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Kardinal König: „Jedem Kind eine Aufnahme“

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Zur Diskussion um die von der römischen Glaubenskongregation veröffentlichten „Erklärung zum Schwangerschäftsab- bruch“ gewährte Kardinal Dr. König dem Leiter der Pressestelle der Erzdiözese Wien, Erich Leitenberger, ein Interview, das wir im Wortlaut wiedergeben.

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Zur Diskussion um die von der römischen Glaubenskongregation veröffentlichten „Erklärung zum Schwangerschäftsab- bruch“ gewährte Kardinal Dr. König dem Leiter der Pressestelle der Erzdiözese Wien, Erich Leitenberger, ein Interview, das wir im Wortlaut wiedergeben.

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FRAGE: Herr Kardinal, in Rom ist eine Erklärung der vatikanischen Kongregation für die Glaubenslehre über den Schwangerschaftsabbruch veröffentlicht worden. Manche journalistischen Beobachter in Österreich glaubten OMS der vatikanischen Erklärung einen scharfen Gegensatz zu den Positionen der „Aktion Leben“, die von den österreichischen Bischöfen unterstützt wird, konstruieren zu können, ja man sprach sogar davon, „der Vatikan falle den Bischöfen in den Rücken“. Weichen die Positionen des vatikanischen Dokumentes und die der „Aktion Leben“ tatsächlich so weit voneinander ab?

KARDINAL KÖNIG: Davon kann keine Rede sein, wenn man sich nur die Mühe nimmt, das Dokument aufmerksam durchzustudieren. Die Grundtendenz ist völlig gleichlautend. Um die vatikanische Erklärung zu zitieren: „Man kann niemals den Schwangerschaftsabbruch gutheißen. Es kommt vielmehr darauf an, die Ursachen dafür zu bekämpfen. Das schließt eine politische Aktion mit ein.“ „Politisch“ ist hier natürlich nicht im Sinn von „parteipolitisch“ gemeint, sondern als Sorge um das öffentliche Wohl. Ich möchte noch einmal betonen, daß das Volksbegehren keine Aktion der Bischofskonferenz ist, wohl aber eine überparteiliche und überkonfessionelle Initiative, die von den österreichischen Bischöfen voll und ganz unterstützt wird. Man muß unterscheiden zwischen Lehrverkündigung und Verbesserung der bestehenden, oder, besser gesagt, der seit dem 1. Jänner durch die Fristenlösung gegebenen juridischen Situation. Die Bischöfe treten für das Volksbegehren ein, weil es die ungeborenen Kinder vor willkürlicher Tötung, schützt und den absoluten Rechtsschutz des Lebens von der Empfängnis an prinzipiell aufrechterhäit. Wenn es in dem Gesetzentwurf, der dem Volksbegehren zugrunde liegt, in Paragraph 97, Absatz 2, heißt: „Wenn sich die Schwangere in einer allgemein begreiflichen, für sie nicht anders abwendbaren, außergewöhnlich schweren Bedrängnis … zur Tat entschlossen hat…, so hat das Gericht von der Bestrafung der Betei ligten abzusehen“, dann wird damit ein Strafausschließungsgrund formuliert, nicht mehr. Das Absehen von Strafverfolgung hat aber nichts mit moralischer Billigung zu tun. Auch im vatikanischen Dokument wird ausdrücklich festgestellt: „Es ist richtig, daß das staatsbürgerliche Gesetz nicht die Absicht haben kann, den ganzen Bereich der Ethik zu schützen oder alle Vergehen zu bestrafen. Niemand verlangt das von ihm.“ Gleichzeitig wird aber darauf hingewiesen, daß es in jedem Fall Pflicht des Staates sei, die Rechte jedes einzelnen zu wahren und die Schwächsten zu beschützen. Wörtlich heißt es in Punkt 21 der Erklärung: „Das menschliche Gesetz kann auf eine Bestrafung verzichten, es kann aber nicht für unschuldig erklären, was dem Naturgesetz widerstreitet.“

FRAGE: Das vatikanische Dokument wurde so interpretiert, daß weiterhin die medizinische Indikation scharf abgelehnt wird, das heißt: die Erlaubtheit des Schwangerschaftsabbruchs zur „Abwendung einer nicht anders abwendbaren ernsten Gefahr für das Leben oder eines schweren Dauerschadens ah der Gesundheit der Schwangeren“, wie es der Gesetzentwurf der „Aktion Leben“ formuliert. Ist diese Interpretation richtig?

