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Jeden fünften frißt der Krebs

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Von den rund 96.000 Österreichern, die 1968 aus dem Leben schieden, erhielten 19.336 als letzten Amtsvermerk die Todesursache Krebs. Das bedeutet in fast jeder Familie einen durch Krebs bewirkten Sterbefall — beziehungsweise, daß jeder fünfte Österreicher der Krankheit zum Opfer fällt. 1940 war es jeder siebente, 1900 jeder dreißigste und zehn Jahre früher gar „nur” jeder vierzigste.

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Von den rund 96.000 Österreichern, die 1968 aus dem Leben schieden, erhielten 19.336 als letzten Amtsvermerk die Todesursache Krebs. Das bedeutet in fast jeder Familie einen durch Krebs bewirkten Sterbefall — beziehungsweise, daß jeder fünfte Österreicher der Krankheit zum Opfer fällt. 1940 war es jeder siebente, 1900 jeder dreißigste und zehn Jahre früher gar „nur” jeder vierzigste.

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In Wirklidikeiit haben sich die Mediziner mit der wirksamen Bekämpfung früher tödlicher Krankheiten, mit den verfeinerten Erkenmmgs-möglidikeiten der Todesursachen und vor aillem durch die beträdit-liche Verlängerung der durchschnittlichen menschlichen Lebensdauer selbst die Optik zerstört. Innerhalb des letzten Jahrtiunderts verdoppelte Siedl die Lebenserwartung nahezu und beträgt heute für den Mann 65 Jahre und die sonst angetolich unterprivilegierte Frau sogar drei-undsiebzig Jahre. Da mehr als die Hälfte aller Krelbskranlken das vierte Jahrzehnt ihres Lefbens bereits überschritten halben und die meisten Krebsformen im sechsten bis siebenten Lebens Jahrzehnt ihren Höhepunkt erreichen, liegen hierin wohl die Hauptursachen für die beim ersten Blick so trostlos anmutende Statistik. Und nach Ansicht der meisten Krebäkapazitäten ist somit eine absolute Zunahme dieser einst wie die Pest gefürchteten Geißel der Menschheit wissenscihaftlich nicht beweisbar, wenn man vom Lungenkretos absieht.

Für die Österreicher bietet eine globale Kretosstatistik einen traurigen Rekord. Das Land der Schlemmer und Genießer führt die „Magenkrebstabelle” aller Binnenstaaten der Erde an und liegt nach Japan, Island und OKile an Vierter Stelle der „WeltrangJiste”! - Von den 19.336 Kreibstoten des Jahres 1968 zeichnet der Magenkrebs mit 3779 Opfern als Hauptverantwortlicher, während 3204 Menschen vom Lungenkrebs hinweggerafft wurden. 2268 Tote verursachte der Darmkrebs und 1141 fast ausnahmslos weibliche Patienten verloren ihr Leben infolge von Brustkrebs. Der „Teilungswahnsinn der Krebszelle”, wie es ein Berliner Pathologe treffend formulierte, hatte 1160 Österreicherinnen an ihren

Genitalorganen mit tödlichem Erfolg befallen.

Gerade letztere Krebsart verdankt ihre Verbreitung größtenteils dem Leichtsinn; bedenkt man, daß fast die Hälfte aller Frauen, die jedes Jahr dem Krebs zum Opfer fallen, an Brustdrüsen- und Gebärmiutter-krebs erkrankt waren, ist es um so erschütternder, von dem Doyen der österreichischen Krebsforschung, Prof. DDr. Wrba, zu hören: „Was soll man dazu sagen, wenn selbst heutzutage noch Ärzte Frauen, die zu ihnen kommen, um die diagnostische Abstrichuntersuchumg zu fordern, nach Hause schicken. Das zu einer Zeit, da in den USA im Jahr dreißig Millionen Abstrichuntersuchungen gemacht werden, was bei einer Erfolgsquote um ein Prozent herum mindestens 100.000 Frühdiagnosen von gynäkologischen Karzinomen ergibt.” Und der Brustkrebs ist noch einfacher, nämlich durcii Selbstüber-wacbung, erkennbar. Wie leicht der Tod seine Ernte einbringen kann, erhellen auch die Zahlen des Jahres 1968: Während nach Prof. Wrbas Aussage bei 100 Prozent aller Gebärmuttertialskrebse eine zytodiagnostische Früherken-nung möglich gewesen wäre, wurden nur 506 Fälle im günstigsten Prognosenstadiuim „Eins” erfaßt; 240 Fälle in dem schon ungünstigeren Stadium „Zwei”, 359 Fälle hingegen erst in den Stadien „Drei” und „Vier”, in welchen die Heilungschancen bereits sehr gering sind. Und etwa 300 Fälle scheinen erfahrungsgemäß in der Statistik nicht auf.

„Falsche Unterrichtung und mangelnde Weitertiildung”, meinen Ärzte acfhselzucScend auf die Frage, warum es bei uns möglich ist, daß praktische Ärzte präventive Untersuchungen alblehnen.

Zu den seltenen Erscheinungen eines vom Kretos geheilten Patienten, der nach seiner Genesung die schreckliche Krankheit nicht verschweigt, sondern in einem gleichsam ajjosto-lischen Drang seinen Sieg über die Krankheit in alle Welt posaunt, zählt die Kremser Journalistin Doktor Elisabeth Keller. Ihre Aufklärungskampagne zur Verhütung und Uberwindung von Kretos findet auch die Anerkennung namhafter Wissenschaftler. „Selbst aufgeschlossene imd intelligente Menschen haben in unserem Land eine Scheu davor, ihren Sieg über den Krebs bekanntzumachen”, beklagt Wrba; eine „Umstellung der Auifklärung” fordert die Autorin des Buches „Krebsnachbehandlung ist entscheidend” während üirer in zahlreichen Ländern gehaltenen Vorträge und wettert von den Femsehschinmen ausländischer Gesellschaften dagegen, daß den an Kretos Erkrankten eine „so bodenlose Angst” eingejagt wird. Als Paradebeispiel dafür, was Willenskraft in der Krebsbekämpfung ausrichten kann, führt sie den Fall des britischen Weltumseglers Francis Chichester an, der 1956 an Lungenkrebs erkranlct und von den behandelnden Ärzten bereits aufgegeben war. Dabei verhalten sich die Heilungschancen bei Lungenkrebs im Verhältnis etwa zum Gabärmutter-krebs 1:100!

Ebenso propagiert die siegreiche Krebsamazone eine im Strahleninsti-tut der Ersten Universitätsfrauenklinik München entwickelte krebs-feindliche Diät, die Obst, Sauerkraut, Rohkost, saurer Milch und Joghurt eine Heilwirkung zuschreibt und reichliciie sowie eiweißreicäle Ernährung, Kohlehydrate, Zucker, Röststofle, chemische Denaturie-rungsmittel ebenso anprangert wie das Verzehren^;au kalter”^ oder__zu heißer Nahrungsmittel. Jedenfalls ist troliz der etiwa 27.000 in Österreich jährlicih auftretenden Ersterkrankungen an Krebs kein Grund vorhanden, die Flinte vorzeitig ins Korn zu werfen, wenn rechtzeitige Untersuchungen, Willensstärke und positive Einsteillung der ärztlicäien Behandlung gegenüber an die Stelle der noch immer verbreiteten Extreme Hysterie und Apathie bei Erwähnung des Wortes „Krebs” treten.

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