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James Joyce mit Lupe

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Malraux 1935: Die Zigarette im Mundwinkel. Die vom Wind zerzausten Haare. Der Blick: Ernst. Sensibel. Seiner selbst bewußt. In die Zukunft gerichtet. Malraux 1975: Ein alter Mann in seinem Sessel, dem Tode nah. Der Blick schräg von unten in die Kamera, mit einem Ausdruck, als wollte er sagen: Das wars. Auch für die Fotografin Gisele Freund sind zwischen den beiden Bildern 40 Jahre vergangen. Ihr erstes Bild von Malraux wurde zu dessen Lieblingsporträt.

Die hier vorgelegten 205 Fotografien weisen Gisele Freund als eine der ganz Großen auf dem Gebiet der Porträtfotografie aus. Daß sie sich hauptsächlich für Literatur und Literaten interessierte, gibt ihren Bildern über deren künstlerischen Rang hinaus die historische Bedeutung. Nach der Flucht aus Deutschland fotografiert sie in den frühen dreißiger Jahren in Paris Walter Benjamin, Andre Gide, die Colette, Virginia und Leonard Woolf, Arthur Koestler und viele andere. Sie arbeitet früh mit dem Farbfilm, die ältesten, wenn nicht einzigen Porträts mehrerer Großer in Farbe verdanken wir ihr. Zum Beispiel James Joyce, 1939 in Paris, mit Lupe lesend. Ein singuläres Bilddokument.

Menschen, uns durch ihr Werk vertraut, im harten Rahmen der Zeitgeschichte: Polizisten gegen linke Demonstranten 1932 in Frankfurt, Hitleranhänger 1933. Das ungeheure Elend arbeitsloser Bergarbeiter in England 1936. Gisele Freund, die heute in Paris lebt, wollte beim Porträt keine Kompromisse machen, nicht retuschieren, und verdiente sich daher ihr Geld mit der Reportage. Auch da war sie hervorragend.

Vielleicht ihr originellstes Bild ist das Porträt von Bernard Shaw, in Farbe, nach einem Stromausfall im Mondlicht. Sie wagte nie, es ihm zu zeigen. Denn es zeigt, obwohl er mehrmals auf Abbildung seines Bartes in voller Länge gedrungen hatte, nur ein Stückchen von Shaws Bart.

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