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James Bond jagt nach Plänen

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Die Tatsache, daß das Machtver- nältnis zwischen Industriestaaten weitgehend von der technischen Entwicklung beeinflußt wird, hat neue Formen der Spionage entstehen lassen. Die ständige Beobachtung der Forschungsinstitute und der Industrien eines Gegners — häufig aber auch eines Verbündeten — durch ‘achlich spezialisierte Nachrichten- lienste ist wichtiger geworden als lie Erkundung seiner Streitkräfte. Die Beschaffung wichtiger Infor- nationen über den Stand der Che- nie, Elektronik, Kernenergie, des Computer- und Flugzeugbaus in inderen Ländern, um nur einige der wichtigsten Bereiche zu nennen, ver- jilligt und beschleunigt einerseits iie Entwicklung eigener Rüstungen md ermöglicht es anderseits auch, iber die Marktchancen eines Rivalen m Bilde zu sein.

Je höher ein technisch anspruchsvolles Ziel gesteckt ist, desto größer ind auch Risiken, Kosten und Zeit- >edarf. Bei manchen Projekten er- ordem die Investitionen in For- chung und Entwicklung, das heißt, ille Kosten, die notwendig sind, damit lin neues Kriegsgerät bei Indienstteilung seine Funktion erfüllen :ann, bis 50 von Hundert des Ge- amtaufwandes.

Was Industriespionage bei dieser Sachlage bedeuten kann, beweist der ‘‘all des Schweizer Ingenieurs Alfred rrauenknecht, der die Fertigungs- iläne des „Atar“-Triebwerkes für las französische Kampfflugzeug Mirage III“, das von der Firma Ge- >rüder Sulzer AG in Winterthur in Jzenz gebaut wurde, an den israeli- chen Geheimdienst für 200.000 Dol- ar verkaufte, wodurch Forschungsergebnisse für 100 Millionen Dollar rworben wurden. Dieser Husaren- treich hat maßgeblich dazu beigeragen, daß die „Israel Aircraft ndustries“ bereits ein Kampfflug- eug eigener Entwicklung in Erpro- >ung haben, dessen Elektronik zwar ioch Mängel auf weist, das an Ge- chwindigkeit aber die „Mirage“ ibertrifft.

Führend im zweifelhaften Metier ler Spionage sind allerdings nicht lie Israeli, sondern die Russen, bei lenen sich eine natürliche Begabung lurch den konspirativen Charakter les Kommunismus noch mehr ausge- irägt hat. Seit Ende des letzten Krieges wurde Industriespionage iner der wichtigsten Quellen owjetischer Wehrforschung. Die ;roßen Fortschritte, die im Westen während dės Krieges auf dem Gebiet ler Langstreckenbomber und Campfraketen, bei der militärischen Anwendung der Elektronik, bei Jüsenflugzeugen oder Schnorchel- J-Booten, besonders aber im Bereich ler Atomforschung, erzielt wurden, :onnten in Moskau nicht unbeachtet ileiben. Solange die Sowjetunion licht über ein, sei es auch nur be- eheidenes, Atomarsenal verfügte, waren ihrer Expansionspolitik Fes- eln angelegt. Um den Rückstand in ler Erzeugung technischer Waffen- ysteme möglichst bald aufzuholen, wurde es für Moskau ein dringendes Jebot, sich nach Kriegsende so chnell wie nur möglich ein solides wehrtechnologisches Grundwissen zu >eschaffen.

Die vielen Sympathien, die die Sowjetunion im Kriege in Kreisen fortschrittlicher“ Intellektueller in Amerika und England gewonnen įatte, machten es den Sowjets ver- lältnismäßig leicht, insbesondere iber die Fortschritte der Atom- orschung wertvolle Informationen :u erwerben. Bereits 1943 ist in Kanada der erste sowjetische Spio- lagering aufgeflogen. Ein Paradebei- ipiel für erfolgreiche sowjetische Agententätigkeit war der Fall des Atomspions Klaus Fuchs in England, lessen Verrat maßgeblich zur Be- ichleunigung der Atomrüstung Moskaus beigetragen hat. Ihm folgte lie Affäre des Ehepaares Julius und Sthel Rosenberg, die in den Ver einigten Staaten trotz der Mobilmachung des „Weltgewissens“ wegen Atomspionage hingerichtet wurden. 1957 ist in Amerika der sowjetische Oberst Rudolf Abel für dasselbe Delikt zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt und 1962 gegen den im Mai 1960 abgeschossenen Flugzeugspion Francis Garry Powers ausgetauscht worden. Im Jahre 1961 wurde Ethel Gee, die Geliebte Henry Houstons, eines Beamten’ des britischen Marineinstituts in Portland, mit 310 Photos der Pläne des atombetriebenen U-Bootes „Dreadnouth“ verhaftet. Auch sie ist 1969 gegen einen jungen englischen Sprachlehrer, Gerald Brooke, der wegen „suver- siver Tätigkeit“ in Moskau zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde, ausgetauscht worden. — Es sei bemerkt, daß die sowjetischen Geheimdienste vorsorglich immer einige Geiseln als Tauschprojekte auf „Lager“ haben, meist unter läppischen Vorwänden verhaftete Geschäftsleute, Touristen oder Studenten.

