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Japan, eine Holding-Gesellschaft

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Japan hat den Anschein einer modernen westlichen Gesellschaft. Doch tatsächlich hat nicht das Parlament, sondern eine in archaischen Strukturen begründete Bürokratie das Sagen. Bringt Miyazawa einen Kurswechsel?

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Japan hat den Anschein einer modernen westlichen Gesellschaft. Doch tatsächlich hat nicht das Parlament, sondern eine in archaischen Strukturen begründete Bürokratie das Sagen. Bringt Miyazawa einen Kurswechsel?

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Wer die Ministerliste des neuen Kabinetts des jüngst ernannten japanischen Premiers Kiichi Miyazawa durchsieht, staunt nicht wenig, falls er von ethischen Überlegungen motiviert ist, denn etwa ein Viertel der Minister und Parteiführer ist aus Skandalaffären (wie Recruit und Lockheed) unrühmlich bekannt. Der Vorgang aber, wie Miyazawa selbst aus der Versenkung auftauchte, in die er sich zwei Jahre bergen mußte, weil sein Sekretär als Empfänger von Vergünstigungen von Seiten des Recruitkonzems figurierte, beweist einmal mehr, daß sich in Japan niemals eine tiefgehende Wandlung vollzieht, weil diese anscheinend so verwestlichte, moderne Industrie-Gesellschaft immer noch unerschütterlich in archaischen Strukturen gründet, die man etwas unpräzise mit dem Ehrenkodex des Ritters (Bushido) und Anschauungen des Shinto umschreiben könnte.

Das Inselland fand früh in der Geschichte seine Identität, in der eingewanderte Reitervölker die Herrschaft über Reisbauem ausübten, und bewahrte diese feudalistische Grundstruktur durch alle Wechselfälle einer turbulenten Geschichte. Heute rühmt es sich aller Institutionen der „Westminster"-Demo-kratie, der Freien Marktwirtschaft und des Rechtsstaates. Die Wahlen sind wirklich frei; im Parlament raufen sich Parteien des rechten und linken Spektrums und Japan fand als einziges Land Asiens Zugang zu den sieben führenden Industriemächten.

Formen des Staatskapitalismus Doch der Schein trügt. Die liberaldemokratische Partei, die unbehelligt das Monopol der Machtausübung besitzt, ist weder liberal, noch demokratisch, sondern eine Allianz von fünf Feudalherren, die ein Kartell verwalten, das den Teilnehmern in festen Rhythmen Ministerposten und Finanzen beschafft. Deshalb rühmte Henry Kissinger die Stabilität der japanischen Politik, weil sich vorausberechnen lasse, wer in zehn Jahren den Sessel des Ministerpräsidenten einnehmen werde. Diese schöne Voraussicht erfährt nur zuweilen Störungen, wenn durch Skandale vorübergehend eine Riege von Anwärtern vom Fenster verschwinden muß. Dann braucht man für zwei Jahre einen Saubermann, wie den farblosen Kaifu, der normalerweise nie als Kandidat für das höchste Amt in Frage gekommen wäre. (Der Parteipräsident, der zum Premier ernannt wird, wechselt alle zwei Jahre.)

Das Geheimnis dieses Systems beruht auf der Tatsache, daß die eigentliche Macht nicht bei den Institutionen der Westminster-Demokratie liegt, sondern von einer seit Jahrhunderten fest etablierten Bürokratie verwaltet wird.

Das Finanzministerium und die Bank of Japan regieren Japan wie eine Holding-Gesellschaft mit „administrativen Weisungen", die nicht vom Parlament abgesegnet sind und keine Gesetzeskraft besitzen, aber üblicherweise genau befolgt werden. Auf höchster Ebene bilden sich so Formen des Staatskapitalismus und der Planwirtschaft, während auf unteren Ebenen dem Privatkapitalismus Spielraum gewährt ist, sodaß der Neuseeländer D. Kenrich in einem kürzlich erschienenen Buch Japan als das einzige Land darstellt, „in dem der Kommunismus funktioniert".

