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Japan: Dämonen in Schulbüchern
Ostasien ist in Aufruhr geraten. Der Grund dafür: Zensurierte japanische Schulbücher und die damit verbundene düstere Vergangenheit des heutigen Wirtschaftsgiganten.
Ostasien ist in Aufruhr geraten. Der Grund dafür: Zensurierte japanische Schulbücher und die damit verbundene düstere Vergangenheit des heutigen Wirtschaftsgiganten.
Es fing damit an, daß das japanische Unterrichtsministerium Bücher für den Geschichtsunterricht an Japans Mittelschulen und vor allem die darin enthaltenen Schilderungen des Zweiten Weltkrieges einer genauen Zensur unterwarf und Verlagen wie Verfassern nahelegte, gewisse Formulierungen abzuändern. Andernfalls würde die Veröffentlichung und somit der Gebrauch an Schulen unmöglich gemacht.
In erster Linie der Einmarsch der japanischen Heere in China ab
1931 und der Krieg nach 1937? die Kolonisierung Koreas von 1910 bis 1945, aber auch die unrühmlichen Feldzüge in Südostasien sollten „neutraler" und „objektiver" — sprich harmloser — geschildert werden.
Der Angriff auf China wurde zum „Vormarsch", das Massaker von Nanking 1937, bei dem um die 200.000 chinesische Zivilisten hingeschlachtet wurden, sollte nunmehr ohne Zahlenangabe über die Anzahl der Opfer erscheinen.
Die patriotische Bewegung in Korea im Jahre 1919, die sich gegen die japanische Besatzung richtete und die blutig niedergeschlagen wurde, sollte in den ab 1983 in Japan verwendeten Schulbüchern als „Aufstand" beschrieben werden.
Korea und China bekamen von den unheiligen Plänen Tokios Wind. Und seit nunmehr einigen Wochen bricht eine Protestflut nach der anderen über Japan herein.
Vor allem die Beschwerden Pekings sind für Japan schmerzlich, da die beiden Länder heuer das zehnjährige Jubiläum der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen feiern, und Peking deutlich gemacht hat, daß die japanische Handlungsweise gegen das damals gemeinsam unterzeichnete Kommunique gerichtet sei. Somit wurde die für die japanische Regierung eindeutig inter-
ne Angelegenheit in die außenpolitische Arena gezerrt.
In Korea marschierten Tausende in unzähligen Protestzügen gegen die Japaner, Morddrohungen erreichten die japanische Botschaft in Seoul; in Hong Kong sammeln Studenten Unterschriften gegen Japan, in Südostasien beginnt das Feuer erst zu lodern.
Japan sieht sich nun von den Dämonen seiner eigenen, unrühmlichen Vergangenheit umkreist, die es unwillentlich aus der historischen Versenkung geholt hat.
Das Inselreich muß erkennen, daß es innerhalb der pazifistischen Jahrzehnte keine wirklichen Freunde innerhalb seiner nächsten geographischen Umgebung gewonnen hat, und daß die Wunden, die es den benachbarten Völkern vor und während des letzten Krieges beigebracht hat, nur oberflächlich vernarbt sind. Auch
das wiederholte Schuldbekenntnis und die Entschuldigung nach außen hin hat nicht viel geholfen.
Doch hinter der ganzen Aufregung um die Schulbücher steckt eine andere Befürchtung der meisten asiatischen Länder. Der Dämon des japanischen Militarismus ist nach wie vor lebendig. Und wenn die chinesischen Massenmedien in den letzten Wochen in Zusammenhang mit der Schulbuchaffäre vor der „Wiedergeburt des Militarismus und Faschismus" in Japan warnen, so kann dies nicht nur als Reaktion auf die Vergangenheit und ihre Schilderung in Schulbüchern gewertet werden.
In Japan selbst protestierten die links stehende Lehrergewerkschaft und andere Organisationen schon seit geraumer Zeit gegen die Zensurmethoden des Unterrichtsministeriums, aber ohne Erfolg. Durch die unversehene Un-
terstützung vom Ausland ist die Diskussion in Japan angeheizt worden. Es geht aber nicht nur um Schulbücher, sondern um die gesamte Politik Japans, die seit einiger Zeit zusehends nach rechts abzurutschen scheint.
Innerhalb der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP), die vom eher schwachen Premier Zenko Suzuki geführt wird, hat die Rechtsfraktion unter der latenten Führung des ehemaligen Premiers Tanaka ihre Stellung weitgehend ausbauen können, nicht zuletzt mit Unterstützung durch das „Big Business", die Wirtschaftsgiganten im eigenen Land.
Diese Tendenzen sind vor allem für die älteren Japaner beunruhigend, denen der Schock des Krieges noch im Nacken sitzt und die die pazifistische Verfassung nicht abgeändert sehen möchten.
Es scheint, als ob die Schul-
buchaffäre Japans Stellung an einer Weggabelung innerhalb seiner Geschichte deutlich gemacht hat. Der gigantische wirtschaftliche Erfolg und Reichtum des Landes hat einen gewissen Nationalstolz aufleben lassen, der aber durch die Antikriegs-Verfassung und durch den Schock des letzten Krieges in Schranken gehalten wird.
Doch einige Gruppen innerhalb der einflußreichen Sphären japanischer Politik stehen einer Abänderung dieser Verfassung keineswegs feindlich gegenüber. Und da die Opposition aus einer Unzahl untereinander zerstrittener und unterschiedlichsten Ideologien angehörender Parteien besteht, dürfte sie niemals imstande sein, einen solchen Schritt wirklich aufzuhalten.
Noch ist die Zeit unreif, noch geht es den Leuten zu gut. Doch •die Jugend in Japan, die im Wohlstand aufgewachsen ist und den Krieg nur aus den nunmehr umstrittenen Lehrbüchern kennenlernt, ist zusehends „großjapanischen" Ideen zugeneigt.
Nicht nur Schulbücher und deren „Verschönerung" lassen auf eine etwaige Renaissance des „Dai Nippon" (= großes Japan) schließen. Kürzlich ausgestrahlte Filme über die Zeit des großen japanischen Kaiserreiches und seiner brutalen Ausdehnung über Ostasien scheinen zwar den Krieg zu verurteilen, aber wecken im jungen japanischen Zuschauer unbewußten Nationalstolz.
Nationalstolz der Jungen
Mit einigen Tausend Watt plärren Lautsprecherwagen faschistischer und anderer rechten Jugendorganisationen durch die Straßen Tokios und rufen die Japaner zur nationalen Erstarkung auf. Noch hört ihnen kaum jemand zu. Aber mit sich am Horizont abzeichnenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten, mit zu befürchtender Arbeitslosigkeit und einer immer feindlicher gesinnten weltpolitischen Umgebung könnte der Aufruf dieser Extremgruppen in Zukunft nur allzu schnell Gehör finden..
Akio Morita, Präsident der Firma Sony, hat leider nicht ganz unrecht, wenn er kürzlich in einem Interview in Zusammenhang mit amerikanischem < Wirtschaftsdruck sagte: „Die Situation scheint beinahe so schlimm wie vor dem letzten Krieg."
Japans Kurs innerhalb der nächsten Jahre wird nicht nur das Geschick Ostasiens beeinflussen, sondern, bedingt durch seine Wirtschaftsmacht, das der ganzen Welt.
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