Auch für das britisch-französische Uberschallriesenflugzeug „Concorde“ zeigten die Ostmächte reges Interesse. So wurde der Pariser Direktor der sowjetischen Fluggesellschaft „Aeroflot“, Sergej Pawlow, ein früherer Offizier der Roten Luftwaffe, bei dem man die Pläne des Triebwerkes „Olympus“ fand, am 15. Februar 1965 verhaftet. Zur selben Zeit ist im Werk der „Sud-Aviation“ bei Toulouse Pawlows Mitarbeiter, ein „DDR"-Spionage-Agent, Herbert Steinbrecher, unschädlich gemacht worden. Zwei Jahre später, 1967, wurden in Toulouse zwei tschechische Pfarrer zu schweren Kerkerstrafen verurteilt, nachdem die „Suretė Nationale“ festgestellt hatte, daß sich beide mehr für Nachrichten der ,Sud-Aviation“-Werke als für das seelische Wohl der Arbeiter interessierten. Dennoch scheint es den Russen gelungen zu Sein, sich manche wichtigen Unterlagen zu beschaffen. Jedenfalls ähnelt ihr „Tupolev“-144 auffallend der „Concorde“ und wird daher in Fachkreisen spöttisch auch „Konkordowitsch“ genannt. Nach Schätzungen der Experten hat die sowjetische Luftfahrtindustrie beim Bau dieses Riesentransporters durch Spionage etwa 15 Monate Entwicklungsarbeiten eingespart und dadurch einen Vorsprung gewonnen.

Im Jahre 1967 wurde eine unter amerikanischer Lizenz in der Bundesrepublik Deutschland hergestellte Luft/Luft-Rakete „Sidewinder“ der Bundeswehr, deren Entwicklung etwa 100 Millionen Dollar kostete, auf dem NATO-Flugplatz Zell bei Neuburg an der Donau gestohlen und nach Moskau per Luftpost verfrachtet. Den gleichen Tätern fielen auf demselben Flugplatz Teile einer Trägheitsnavigationsanlage vom Typ L-3 und ein weiteres Navigationsgerät im Mai 1968 auf der Luftfahrtsschau in Hannover in die Hände, die sie ebenfalls dem sowjetischen Geheimdienst ausgeliefert haben.

1968 wurde der Leiter der Abteilung für Elektronik des amerikanischen Batelle-Instituts in Frankfurt, Dipl.-Ing. Josef Eitzenberger, unter dem Verdacht verhaftet, technische Geheimnisse an die sowjetische Botschaft in Wien verraten zu haben. Am 3. Oktober 1969 versuchte der erste Sekretär der sowjetischen Gesandtschaft in Beirut zwei libanesische Piloten mit 200.000 Dollar zu bestechen, um ein von Frankreich geliefertes Kampfflugzeug „Mirage III“ nach Baku zu fliegen, für dessen elektronische Einrichtung sich die Russen besonders interessierten. Der Plan scheiterte am Pflichtbewußtsein der Piloten.

Zwei große, untereinander rivalisierende Geheimdienste sind in der Sowjetunion für Auslandsspionage zuständig. Der eine — GRU — befaßt sich hauptsächlich mit der Beschaffung von militärischen Informatio-

nen. Seine „Antennen“ — so der Fachausdruck — sind meist Botschaften und in deren Rahmen dem Büro der Militärattaches zugeteilt und somit dem Verteidigungsministerium unterstellt. Weit wichtiger als der GRU ist das KGB (Kommissariat für innere Sicherheit), das anderseits auf Industrie- und Wirtschaftsspionage spezialisiert ist. Zur Tarnung eignen sich vorzüglich die Handelsmissionen, die die Sowjetunion in allen wichtigen Ländern unterhält, und deren nach Industriebranchen gegliederte und mit Fachkräften reichlich besetzte Abteilungen die Pflege von Kontakten mit Forschungsinstituten und Industrieunternehmen zur Aufgabe haben. Die von den Handelsmissionen erworbenen Informationen und Unterlagen werden in einer besonderen Abteilung des KGB, die der Moskauer Universität angeschlossen ist, sortiert, katalogisiert und den verschiedenen interessierten Forschungsanstalten zugeleitet.

Die vielseitige „Tätigkeit“ sowjetischer Auslandsmissionen sowie der meisten Vertretungen der Ostblockstaaten: ihre Doppelrolle, sprengt das Schema der konventionellen Diplomatie, der sie sich zur Deckung bedienen. Sie hat ferner zu einer außerordentlichen Aufblähung der sowjetischen Auslandsdienste geführt. In den Vereinigten Staaten unterhält Moskau 3200 „Diplomaten“, beziehungsweise andere offiziell akkreditierte Beamte; in England waren es 550, in Frankreich sind es noch heute 900. Laut der französischen „Suretė Nationale“ sind an der sowjetischen Botschaft in Paris rund 300, das heißt etwa ein Drittel, bei den Vertretungen mancher Ostblockstaaten fast die Hälfte der „Attaches“ als Agenten von Geheimdiensten identifiziert worden.