Der Premierminister operiert daher in einem Vakuum. Das System funktioniert normalerweise ohne seine Führung, solange nicht eine Krise, wie der Golf-Krieg, plötzlich energische Meisterung einer unvorhergesehenen Notlage fordert. Kaifu gelang es damals nicht, Zustimmung zur Entsendung von Truppen in die Gegend, aus der Japan 75 Prozent seines Öls bezieht, durchzusetzen.

Bereitschaft zur Solidarität?

Von Miyazawa, der über lange Erfahrungen als Außen- und Finanzminister verfügt, ist allerdings eine straffere Führung zu erwarten, als von seinem unerfahrenen Vorgänger. Er kündete bereits die Bereitschaft an, Blauhelme für UNO-Untemehmungen zur Verfügung zu stellen und will solche schon demnächst nach Kambodscha entsenden. Sodann wagt er Steuererhöhungen, um der Staatsverschuldung Herr zu werden, die bereits 20 Prozent des Budgets für Zinsendienst verschlingt.

Im Inneren will er die Lebensqualität heben. Baukredite und Mieten verschlingen in Japan 30 Prozent des Einkommens und liegen 50 Prozent über dem Standard in den USA, 20 Prozent über dem in der Bundesrepublik. Die Kaufkraft von 100 Punkten in Japan reicht in der Bundesrepublik für 156, in den USA für 184 Einheiten.

Wenig Gehör zeigte er für die von Außenminister James Baker energisch geforderte Freiheit für Reisimporte, denn durch einen überhöhten Reispreis sichert die Regierung die Teilnahme der Bauern an der Hebung des Lebensstandards (ein Kilogramm Reis kostet in Tokio 2,58 Dollar, in Manila 34 Cents, in Djakarta 43 Cents, in Singapur 29 Cents) und erhält sich dadurch die Stammwähler, die sie seit Kriegsende (mit einer kurzen Unterbrechung) an der Macht erhalten.

Noch ungewiß bleibt es, ob Miyazawa die Reform der Wahlkreise durchführen will, an der sein Vorgänger scheiterte. Durch die Abwanderung in die Städte ergab sich die paradoxe Situation, daß für ein Unterhaus-Mandat auf dem Lande oft ein Drittel der Stimmenzahl genügt - im Vergleich zu den Volksvertretern in den städtischen Konzentrationen, und dieses Mißverhältnis wurde vom Obersten Gerichtshof als verfassungswidrig gebrandmarkt. Da aber die liberaldemokratische Partei ihr Machtmonopol weitgehend diesem Mißverhältnis verdankt, wollen ihre Vertreter im Parlament keineswegs den Ast absägen, auf dem sie selbst sitzen. Die Reform der Wahlkreise würde den finanziellen Bedarf für die Pflege des Wahlkreises reduzieren.

Gegenwärtig muß ein Kandidat bis zu 50 Millionen Schilling für eine Wahl aufbringen, was auf legalem Wege nicht möglich ist, obwohl sich Japan ein hochdotiertes Berufsparlament leistet.

Deshalb ist die Korruption strukturell bedingt und im wesentlichen akzeptiert. Sie bewirkt nur geringe Stimmverluste, wie ja auch der Lucona-Skandal hierzulande die Sozialistische Partei nur wenig geschädigt hat.

Eine der wichtigsten Aufgaben Japans ist die Befreiung aus dem traditionell insularen Denken und die Bereitschaft zu internationaler Solidarität sowie zur Übernahme von Verantwortung für die Dritte Welt und die Weltwirtschaft als Ganzes; Aufgaben, die dem Potential der Zweiten Welt - Wirtschaftsmacht - entsprechen. Der neue Premier, der in den USA studierte, fließend englisch spricht und als Außenminister gute Arbeit geleistet hatte, weckt dafür die besten Hoffnungen. Sollte er scheitern, zeichnet sich ein Wirtschaftskrieg ab, der für alle Beteiligten ruinös wäre.

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