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Jahr der Familie ?

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Wie schwierig es heute ist, über Familie zu sprechen, zeigte ein Seminar am Wiener UNO-Sitz. Daß dabei doch Erfolge möglich sind, ist erfreulich.

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Wie schwierig es heute ist, über Familie zu sprechen, zeigte ein Seminar am Wiener UNO-Sitz. Daß dabei doch Erfolge möglich sind, ist erfreulich.

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„Bedroht die Familie die Freiheit ihrer einzelnen Mitglieder?“, war das provokante Thema eines Treffens von Organisationen mit UNO-Beobachter-Status am Sitz der Internationalen Organisationen vorige Woche in Wien. 25 Einrichtungen, denen das Thema Familie ein Anliegen ist, waren zusammengekommen, um zu klären, ob man der UNO die Abhaltung eines „Jahres der Familie“ empfehlen sollte.

Um es gleich vorwegzunehmen: Dieses Anliegen wird an die UNO-Generalversammlung herangetragen werden, und die Aussichten, daß 1994 oder 1995 weltweit zum „Jahr der Familie“ erklärt wird, sind groß. Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Dennis Callagy wird einen entsprechenden Antrag vorbereiten.

Dieses Ergebnis ist erfreulich — vor allem deswegen, weil es in der pluralistischen Welt von heute gar nicht leicht ist, über Familie zu sprechen. Das war auch bei dieser Tagung spürbar, waren dort doch so verschiedene Organisationen wie „Pax Christi“, das „Internationale Katholische Büro für das Kind“ (IKBK) auf der einen und „International Planned Parenthood Federation“ oder „Pro familia“ auf der anderen Seite vertreten.

Allgemein spürbar war unter diesen Voraussetzungen die Sorge, allzu rasch mit Wertungen bei der Hand zu sein. Diese Vorsicht prägte nicht nur das Hauptreferat, das Marie-Therese Meulders, Präsidentin der „Internationalen

Gesellschaft für Familienrecht“ gehalten hat, sondern auch das Gespräch in den Arbeitsgruppen.

Woran liegt das? Da ist zunächst die Unfähigkeit, Konsens darüber herzustellen, was man überhaupt unter Familie zu verstehen habe. Das bereitet vor allem den Vertretern der Industrieländer Schwierigkeiten, haben doch gerade in diesen Ländern vielfach traditionelle Formen des Zusammenlebens (lebenslange Paarbindungen, Zusammenleben von mehr als zwei Generationen, Kinderreichtum) ihre prägende Wirkung verloren.

Im Interesse der modernen Gesellschaft steht das Individuum. Ihm werden vom Staat Rechte zugesagt und zugesichert. Ihre Hauptstoßrichtung ist die Gewährleistung eines möglichst hohen Maßes an Freiheit und Gleichheit.

Diesem Anliegen kann nun Familie sicher auch im Wege stehen. Das geschieht vor allem dort, wo das familiäre Naheverhältnis mißbraucht wird. Gerade die Rezeption des Römischen Rechts in der Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts bot durch die besondere Privilegierung der Stellung des Mannes dazu auch rechtliche Ansatzpunkte.

Als Reaktion darauf sei jedoch, wie Meulders ausführte, in jüngster Vergangenheit ein Rückzug des Staates aus der Familiengesetzgebung überhaupt zu beobachten. Familie werde in den Industrieländern zunehmend als rein privater Bereich betrachtet. Die Staaten gehen zunehmend dazu über, eine neutrale Haltung gegenüber unterschiedlichen Lebensformen einzunehmen.

Eine markante Illustration dieser Einstellung ist die von Meulders zitierte Definition von Ehe des schwedischen Justizministers H. Kling: „Ehe ist die gewollte Verbindung zweier unabhängiger Personen.“ Jeder Erwachsene müsse für sich selbst sorgen, sei die Meinung des Ministers.

Keine Frage, daß damit eine Grundtendenz heutigen Denkens zum Ausdruck gebracht wird. Von dieser Warte aus gesehen muß Familie, deren Merkmal gegenseitige Verpflichtung der Beteiligten ist, mit den Unabhängigkeitsansprüchen des einzelnen im Konflikt stehen.

Wird diese Sicht der Dinge aber den tatsächlichen Lebensumständen gerecht? Entspricht sie nicht bestenfalls den Bedürfnissen je- ner Menschen, die im Vollbesitz ihrer ökonomischen, geistigen, körperlichen und sozialen Möglichkeiten sind? Fallen da nicht alle Schwachen durch den Rost — vor allem die Kinder?Diese Sorge wurde deutlich im Arbeitskreis, der sich mit der Situation der Kinder befaßte, angesprochen:

„Hat nicht der teilweise berechtigte Kampf gegen die Diskriminierung der Frau zu einer Benachteiligung der Kinder geführt?“, fragte eine Teilnehmerin.

Und man müßte weiter ergänzen: zur Diskriminierung der Kranken, Behinderten, der Alten ... Es stimmt: Da bleibt das Recht der Kinder, einen Vater und eine Mutter zu haben, liebevoll ernst genommen zu werden und damit zur persönlichen Entfaltung zu gelangen, auf der Strecke. Die sich daraus ergebenden Verpflichtungen lassen sich nicht zwangsverordnen. Wohl aber kann man Familie begünstigen, damit Kinder zu diesem Recht kommen. Dazu soll das in Aussicht genommene Jahr der Familie beitrage.

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