KARDINAL KÖNIG: Zunächst muß man wieder genau zwischen strafrechtlicher Beurteilung und ethischer Bewertung unterscheiden. Das vatikanische Dokument hat es sich auch hier nicht leicht gemacht. Unter Punkt 14 heißt es: „Das göttliche Gesetz und die natürliche Vernunft schließen also jedes Recht aus, einen unschuldigen Menschen zu töten. Wenn jedoch die vorgebrach-ten Gründe des Schwangerschaftsabbruchs immer schlecht und wertlos, wären, wäre das Problem nicht so dramatisch. Seine schwerwiegende Bedeutung rührt daher, daß in bestimmten Fällen die Verweigerung des Schwangerschaftsabbruchs wichtige Güter verletzt, die man normalerweise schätzt und die selbst bisweilen vorrangig erscheinen mögen. Wir verkennen diese große Schwierigkeit nicht. Es kann sich vielleicht um eine schwerwiegende Frage der Gesundheit handeln, zuweilen von Leben und Tod der Mutter.“ Ich habe so ausführlich zitiert, um zu beweisen, daß da nicht leichtfertig Normen aufgestellt werden , von denen manche meinen, daß sie, das menschliche Maß übersteigen. Außerdem sind durch den Fortschritt der Wissenschaft die Fälle echter medizinischer Indikation überaus selten geworden. Von einer großen österreichischen Frauenklinik wurde mir berichtet, daß auf 15.000 gynäkologische Fälle und Schwangerschaften drei bis vier Fälle echter medizinischer Indikation kommen. Die ständige Verbesserung der medizinischen Erkenntnisse läßt uns hoffen, daß sich dieses Problem der medizinischen Indikation in wenigen Jahren nicht mehr stellen wird. Schließlich muß man noch bedenken, daß von der kirchlichen Auffassung immer ein Unterschied gemacht worden ist: zwischen der objektiven Form, die „nicht ohne schwerwiegende Verpflichtung für das christliche Gewissen bleibt“ und der subjektiven Gewissensentscheidung des Arztes der betroffenen Frau, die in einer tödlichen Gefahr schwebt. Die therapeutischen Aufgaben auch des katholischen Arztes werden sicher darauf gerichtet sein, das Leben der Mutter zu retten.

FRAGE: Schärft die vatikanische Erklärung nur die traditionelle Lehre ein oder gibt sie Ansatzpunkte zu neuen Lösungen?

KARDINAL KÖNIG: Die Erklärung der Glaubenskongregation legt klar die unveränderliche Lehre der Kirche zur Frage des Schwangerschaftabbruchs dar und verweist auf deren Begründung aus der Naturordnung. Die religiöse Lehre setzt voraus, was bereits im Licht der Vernunft klar erkennbar ist. In diesem Zusammenhang möchte ich dar an erinnern, daß sich bei einer Umfrage unter den österreichischen Gynäkologen ein überwiegender Prozentsatz gegen die Abtreibung ausgesprochen hat. Das römische Dokument geht auch auf die wichtigsten Gegenargumente ein, die in d er aktuellen Diskussion vorgebracht werden. Menschliches Leben als höchster Wert wird in bezug auf seine ewige Vollendung gesehen und von daher auch dem Leid sein Platz zugewiesen, zum Beispiel auch dem „schrecklichen Schmerz, ein behindertes Kind aufzuziehen“. Dabei wird aber immer auf die Verpflichtung der Gesellschaft hingewiesen, die helfen muß. Auf Grund der Würde der menschlichen Person darf kein Gesetz dem einen ein Lebensrecht zuerkennen und dem anderen das gleiche Recht aberkennen, aber es hat die Aufgabe, um noch einmal die vatikanische Erklärung zu zitieren, „auf eine Reform der Gesellschaft hinzuwirken, die Lebensbedingungen in allen Bereichen zu verbessern, … damit immer und überall jedem Kind, das auf die Welt kommt, eine menschenwürdige Aufnahme ermöglicht wird. Unterstützung der Familie und der alleinstehenden Mütter, Kindergeld, Status unehelicher Kinder, vernünftige Adoptionsplamung: es ist eine positive Politik zu betreiben, damit es zum Schwangerschaftsabbruch immer eine echte und ehrenhafte Alternative gibt“. Die Erklärung scheint hier den Vertretern anderer Auffassungen die Hand zu gemeinsamen Aktionen im Dienst der Familie, der Mütter und der Kinder zu reichen. Aber es wird auch ausdrücklich festgestellt: ein Christ kann sich niemals nach Gesetzen richten, die in sich selbst ‘unmoralisch sind. Daraus ergibt sich, daß er bei der Anwendung eines solchen Gesetzes nicht mitwirken darf. Ärzte und Krankenschwestern dürfen zum Beispiel nicht verpflichtet werden, bei einem Schwangerschaftsabbruch unmittelbar mitzuhelfen. Sie dürfen nicht vor die Entscheidung zwischen christlicher Gewissensverpflichtung und beruflicher Karriere gestellt werden.

FRAGE: Es wird der Kirche immer wieder zum Vorwurf gemacht, daß sie zwar gegen die Abtreibung massiv Stellung bezieht, aber der Frage der Geburtenregelung aus dem Weg gehe. Gibt die neue Erklärung in dieser Richtung Aufschluß?

KARDINAL KÖNIG: Das römische Dokument geht unter Punkt 18 und unter Punkt 27 auf diese Frage ein und weist auf den Begriff der „Verantwortlichen Elternschaft“ hin. Die Kirche ist sich bewußt, daß sich in der städtisch-industriellen Zivilisation kinderreichen Familien große Hindernisse in den Weg stellen, daher insistiere sie, wie es wörtlich heißt, „in letzter Zeit auf dem Begriff verantwortlicher Elternschaft, die mit wahrhaft menschlicher und christlicher Klugheit geübt werden soll“.

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