juden zu strafen.

Die Grenzen, die aber jede Politik bisher diesem Strafen gezogen hat, gelten nicht mehr im Faschismus. Es werden nur Bedingungen, nicht aber die Ursache für den hemmungslosen

Ausbruch der Aggression angegeben; wohl aber erscheint technische Machbarkeit des Massenmordes als Hauptbedingung.

Natürlich kennt man die Bestandteile der Nazi-Ideologie. Aber hier werden sie vorgeführt. Die Identifikation auf dieser Ebene besteht darin, daß glaubhaft wird: Ja, so müssen sie sprechen, papierern und pathetisch, zitierte Phrasen, die dem Einbau der Originalzitate recht geben!

Sehr eindrücklich wird die Ver-dinglichung der Sprache vorgeführt. Nicht umsonst ist der Organisator der Vernichtung ein Meister der Sprache, dem es gelingt, alle „Aktionen“ als technische | Probleme darzustellen und zu propagieren.

Die intellektuelle Identifikation besteht darin, daß sich der Zuschauer sagt: Ja, so mußte es ablaufen, wenn'

das Ganze kein historischer Unfall oder Zufall gewesen ist!

Auf derselben Ebene das Verhalten der Opfer: Sie leben zuerst in der Idylle des assimilierten jüdischen Bürgertums, von „Politik“ weitgehend unberührt. „Solches darf nicht geschehen“ - das ist zunächst eine Abwehrformel der Verleugnung der Realität. Die Basis des Uberlebens durch Anpassen wird immer schmäler. Zugleich wird es immer schwieriger, zu folgen. -

Anteilnahme am Schicksal von Menschen, die im Nichts verschwinden, die sich abführen lassen, entzieht der Identifikation den Boden. Anteilnahme schlägt erst wieder in Identifikation um, sobald aus den Opfern Täter werden. Das ist der Wendepunkt des Films.

Sich-nicht-umbringen-Lassen ist der Appell zum Widerstand, zugleich eine Absage an die Sentimentalität: „Dein Gegner will dich weinen sehen, und wenn er dich weinen sieht, bringt er dich deshalb um!“ Wo abef aktiver Widerstand nicht möglich ist,

wird aus dem passiven Verharren das Zeugnis: „Jeder, der überlebt, wird ein heiliger Zeuge.“

Es mag sein, daß die emotionelle Identifikation, die auf der Ebene des privaten Schicksals beginnt, auch Abwehrformeln wie den oft gehörten hervorbringt, daß es sich hier um einen „Hollywoodschinken“ handle. Ich glaube, daß es sich bei einer solchen Kritik nicht nur um Anwendung einer ästhetischen Kategorie handelt, sondern daß diese Abwehrformel ein Ausdruck der Scham ist, sich in das Schicksal fremder Menschen hineinziehen zu lassen.

Sofern dies reine „Anteilnahme“ bleibt, kann der Film durchaus als Kitsch genommen und abgewertet werden. Aber das ist eine Entscheidung des Beobachters, sich eben nur bis zur Kitschgrenze berühren zu lassen und dem Argument des Films nicht zu folgen.

Das Widerstandsargument wird durch einen unkomplizierten, „natürlichen“ Menschen verkörpert, der von den Belastungen der Vergangenheit frei ist. Er sammelt „ein neues Volk“, mit dem er sich in das Land der Verheißung durchschlägt.

Die Geburt einer neuen Identität geschieht im Rückgriff auf alte Mythen, die verwirrend einfach in der Person der Haupthelden verknüpft sind. Da ist das Motiv des Anführers, der sein Volk „aus Ägypten“ in das Gelobte Land führt. Es geht zusammen mit dem „neuen Menschen“, der sich, indem er die Grenzen der alten Gesellschaft durchbricht, im amerikanischen Westen eine neue Welt schafft. Der neue Mensch trägt die Spuren des alten an sich. Jüdische Religion und Folklore sind da, sie geben aber nur Lokalkolorit.

Es ist ein Durchbruch zum „Allgemein-Menschlichen“, der hier gefeiert wird. Die zionistischen Motive können nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Speziell-Menschliche, das konkrete geschichtliche Juden-

tum, das vernichtet wurde, auch hier der Geschichte, wenn auch in der Form des ehrenden Erinnerns, überantwortet wird. Es ist dies ein latenter Widerspruch zum echten jüdischen Motiv der Zeugenschaft, zum Erwähltsein in einer konkreten geschichtlichen Gestalt, das genau in dieser provozierenden Einmaligkeit Feindschaft und Versöhnung stiftet.

Warum „Holocaust“ jetzt wirkt, ist durch das Gesagte sicher nicht hinreichend erklärt.

'Am wirksamsten scheinen die latenten Appelle zu sein: Daß Identität im Widerstand gegen eine alles überrollende, alle technischen Mittel einsetzende Macht zu gewinnen ist. Daß das Durchschauen dieser Macht keineswegs ausreicht, ihr Widerstand zu leisten, obwohl es unabdingbare Voraussetzung des Widerstands ist.

Zwischen politischem Widerstand und den Symbolen einer neuen Identität entsteht ein leerer Raum. Die Zeugen der Menschlichkeit in diesem leeren Raum werden noch gesucht.

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