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Jeans und alte Spitzen

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Mode, Modus = Art und Weise“ steht im Lexikon zu lesen. Wie man sich kleidet nämlich, wozu alles miteinander gehört, zum Beispiel Haartracht, Schuhe und das sogenannte modische Beiwerk wie Spangen, Schnallen, Schleifen oder auch Schmuck.

Es heißt die Mode (auch wenn sie überwiegend von Männern gemacht wird, um dann von den Frauen getragen zu werden). Schauen wir uns doch einmal um. Ich behaupte, es war noch nie so schwer, die Mode auf einen Nen-

ner zu bringen wie augenblicklich. Der gute alte „Look“ (von „Tulpen“ bis „Bleistift“ bis „New“) gehört einer nostalgischen Vergangenheit an, an der soeben schwache Belebungsversuche gemacht werden. Wenn ich sagen sollte, was für einen Eindruck ich von der gegenwärtigen Mode habe, müßte ich sagen: Verwirrung auf der ganzen Linie.

Das hat Vor- und Nachteile.

Der Vorteil ist, daß sich niemand festzulegen braucht. Es herrscht kein Diktat, sondern Offenheit. Offenheit ist gut. Wie sieht das in der modischen Praxis

aus? Da trägt man: zu langen Strapaz-Hosen, mit denen man sich früher in die Berge gewagt hätte, hochhackige spitze Schüh-lein und farbige Spitzenstrümpfe; zu dicken Fledermaus-Säcken (Pullover) nimmt man Schleierhütchen und Spitzenschals, mit denen unsere Großmütter zur Tanzstunde geschwebt wären. Nichts paßt zueinander. Oder, anders gesagt: wenn nichts zueinander paßt - paßt's.

Aus was für einer massiven Unsicherheit muß diese Verwirrung hervorgehen, die alles „passend macht“! Wer lange Haare hat, trägt sie vorwiegend unfrisiert. Die Produzenten von Kämmen müßten sich die Haare raufen.

Hübsch sind die jungen Mädchen, die so daherkommen, als kämen sie geradewegs aus dem Bett. In der Haarpracht — strähnig bis filzig — ist Mottenfraß zu vermuten. Tragen sie Mützen, so setzen sie sie so unkleidsam auf wie nur irgend möglich. Nur nicht gefallen wollen. Pulswärmer an Händen und Füßen, zwei rechts, zwei

links, grün und lila oder lila und mausgrau - es ist ja Winter.

Natürlich gibt es immer noch auch solche, die oft zum Friseur gehen, ein Vermögen für Schnitt, Strähnen und Krause ausgeben. Auch solche, die „gut angezogen“ sein wollen. In der modischen Silhouette (das ist ein Fachausdruck, bitte) dominiert das Ausladende: gewaltige Schultern, die ihren Trägerinnen den Anschein geben, als hätten sie soeben tief Luft geholt. (Reminiszenzen an Konrad Lorenz, Verhaltensforschung und „Imponier-Gehabe“, bei männlichen Affen beobachtet, wenn sie bedroht werden — haben die Frauen das nötig?)

Die Vorteile für die, die alles passend machen, sind individueller Art: jeder sein Individuum. Zugegeben: die Legionen sogenannter Mittelstandsdamen mit Handtäschchen, Hütchen und Handschuhen waren nicht mehr mitanzusehen. Seltsamerweise sterben sie nicht aus. Die Blicke, die sie den Modernen nachwerfen, sind unbeschreiblich.

Was nun aber die betonte Indi-

vidualität der Modernen betrifft, so fügen sie sich schon wieder auf verblüffende Weise zu einem geschlossenen Bild, einer Herde -genau das, was sie durchaus nicht wollen —, zu einem bunten bis tristen Fetzen-Potpourri von Jeans und Rüschen, Wolle und Spitzen, Glitzer und Glimmer.

Was schließlich und endlich die Haartracht betrifft, so darf man nicht übersehen, daß auch Extreme gefragt sind. Kahlgeschoren ist in. Wer's gern so kurz trägt, ähnelt tibetanischen Mönchen oder europäischen Zuchthäuslern aufs HaaF. Wenn die Kahlköpfe dazu noch Kriegsbemalung anlegen, braucht man nicht mehr ausziehen, um das Fürchten zu lernen.

Welche Verwirrung.

Äußerlichkeiten? Es gibt keine, die nicht auf Zusammenhänge schließen ließen.

Der Nachteil ist bedenkenswert: so mancher schöne junge Schwan bemüht sich krampfhaft und erfolgreich, wie das häßliche junge Entlein auszusehen. Hier wird ein Märchen verkehrt herum erzählt. Warum eigentlich?

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