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Jammern bringt keine Hoffnung

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Woraus können benachteiligte Regionen unseres Landes Hoffnung schöpfen? Von der Politik fühlen sie sich im Stich gelassen. Setzen sie ganz auf ihre eigene Kraft?

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Woraus können benachteiligte Regionen unseres Landes Hoffnung schöpfen? Von der Politik fühlen sie sich im Stich gelassen. Setzen sie ganz auf ihre eigene Kraft?

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„Erlöse uns von allem Bösen, von Korruption, falschen Propheten und Politikern, die uns viel versprechen und uns nach der Wahl vergessen.“ Resignation könnte kaum deutlicher zum Ausdruck gebracht werden, als in dieser Bitte aus dem „Vaterunser der Waldviertier“.

Daß dieses „Vaterunser“ ausgerechnet auf einer Studientagung der Diözese St. Pölten, die den Katholikentag vorbereiten helfen sollte, vorgetragen wurde, wurde übrigens nicht als Blasphemie empfunden. Hieß doch das Thema der Tagung am 9. April in der Pädagogischen Akademie in Krems „Land zwischen Resignation und Hoffnung“.

Mit dem Land gemeint ist Niederösterreich. Genauer: Niederösterreich westlich des Wienerwaldes und eben das Waldviertel. Es ist überwiegend Bauernland, aber es leben hier — vielleicht mit Ausnahme des „Mostviertels“ im Hügelland rund um Amstetten — keine reichen Bauern. Im Gegenteil. Überwiegend ist hier Bergbauernland, sowohl im Waldviertel, wie auch in den inneren Tälern des Alpenvorlandes.

Und es gibt hier, im nordwestlichen und westlichen Niederösterreich, Industrieland. Da ist das alte „Bandlkramerlandl“ rund ums Waldviertler Großsiegharts, wo sich die Bauern früher schon durch Weben einen Zuverdienst sicherten. Da sind die großen Waldviertler Textilindustrien, etwa um Heidenreichstein - arg getroffen von der Krise der Bran che. Und da sind im Alpenvorland die drei Industrietäler: das Traisental, das Ybbs- und das Erlauftal. Hier gabs seit den hohen Zeiten der Hammerherren Eisenverarbeitung.

Und über allem lastet die Wirtschaftskrise mit ihren Folgen. Ende März lag die Arbeitslosenrate in Niederösterreich mit 6 Prozent über dem Österreichdurchschnitt (5,6 Prozent). Und im Bereich der Diözese St. Pölten liegen die Bezirke mit den Arbeitsiosenspit- zen: Zwettl mit 13,3, Gmünd mit 9,1, Waidhofen a. d. Thaya mit 10,4, Melk mit 9 Prozent…

Grund zur Resignation? „Wir wollen nicht in den Chor der Jam- merer einstimmen“, hieß es auf der Einladung zur Studientagung. Man hörte auch wenig Jammern von den 120 Teilnehmern. Nur in den Wortmeldungen in den elf Arbeitskreisen, die Ansatzpunkte und Möglichkeiten zu einer neuen Hoffnung gemäß dem Katholikentagsmotto „Hoffnung geben“ entwerfen sollten, flammte manchmal Angst auf. Angst um den eigenen Arbeitsplatz, um den eigenen Betrieb (die Teilnehmer der Studientagung rekrutierten sich aus allen Berufsständen). Angst um die Zukunft der eigenen Kinder.

Gejammert wurde nicht. Man suchte aber nach Gründen der Resignation. Im Waldviertel, in den Industrietälern des Alpenvorlandes, im Bauernland und in den Städten.

• Gemeinsame Hauptsorge war die Arbeitslosigkeit. Vor allem die der Jugend mit ihren drohenden Folgen, wie Sinnverlust, Aggression.

• Da wurde das Pendeln als Gefahr für die Familie entlarvt. Wenn etwa Pendler im Bezirk Zwettl schon um halb zwei Uhr morgens aufstehen müssen, um zur Frühschicht um sechs Uhr in die VÖEST zu kommen, bleibt wenig Raum für die Familie. Im Waldviertel und im Erlauftal gibt es auch noch Wochenpendler in die BRD.

Wiederum vor allem im Waldviertel ist die kulturelle Substanz und damit das geistige Zuhause bedroht. Pendeln und Abwanderung machen ein Vereinsleben unmöglich. Kulturtraditionen werden verfremdet, nicht zuletzt, weil man dem Gast die überall angebotene „Einheitskultur“ bieten will. Gemeindezusammenlegungen, Zentralschulen und verwaiste Pfarrhöfe haben vielen Dörfern die Selbständigkeit genommen und die Kulturpfleger von früher: Lehrer und Pfarrer.

• Überalterung bedroht das Waldviertel und die oberen Voralpentäler. Auf einer Schautafel in Krems war zu lesen: „Zu Allerheiligen sieht man, wie viele Leute von hier abstammen.“ Aus manchen Dörfern holt der Schulbus nur noch ein Schulkind …

Eigeninitiative fördern •

Und dann gibt es die riesigen Einkommensunterschiede zwischen den Vierteln, zwischen den Tälern und den Städten und ihrem Umland.

Trotzdem wurden Ansatzpunkte einer neuen Hoffnung geortet.

• Man sah sie in Krems vor allem in jenen überall aufkeimenden Eigeninitiativen. „Das Schicksal selbst in die Hand nehmen!“ Manche sind „grün“. Manche gehen von der Kirche aus, wie der diöze- sane „Grenzlandausschuß“, der ein Waldviertel-Qualitätspickerl angeregt hat.

Diese Eigeninitiativen müßten von der Kirche, aber auch von den Gemeinden gefördert werden, wurde gefordert. Dafür \&äre ein gerechter Finanzausgleich nötig.

1 UnddieArbeitslosigkeit?—Die Kirche müsse sich auf Seite der Arbeitslosen stellen, hieß es. „Teilen der Arbeit“ wurde angeregt. Und: Die Kirche müsse gegen Sinnverlust mehr vom Sinn menschlichen Lebens sprechen.

Sicher keine Rezepte zur Krisenüberwindung. Aber vielleicht Ansatz zur Überwindung aufkeimender Resignation.

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