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Jahrhundertprojekt soll die Kornkammer retten

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Das Marchfeld, oft auch als „Kornkammer Österreichs" bezeichnet, ist am Austrocknen. Dem 45 Kilometer langen und 30 Kilometer breiten Gebiet im Osten Österreichs droht die Versteppung.

Die Idee, durch einen Kanal Donauwasser in das Marchfeld zu leiten und dadurch das weitere Absinken des Grundwasserspiegels zu verhindern, ist bereits jahrhundertealt. Ein vor zwanzig Jahren entstandenes Kanalkon-

zept konnte aus technischen und finanziellen Gründen nicht verwirklicht werden.

Die Niederösterreichische Landesregierung beauftragte daraufhin die Niederösterreichische Siedlungswasserbau-Gesellschaft (NÖSIWAG) mit der Ausarbeitung eines realisierbaren Konzeptes.

Der im Oktober 1982 zwischen dem Land Niederösterreich und dem Bund unterzeichnete Staatsvertrag hat u. a. auch den Bau des Marchfeldkanales zum Inhalt. Die NÖSIWAG, bisher mit der Planung betraut, wurde im August des Vorjahres von der Planungsgesellschaft Marchfeldkanal (paritätisch mit Vertretern von Bund und Land besetzt) abgelöst, welche die technische Konkretisierung des Projektes, die Berechnung der Errichtungs- und Folgekosten sowie die Erarbei-

tung von Finanzierungsplänen zur Aufgabe hat.

Ziel und Zweck des Kanalbaues ist die Verbesserung der Grundwasserverhältnisse, die Verbesserung und Sicherung der landwirtschaftlichen Bewässerung sowie die Möglichkeit der Nutzwasserentnahme.

Das Projekt sieht folgendermaßen aus: der Marchfeldkanal von Langenzersdorf nach Deutsch-Wagram (Länge 18 Kilometer), der Dcnauwasser in den Rußbach bringt, der Obersiebenbrunner Kanal (Länge 8 Kilometer), der den Rußbach mit dem Stempfel-bach verbindet und diesen speist, sowie der Großenzersdorfer Kanal (Länge 17 Kilometer), der den Fadenbach mit Wasser aus dem Marchfeldkanal versorgt.

Der ständig sinkende Grundwasserspiegel im Marchfeld — hervorgerufen vor allem durch die intensiv betriebene Landwirtschaft — bringt durch die schleichende Versteppung nicht nur die Möglichkeit von negativen Auswirkungen für die Landwirte, sondern auch für die gesamte

künftige wirtschaftliche Entwicklung der Region.

„Fast 50.000 Menschen werden dann nicht mehr in der Kornkammer Österreichs leben, sondern im Armenhaus Österreichs", charakterisiert Josef Pregesbauer, Bürgermeister der vom Kanalbau betroffenen Kleinstgemeinde Parbasdorf die schwierige Situation.

Der Grundwasserspiegel sinkt jährlich um rund fünf Zentimeter. Der heiße Sommer des Vorjahres wirkte sich besonders katastrophal auf das Grundwasser des Marchfeldes aus: Bereits im Juni wurde eine Grundwasserspiegelabsenkung von 20 Zentimetern gegenüber dem vergangenen Jahr festgestellt. Allein zwischen 1967 und 1977 dürften nach vorsichtigen Expertenschätzungen im Marchfeld rund 350 Millionen Kubikmeter Wasser verlorengegangen sein.

Vom derzeit jährlichen Wasserverbrauch von rund 35 Millionen Kubikmeter Wasser entfallen auf die Landwirtschaft 20 Millionen,

Gewerbe und Industrie benötigen elf Millionen und Privathaushalte vier Millionen Kubikmeter Wasser pro Jahr. Einer Prognose des Landwirtschaf tsministeriums zufolge rechnet man mit einem Ansteigen des jährlichen Wasserverbrauches bis zum Jahr 2000 auf die dreifache Menge.

Im Marchfeld werden zirka 640 Quadratkilometer landwirtschaftlich genutzt, das sind etwa vier Prozent des österreichischen Ackerlandes. Auf dieser Fläche werden rund zehn Prozent des österreichischen Brotgetreidebedarfs und 17 Prozent der österreichischen Zuckerrüben geerntet. Auf 2.100 Hektar wird Feldgemüse angebaut.

Rund 1.500 Schilling pro Hektar kostet den Landwirten jährlich die künstliche Bewässerung der Felder. Die Brunnen auf den Feldern müssen regelmäßig tiefer gegraben werden, bei einem weite-

ren Absinken des Grundwasserspiegels besteht die Gefahr, daß die Entnahme von Grundwasser für die Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen unterbunden werden muß — rund 90 Prozent der wasserrechtlichen Genehmigungen sind befristet. Durch den Marchfeldkanal sollen 40.000 Hektar landwirtschaftlich genutzte Fläche bewässert werden.

Die generelle Planung für die erste Ausbaustufe des Marchfeldkanalsystems ist fertig — der genaue Zeitpunkt für den Baubeginn ist jedoch noch unklar, denn dieser hängt von der Finanzierung des Projektes ab. Und darüber liegen sich Landwirtschaftsminister Günter Haiden und Niederösterreichs Landeshauptmann Siegfried Ludwig in den Haaren.

Im Herbst wird es Verhandlungen geben, in welchem Verhältnis die Baukosten in der Höhe von zwei Milliarden Schilling zwischen Bund und Land aufgeteilt werden. Mit einem Baubeginn kann noch 1985 gerechnet werden, falls die Verhandlungen zu einem raschen Ergebnis führen, meint Minister Haiden.

Falls der Zeitplan eingehalten wird, so kann bereits ab 1990 Donauwasser in den Rußbach fließen und der Bewässerung von Weizen und Zuckerrüben dienen. Das „Jahrhundertprojekt" (Ludwig und Haiden unisono) wäre dann realisiert.

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