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Jalta und die Folgen

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Über die Jalta-Konferenz vom Februar 1985 und deren Folgen für Europa, vor allem für Ost-Mittel-Europa, ist jüngst anläßlich des 40-Jahre-Jubiläums viel geschrieben worden. Zum Thema liegt seit kurzem auch eine Neuveröffentlichung vor, die Aufmerksamkeit verdient.

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Über die Jalta-Konferenz vom Februar 1985 und deren Folgen für Europa, vor allem für Ost-Mittel-Europa, ist jüngst anläßlich des 40-Jahre-Jubiläums viel geschrieben worden. Zum Thema liegt seit kurzem auch eine Neuveröffentlichung vor, die Aufmerksamkeit verdient.

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Autor Siegfried Kogelfranz, ein Österreicher, ist seit vielen Jahren Redakteur des Hamburger „Spiegel“ und ein guter Kenner osteuropäischer Zeitgeschichte. Er hat in seinem Buch die Folgen der Jalta-Konferenz unter neuen Gesichtspunkten untersucht.

In zehn flüssig geschriebenen und mit vielen bisher nicht bekannten Fakten ergänzten Kapiteln legt er die Nachkriegsentwicklung osteuropäischer Staaten dar. Im geographischen (also nicht politischen) Osteuropa unterscheidet er zwischen den Staaten, die „Opfer von Jalta“ wurden, und den Staaten, die dank Glück oder günstiger Geographie „davongekommen sind“.

Indessen ist sofort klarzustellen: In Jalta selbst, das heißt während der Krim-Konferenz von Churchill, Roosevelt und Stalin, wurden keine Abkommen (außer vielleicht bezüglich Polen) getroffen, die unmittelbar das Nachkriegsschicksal osteuropäischer Völker für lange Jahrzehnte (oder noch mehr) bestimmt hätten. In den Konferenzen von Teheran 1943 und Moskau 1944 erfolgten die eigentlichen Weichenstellungen in der Frage der Fortentwicklung Osteuropas nach Hitlers Niederlage.

Und noch etwas, was in diesem Buch ausgezeichnet dokumentiert wird: Stalins Argwohn gegenüber seinen westlichen Kriegspartnern und seine besondere Auffassung über die „historische Rolle“ der Roten Armee in Osteuropa.

Im April 1945 äußerte sich der Kremlherr gegenüber dem jugoslawischen Partisanen-General

Milovan Djilas offen: „Dieser Krieg“, sagte er, „ist nicht wie frühere. Wer immer ein Gebiet besetzt, erlegt ihm auch sein eigenes gesellschaftliches System auf. Jeder führt sein eigenes System ein, so weit seine Armeen kommen. Es kann gar nicht anders sein!“

Kogelfranz schildert in seinem Buch eingehend die politischen und soziologischen Umwälzungen, die nach 1945 in Polen, in der Tschechoslowakei, in Ungarn, Rumänien und Bulgarien im Schatten der Roten Armee vor sich gingen. Augenzeugen kommen dabei zu Wort, erst jetzt freigegebene US-Dokumente werden ausgewertet und wissenschaftliche Quellen aus Ost und West zu Rate gezogen. Zehn, fünfzehn Jahre Zeitgeschichte werden so lebendig.

Der interessanteste Teil dieses „Spiegel“-Buches ist jedoch sein zweiter Teil, derjenige, der von den „Davongekommenen“ handelt, von Finnland und Griechenland.

Finnland im Norden, das sich im Zweiten Weltkrieg im Kriegszustand mit der Sowjetunion befand, im September 1944 jedoch ohne große innere Erschütterung mittels eines Separatenfriedens aus Hitlers Kriegskoalition ausscherte, durfte sich glücklich schätzen, trotz Kriegsverlusten keine feindliche Besatzung auf seinem Staatsgebiet erdulden zu müssen. Ihm wurde von Seiten Moskaus auch deswegen „Pardon“ gewährt, weil Stalin die nordischen Staaten nicht mit einer Sozialistischen Volksrepublik Finnland von einem späteren Bündnis abschrecken wollte.

Im Süden Europas ging es um Griechenland. Hier sollten nach dem Moskauer „Abkommen“ zwischen Churchill und Stalin 1944 die Briten ihr Einflußgebiet behalten. So machte die Rote Armee im Herbst 1944 in Bulgarien und Ost-Jugoslawien „Halt“ und sah tatenlos zu, wie im Dezember 1944 in Athen die griechische Regierung —mit britischem Beistand — einen kommunistischen Aufruhr niederschlug.

Zwar gestattete später Stalin seinen griechischen Parteigenossen, in den Bergen von Hellas einen Bürgerkrieg zu entfalten. Aber er wurde auch nicht traurig darüber, als 1948/49 die griechischen Kommunisten aufgerieben wurden, nachdem Tito den Bruch mit der UdSSR herbeigeführt hatte.

Jugoslawien ist ein Sonder-Ka-pitel in Kogelfranz' Buch, genauso wie die Schilderung von Österreichs historischer Stunde mit dem Staatsvertrag von 1955. Auch über Albaniens jüngste Geschichte sind interessante Abschnitte zu lesen.

Der Verfasser vertritt die These, daß der Komplex Jalta nicht zwangsläufig zur Sowjetisierung Ost- beziehungsweise Mittel-Europas führen mußte. Der Rezensent kann dem aber nur bedingt beipflichten. Gewiß: Viele Dinge spielten hierbei eine Rolle, aber der Faktor, der in diesem „Spiel“ um das Schicksal ganzer Nationen nach 1945 ausschlaggebend gewesen ist, war das Glück, zusammen mit der geopolitischen Lage der betreffenden Staaten.

Denn sowohl der ungarische Volksaufstand von 1956 als auch der von Dubcek versuchte „ Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ von 1968 scheiterten in jener schwarzen Stunde der Geschichte, als die östliche Großmacht ihre Einflußsphäre in Gefahr sah. Und dann konnte zwangsläufig nur eines geschehen: Armeen wurden in Marsch gesetzt, um „der Konterrevolution den Weg zu versperren“ beziehungsweise um den betreffenden „Bruderparteien“ - ob sie wollten oder nicht —„Hilfe“ zu leisten.

DAS ERBE VON JALTA. Die Opfer und die Davongekommenen. Von Siegfried Kogelfranz. Spiegel-Buch, Hamburg 1985. 254 Seiten, TB.. öS 140,40.

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