Erschwert wird die Abwehr ihrer Tätigkeit dadurch, daß moderne Waffensysteme, ob Flugzeuge, Panzer oder Raketen, Endprodukte verschiedener in Spezialbetrieben erzeugter Bestandteile sind, von welchen viele auch dem zivilen Gebrauch dienen. Im Bereich der Luftfahrtindustrien und Elektronik zum Beispiel können Lenksysteme, deren Entwicklung etwa 350 Millionen Dol lar kostet, sowohl zur Steuerung von Fernkampfraketen als auch von Satelliten zur Erforschung des Weltraumes dienen. Daher ist es immer schwieriger geworden, zwischen Spionagetätigkeit und Austausch von wissenschaftlichen Informationen klare Grenzen zu ziehen. Während die kommunistischen Ländern in dieser Hinsicht äußerst vorsichtig sind, bietet in den westlichen Industriestaaten allein schon die Auswertung der technischen Fachpresse eine Menge wichtiger Erkenntnisse. Außerdem können auf Messen und Ausstellungen Ausspäher, die als Gäste sogar willkommen sind, die Gegenstände ihrer Neugierde nicht nur mühelos betrachten, sondern auch photographieren.

Die Zahl von Industriespionen, die den Pariser Flugzeugs-alon besuchen, wird vom französischen Geheimdienst auf 9000 geschätzt. Nicht alle kommen allerdings aus den Ostblockländern. Auch die Staaten des Westens, selbst Verbündete, deren Rüstungsindustrien im Wettbewerb stehen, beobachten sich gegenseitig mit Argusaugen, um einereits Fabrikationsgeheimnisse zu erfah-, ren, anderseits, um über den Stand des Fortschritts ihrer Konkurrenz im Bilde zu sein. Durch die 1965 noch in Frankreich stationierte Luftwaffe ließen die Amerikaner den Bau der Isotopentrennungsanlage in Pierrelatte überwachen. Zwischen 1962 und 1967 hat der amerikanische Geheimdienst in den Toulouse-Werken der „Sud-Aviation“, wo die „Concorde“ hergestellt wird, einen Spionagering organisiert, der von der französischen „Sürete Nationale“ diskret ausgehoben wurde.

In der Schweiz betreiben im Auftrag westlicher Großfirmen — und manchmal auih im Auftrag von Ost- blockländem — spezielle Unternehmen, die in allen wichtigen Staaten ihre Agenten haben, unter dem Deckmantel von Marktforschung Industrie- und Wirtschaftsspionage. Ist es schon schwer genug, die eigenen Industrien vor den Geheimdiensten fremder Staaten abzuschirmen, so stellt ihr Schutz gegen die Ausspähung seitens Privatfirmen juristisch unlösbare Probleme. Wie soll verhindert werden, daß eine amerikanische Firma einen europäischen Fachmann anwirbt, der Kenntnisse von Forschungsergebnissen besitzt, deren Ermittlung viele Millionen Dollar gekostet hat?

Komplizierter wird die Sache noch dadurch, daß sich häufig Privat- untemehmen ein und desselben Landes gegenseitig bespitzeln. Zum Schutz gegen „Business Intelligence“ — so das amerikanische Fachwort — wurde in den Vereinigten Staaten von mehreren Großkonzernen die „American Society for Industrial Security“ gegründet, Im übrigen verfügen heute die meisten amerikanischen Großunterneh men über ihre eigene Abwehr — manchmal natürlich auch über einen offensiven Nachrichtendienst — ein Beispiel, das nun auch in den westeuropäischen Industrieländern allmählich Schule macht. Wichtig ist allerdings, festzustellen, daß die zwischen den westlichen Industriestaaten betriebene Industriespionage dem Umfang nach mit jener der Ostblockländer überhaupt nicht vergleichbar ist.

Solange die machtpolitische Auseinandersetzung zwischen Ost und West andauert und der technische Fortschritt maßgeblich das Verhältnis zwischen beiden Lagern bestimmt, wird die Industriespionage auch in Zukunft nicht nur weitergehen, sondern an Intensität sogar zunehmen. Dies ist um so wahrscheinlicher, als es, ebensowenig wie gestern und heute, auch morgen kaum Wege geben wird, eine solche Tätigkeit wirksam zu bekämpfen. Die Versuchung, bei kleinem Risiko mit verhältnismäßig wenig Geld große Vorteile zu erwerben, ist viel zu stark. Die Sowjetunion hat es immer verstanden, aus Erfolgen wie Mißerfolgen anderer möglichst billig Nutzen zu ziehen. Übrigens bedeutet für Moskau die sogenannte friedliche Koexistenz keineswegs ein Nebeneinanderleben zweier verschiedener Welten, sondern einen’ zwischen Demokratie und Kommunismus mit allen Mitteln, außer offenem Krieg, fortgeführten Machtkampf, der einem permanenten revolutionären Konflikt gleichkommt. In diesem Rahmen „friedlichen Wettbewerbs“ bildet Industriespionage nach wie vor eines der wichtigsten Elemente sowj etischer „Friedensstrategie“.

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