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Ja zur Sonnenenergie Nein zum Sonnenkönig

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Während für den Mathematiker die erste Volksabstimmung in der Geschichte der Zweiten Republik mit einer Mehrheit von 50,47 Prozent für die Gegner der Kernkraft und des Werkes Zwentendorf entschieden wurde, müssen die Politiker jetzt wieder von vorne anfangen: Die Österreicher haben in einem großartigen Einsatz - und so kann man die Wahlbeteiligung von beachtlichen 64 Prozent der Stimmberechtigten wirklich bezeichnen - den Ball in die politische Arena zurückgespielt.

Fast möchte man meinen, die Österreicher haben sich einmal an den Politikern gerächt: Dem Volk war eine unverdauliche Fragestellung in einem von unnötigen Emotionen, Unterstellungen und Uber-treibungen gespickten Wahlkampf vorgesetzt worden. Jetzt hat das Volk eine Antwort serviert, die auch noch so erfahrenen Politikern neue Rätsel aufgibt.

Freilich, Zwentendorf wird nicht in Betrieb gehen.

Aber, was wollten die Österreicher mit ihrem Votum vom Sonntag wirklich mitteilten: Sind sie grundsätzlich gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie oder sind sie nicht grundsätzlich gegen die Kernenergie, halten vielmehr das Werk Zwentendorf für nicht sicher genug? Sind sie für gebremste Wachstumspolitik oder wollen sie weiterhin ungezügeltes Wachstum, nur ohne Zwentendorf? Sagten sie Ja zur Sonnenenergie oder Nein zum Sonnenkönig?

Ausgesprochen überrascht hat viele Beobachter der Umstand, daß die Atomgegner auch bei einer hohen Wahlbeteiligung die - wenn auch äußerst knappe - Mehrheit erringen konnten. Vielfach wurde behauptet, die Gegner hätten nur bei einer schwachen Wahlbeteiligung, bei 50 Prozent und darunter, eine Chance.

Eine der vielfältigen Ursachen (die mit der Volksabstimmung zusammenhängenden Phänomene können sicher nicht monokausal erklärt werden) mag im falschen Einsatz der Meinungsforschung durch die Atom-Befürworter liegen: Sehr früh

waren Umfragen in Umlauf, wonach die Abstimmung etwa 56 : 28 („Kronen-Zeitung“) für die Ja-Sager ausgehen könnte.

Mehrere derartige Veröffentlichungen können dem Gewissen vieler Befürworter am Abstimmungstag ein so sanftes Ruhekissen bereitet haben, daß sie keine Notwendigkeit sahen, an der Abstimmung teilzunehmen. Umgekehrt dürfte es bei den Gegnern gewesen sein: Durch Wochen hindurch betrieben sie die Generalmobilmachung, um den Befürwortern die Beute nicht kampflos zu überlassen.

Die Verleumdung, auf der Seite der Zwentendorf-Gegner sammelten sich in bemerkenswerter Weise Rechtsextremisten und Maoisten, hat sich selbst gerichtet: Oder glaubt jemand daran, daß es in Österreich, dem Land ohne Krawalle und Streiks, 1,6 Millionen Extremisten gibt?

In vielen Städten, in denen es sonst sozialistische Mehrheiten gibt, entschied sich die Mehrheit der Abstimmenden gegen Zwentendorf. Unwahrscheinlich viele junge Leute stießen zu den Gegnern: Jene Menschen die täglich im städtischen Verkehr, angesichts der vielfältigen Bedrohungen der Umwelt die Grenzen der Technik und des Wohlstandes zu spüren bekommen, sagen Nein. Die Jugend sagt Nein, weil sie selbst mit den Problemen dieser Welt noch Jahrzehnte zu kämpfen haben wird.

Kanzler Bruno Kreisky hat hingegen den vielleicht entscheidenden politischen Fehler seines Lebens gemacht. Er hat sich mit dem ganzen Gewicht seiner Persönlichkeit für Zwentendorf ins Zeug geworfen. Er hat sein Schicksal mit der Zukunft Zwentendorfs verknüpft. Wenn die Sozialisten jetzt auch sagen, die Österreicher brauchten Kreisky viel notwendiger als Zwentendorf, so

steht doch fest: In praktisch allen Gemeinden Österreichs wurden Kreisky und seine Partei von den Genossen im Stich gelassen.

Und nicht nur das. Ein vielleicht ausschlaggebender Teil der Stimmberechtigten blieb der Abstimmung fern. Frei nach dem Motto: Extrawurst ist gut. Wenn Kreisky Extrawurst auch schmeckt, ist sie deswegen nicht schlecht; also halt ich den Mund.

Einen weiteren vielleicht ebenso ausschlaggebenden Teil der Stimmberechtigten hat Kreisky durch sein massives Ja aus der Ecke potentieller Nichtwähler den Gegnern in die Arme getrieben.

Mehr als eine Statistenrolle hatten diesmal die Vorarlberger zu spielen: Für sie galt es, gleichzeitig mit Zwentendorf, das ja gottlob recht weit hinter dem Arlberg hegt, das schweizerische Kernkraftwerk im nahe der Grenze gelegenen Ort Rüthi abzuwehren. Mit einer Wahlbeteiligung von 75,8 Prozent und einem Nein-Anteil von 84,4 Prozent der gültigen Stimmen bereiteten sie den Sozialisten ein Fussach Nummer 2: Ein Super-Fussach.

Daß die in der Wolle eher „rot“ eingefärbten Länder (Wien, Kärnten, Burgenland) eher mit Ja stimmen würden, war anzunehmen; aber daß Österreich praktisch in zwei Hälften auseinanderfiel, eine östlich und südlich der Enns und eine westlich der Enns, kam doch etwas überraschend. Vor allem gibt es für die relativ starke Zwentendorf-Mehrheit in der Steiermark im Gegensatz zur soliden Gegnerschaft der Oberösterreicher kaum zureichende Erklärungen. Für die Ja-Länder Kärnten, Steiermark und Burgenland kann freilich gelten, daß hier die Probleme der Vollbeschäftigung am größten sind. Erzielten hier die Arbeitsplatz-Argumente von SPÖ und Gewerkschaft ein besseres Resultat?

In vielen Kleingemeinden bäuerlicher Struktur hatten die Zwenten-dorf-Anhänger Oberwasser: Ob die Landwirtschaft mehr auf die Segnungen der Technik zählt, auf emotionelle Argumente nicht so leicht anspricht?

Abgesehen von den vielen Detailergebnissen, die sehr unterschiedliche Deutungen zulassen, sollten nach diesem 5. November zwei Thesen grundsätzlich außer Streit stehen: Daß alle engagierten und organisierten Atomgegner, einschließlich vieler Exponenten der katholischen und evangelischen Kirche, jetzt mit voller Kraft und Verantwortung an der Auffindung neuer Wege mitzuarbeiten die Pflicht haben. Und daß die Politiker einsehen sollten, daß es recht praktisch wäre, zuerst das Volk zu fragen und dann „Zwentendörfer“ zu bauen und nicht umgekehrt.

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