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Jahrmarkt der 1000 Bilder

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Um Venedigs Biennale wird es still. Die ereignisreichen sechziger Jahre, die Zeiten der Proteste gegen Kunst und Kunsthandel, die Zeiten, da linke Agitationskünstler und „ganz linke“ Anti-Künstler einander in Venedigs „Giardini“ Schlachten lieferten, sind vorbei. Nicht einmal die große Show, zum Beispiel die Grünfärbung des Canale Grande, mit der 1970 einer auf sich aufmerksam machte, ist gefragt. Venedigs soeben eröffnete 36. Kunstbiennale (geöffnet bis Ende September 1972) beschränkt sich darauf, mehr oder minder Kunstjahrmarkt der tausenden Bilder zu sein, nach den vielzitierten „demokratischen“ Prinzipien, ja alle zu Wort kommen zu lassen.

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Um Venedigs Biennale wird es still. Die ereignisreichen sechziger Jahre, die Zeiten der Proteste gegen Kunst und Kunsthandel, die Zeiten, da linke Agitationskünstler und „ganz linke“ Anti-Künstler einander in Venedigs „Giardini“ Schlachten lieferten, sind vorbei. Nicht einmal die große Show, zum Beispiel die Grünfärbung des Canale Grande, mit der 1970 einer auf sich aufmerksam machte, ist gefragt. Venedigs soeben eröffnete 36. Kunstbiennale (geöffnet bis Ende September 1972) beschränkt sich darauf, mehr oder minder Kunstjahrmarkt der tausenden Bilder zu sein, nach den vielzitierten „demokratischen“ Prinzipien, ja alle zu Wort kommen zu lassen.

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Allerdings ist den Organisatoren diesmal, verglichen mit den Ideen ihrer Vorgänger, kaum Nennenswertes eingefallen. Der Katalog kündigt zehn aufwendige Sonderunternehmungen der Biennale an: zum Beispiel „Graphik heute“ im Ca' Pesaro, „Hauptwerke der Malerei des 20. Jahrhunderts (1900 bis 1945)“ im Museo Correr, eine Skulpturenschau im Dogenpalast sowie etliche natürlich mit mehrwöchiger Verspätung begonnene und daher noch lange nicht fertig aufgebaute Teilausstellungen italienischer Skulptur, experimenteller Graphik, von Video-Bändern u. a. Aber die meisten dieser Expositionen sind entweder von solcher Dürftigkeit — wie die Skulpturenschau —, daß man sich fragt, warum da einfach grund- und zusammenhanglos ein paar gute und ein paar sehr durchschnittliche Plastiken in den Dogenpalast gestellt wurden; oder sie sind von solcher Ungereimtheit — wie die Gemäldeschau —, daß man verzweifelt nach einem Zusammenhang mit der Biennale-Idee fragt. Bleibt einem nur die Erinnerung an großartige Retrospektiven von einst, an Boccioni, den Futurismus, die russische Avantgardekunst der zehner und zwanziger Jahre usw.

Aber noch andere „Verfallserscheinungen“ machen sich bemerkbar: Solange es die von Kommissären, Komitees, Kunsthandel heiß umstrittenen, mit allen Mitteln geförderten und bekämpften Biennalepreise gab, war diese Veranstaltung einer der wichtigsten Umschlagplätze internationer Kunst. Drei Biennalen ohne diese Attraktion haben genügt, um die Giardini in eine mehr oder minder harmlose Kunstmesse zu verwandeln, wo 32 Länder ausstellen, wen sie gerade auf dem Kunstmarkt durchdrücken möchten. Die Prominenz, die großen Aussteller, Kunsthändler, Sammler sind freilich seltener hier zu sehen als früher.

Was Venedigs Biennale dennoch, aber nun sozusagen im kleinen, anziehend macht, ist die Atmosphäre, die Chance, zumindest mit guten italienischen Galerien Kontakte aufzunehmen, die internationalen Kunstkritiker kennenzulernen, die drei, vier Tage zwischen den Pavillons ungezwungen pendeln, diskutieren, kritisieren...

Mit heftiger Kritik werden denn auch heuer viele Pavillons bedacht. Die Menge des künstlerisch Durchschnittlichen, der stilistisch „Nachkeuchenden“ überwiegt. Ein paar Länder, so Belgien und Cuba, haben da lieber gleich auf ihre prominenten Künstler von früher (in diesen Fällen Alechinsky und Wilfredo Lam) zurückgegriffen. Die USA stellen nach „internen kulturpolitischen Erwägungen“ aus: ein Realist, Richard Estes, kommt endlich mit seinen bunten Straßenbildern zum Zug, ein Neger, Giliam, hängte bloß bunte Tücher auf; die Engländer haben sich auf ihre jüngere Erfolgsgeneration, die Kunstmarkterfolge von 1965 festgelegt: den Maler John Walker und den Plastiker William Tucker; die Franzosen ließen Mariano Hernandez Wände wie für ein Gschnas bemalen und stellten dazwischen riesige rotierende Plastiken von Boltanski.

Ein Sonderfall ist Deutschland: Gerhard Richter zeigt dort seine fast photographisch exakten Porträts und Städtebilder; einer der wenigen Maler, die Aussicht haben, die Mode des „neuen Realismus“ zu überleben. Holland (mit Jan Dibbets ausgezeichneten Landschaftsmontagebildern und Phasenstudien von Bewegungen), die Schweiz (mit Quadratkombinationen des Farbtheoretikers Richard Paul Lohse) und Japan ragen aus dem allgemeinen Tief heraus. Lob von internationalen Kritikern wie Restany und Townsend erhielt Österreichs Pavillon, der als einer der wenigen seine Raumkonzeptionen (Hans Hollein, Oswald Oberhuber) den meisten voraus hat: d. h., daß erstmals nicht bloß Bilder zusammenhanglos an eine Wand gehängt wurden, sondern daß Hollein hier aus der Idee, daß „alles Architektur Ist“, und Oberhuber aus rein malerischen Elementen Raumzusammenhänge erzeugt haben. Und darüber, daß solchen „Ideenausstellungen“ die Zukunft gehört, sind sich bereits die meisten Biennale-Kritiker im klaren. Sogar die italienischen, deren vaterländischer Pavillon mit braven flgurativen Bildern eines Guerreschi und Mandelli, leitthema-los zusammengestellten Plastiken der Prominenz (Pomodoro, Consagra, Fontana, Trubiani usw.) sowie malerischen Kompositionen eines Turca-to oder Neonlichtspielereien Olivottos nicht gerade zu den profiliertesten zählt.

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