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Jahrhundertwerk

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Der Führer „Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert" schärft den Blick für Qualität von Häusern. Er ist durch das Zusam- mentreffen von Präzision des Ur- teils und der Sprache ein Glücks- fall. Ohne es besonders zu betonen, ruft Friedrich Achleitner nun im Wien-Band III/l auch in Erinne- rung, wie sehr die Wiener Archi- tektur Zeitgeschichte spiegelt.

Die bürgerlichen Zinshäuser der Epoche vor 1914 scheinen reprä- sentativ aufzutrumpfen - und sind doch eine Geste der Anpassung an den Geschmack des Hofes.

Neue Bauästhetik erwuchs aus der Reduktion und aus neuen Auf- gaben. Nie wieder wurden Schrif- ten, Schilder, so Teil der Architek- tur wie in den Fassaden der „hori- zontal geschichteten" Wohn/Ge- schäftshäuser. Selbst Fabriksarchi- tektur wie das Argentor-Werk (1902, Wimbergergasse 24) faszi- niert durch Materialbehandlung und Flächenaufteilung.

Wenn es proletarische Architek- tur gibt - dann im Wiener Gemein- debau. Wer mit offenen Augen durch die Stadt geht, wird sich freuen, manches wohlbekannte Detail durch Achleitner zur Ehren gebracht zu sehen. Er ist nicht nur ein unermüdlicher Stadt- und Land-Begeher, auch die Bauge- schichte der Objekte dokumentiert er eingehend.

Nach 1934 geht es mit der Wiener Architektur nicht mehr aufwärts. Die NS-Zeit verewigt sich am deut- lichsten durch die Flakbunker, „in ihrer autonomen Art auch ein- drucksvolle Bauwerke", in denen sich ein „menschenverachtender Zynismus mit der historischen Distanz in eine .ästhetische Quali- tät' verwandelt". Viele Nachkriegs- j ahre lang spiegelt Wiens Architek- tur vor allem das Ende der geisti- gen und politischen Aufbrüche, die ihr in den zwanziger Jahren den Schwung verliehen. Das meiste wirkt provinziell. Da Achleitner negative Kritik meist durch Weg- lassen übt, bleibt dem Nach- kriegsgeist die . Konfrontation erspart.

Das erste Drittel des Jahrhun- derts ist daher zahlenmäßig enorm überrepräsentiert. Ein Armuts- zeugnis für die Nachkriegszeit, bedenkt man, daß sie bereits länger als die Vorkriegszeit dauert. Im- merhin entstand in den letzten Jahrzehnten einiges, was der Kriti- ker gelten läßt. Es ist, wie einst, selten das, was der Mehrheit ge- fällt.

Auf den erstenBlick scheinen sich die Bilder zu gleichen: Empörung angesichts des Loos-Hauses anno 1910, Empörung angesichts des Hollein-Hauses beim Stephansdom anno 1990. Achleitner bringt seine Meinung auf den Punkt: „Sollte es nicht stutzig machen, daß man kurz vor der Fertigstellung... kaum ei- nen Menschen trifft, der das Haus akzeptiert? Auf gut wienerisch müßte man darauf mit dem Satz reagieren: ,Na, so gut ist es auch wieder nicht.'" Dies werfe aber die Frage auf, ob es am Stephansplatz überhaupt möglich sei, ein Haus zu bauen, das von der Öffentlichkeit anerkannt wird. Und er zählt die Qualitäten auf, die Außenerschei- nung und „teilweise .Überformu- lierung'" relativieren.

Nicht nur Adolf Loos' Schicksal war es, in Wien außer als Entwerfer einiger Villen hauptsächlich mit Geschäftslokalen in Erscheinung zu treten. Nach dem Haus am Micha- elerplatz bekam er keinen reprä- sentativen Auftrag mehr, mit sei- nen Reihenhaus-Konzepten geriet er in Konflikt mit der Gemeinde Wien. Auch das nicht Ermöglichte ist Teil der Zeitgeschichte. Und Teil der Zeit- und Mentalitätsgeschich- te ist die Vernichtung dessen, was einmal möglich war.

Auch nach dem Zeiten Welt- krieg meldete das Neue zuerst in neuen Lokalen seinen Anspruch an. Nicht erst mit der Verkehrsbüro- Ausstattung von Adolf Hollein, deren klammheimliche Vernich- tung ein Vandalenakt war. Die Kaputt-„Renovierung" des Ara- bia-Espressos von Oswald Haerdtl auf dem Kohlmarkt („Der spekta- kuläre Auftakt der Wiener Ein- bürgerung des Espressos") zeugte auch nicht von Architekturver- ständnis. Fast ein Wunder, daß uns Loos' Schlüsselwerk „Ameri- can Bar" erhalten blieb. Sie war wohl zu klein und unauffällig für „größere Pläne".

Es werden viele Bücher gedruckt, ja sogar gelesen - Bücher, auf die gewartet wird, sind selten. Die Bände des Architekturführers sind solche, und man muß lang auf sie warten. Die Arbeit, die der Autor investiert, ist fast ein Lebenswerk. Wien, Teil 2, und Niederösterreich fehlen noch. Viel wird vom Jahr- hundert nicht übrig sein, wenn sie vorliegen. Den Rang eines Jahrhun- dertwerks haben die fertigen klei- nen, querformatigen Bände schon jetzt.

ÖSTERREICHISCHE ARCHITEKTUR IM 20. JAHRHUNDERT. Ein Führer in vier Bänden. Band III/l, Wien 1.-12. Bezirk. Von Friedrich Achleitner. Residenz Verlag, Salzburg 1990.348 Seiten, 1.200 Abbildungen, Ln., öS 535,-.

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