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Jeder Mai geht vorbei

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Will man Österreichs politische Landschaft beschreiben, so ist bereits nach wenigen Sätzen ein Wort zur Sozialpartnerschaft fäUig: Man meint damit jenes für Österreich so typische, nicht institutionalisierte Zusammentreffen der Sozial- und Wirtschaftspartner (Gewerkschaft, Industrie, Kammern) am grünen Tisch. Gegenstand der Verhandlungen ist all das, was im Ausland durch Streiks erzwungen wird. Und noch manches mehr.

Nicht zu Unrecht bezeichnet daher Bruno Kreisky die Sozialpartnerschaft immer wieder als „Sublimie-rung des Klassenkampfes“. Für ihn ist Sozialpartnerschaft, die es nur dort geben könne, „wo die Gewerkschaften sehr stark sind“, keine Widerlegung von Karl Marx: Die Klassengegensätze würden durch die Sozialpartnerschaft nicht aufgehoben, die Konfrontation vollziehe sich nur in „subtileren Formen“.

Es steht längst außer Frage, daß das gute Funktionieren der Sozialpartnerschaft allen Österreichern bisher überwiegend Vorteile gebracht hat. Seit Jahren gilt Österreich weltweit gesehen als Unikum, weil es in unserem Land praktisch keine Streiks gibt. Für das bekannt stabile Wirt-schaftsklima zeichneten einst Männer wie Franz Olah und Julius Raab genauso verantwortlich wie heute Rudolf Sallinger und Anton Benya.

Und dennoch scheint in letzter Zeit Sand ins Getriebe der bisher so bewährten Sozialpartnerschaft gekommen zu sein. Da und dort sind kritische Worte zu hören - da und dort scheinen innenpolitische Auseinandersetzungen in einem Bedeutungsverlust für die Sozialpartnerschaft zu enden: Eine Reihe von Signalen, die man gewiß nicht überbewerten, aber auch nicht ignorieren sollte.

Was ist los mit der Sozialpartnerschaft?

Jüngster Anlaß für kritische Stimmen war das Tauziehen rund um die gesetzliche Verankerung der Arbeiter-Abfertigung: Während in vergleichbaren anderen Materien stets freiwillige Fühlungnahmen auf Sozialpartnerebene stattfinden, stand man diesmal vor einer neuen Situation. Wohl hatten die Arbeitnehmervertreter im ÖGB, in der SPÖ und sogar in der ÖVP die Arbeiter-Abfertigung immer wieder als sehr aktuelle

Forderung eingestuft; wohl hatten zahlreiche Kollektivverträge vor allem im Bereich der Industrie die neue Gesetzeslage bereits vorweggenommen - doch zu einem Durchbruch auf Sozialpartnerebene war es in dieser Frage nicht gekommen.

Stattdessen war die sozialistische Parlamentsfraktion selbst aktiv geworden. Die Sozialpartnerschaft, im konkreten Fall naturgemäß die nicht der SPÖ angehörenden Wirtschaftsvertreter, mußten sich überrumpelt fühlen. So qualifiziert der Präsident der Bundeswirtschaftskammer, Rudolf Sallinger, die Vorgangsweise der Sozialisten als „Verletzung“ der anerkannten Spielregeln: „Diese Vorgangsweise ist einer weiteren Zusammenarbeit nicht förderlich“, gab der sonst so konsensbemühte Sallinger letzte Woche im Parlament zu verstehen.

In einem Gespräch mit der FURCHE erklärte Sallinger, er bejahe natürlich die Sozialpartnerschaft, doch

solle man zur Kenntnis nehmen, „daß ich für gleiche Rechte und gleiche Pflichten auf beiden Seiten eintrete“. An der Panne sei der näherrückende Wahltermin schuld, aber nach den Wahlen werde die Sozialpartnerschaft wieder von großer Wichtigkeit sein.

Im Gegensatz zur Wirtschaftsseite spielt man im Gewerkschaftsbund die Ungereimtheiten aus der Sicht der Sozialpartnerschaft herunter: ÖGB-Sekretär Erich Hofstetter sieht „überhaupt keine“ Verletzung der Spielregeln. Es hat auch diesmal, so Hofstätter, Gespräche der Sozialpartner gegeben, die aber ohne Ergebnis geblieben seien.

Ein grundsätzliches Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft ist Hofstetter nur schwer zu entlocken: „Sie ist aus der Geschichte entstanden und hat viele Vorteile gebracht. Es ist eine freiwillige Vereinbarung, die von jeder Seite aufgekündigt werden kann - wozu wir aber keine Veranlassung

haben.“ Ob die Sozialpartnerschaft ihre Bedeutung behalten werde? „Man wird immer im Gespräch bleiben ...“, meint Hofstetter orakelhaft zur FURCHE.

Zu einer gewissen Enttabuisierung der Sozialpartnerschaft hat auch die Volksabstimmung am 5. November beigetragen. Bis dahin schien es völlig undenkbar, daß eine Angelegenheit, die die Sozialpartner bereits entschieden haben, noch anders ausgehen könnte. Völlig losgelöst vom Thema Kernkraft kann man immerhin sagen, daß alle Subtilitäten des am grünen Tisch vorweggenommenen Klassenkampfes nur dann von Bestand sind, wenn die Mehrheit des Volkes es will. Und das ist der gute Kern, der politisch von der Kernkraft bleibt.

In die Sozialpartner-Diskussion hat vergangene Woche auch der Grazer Universitätsprofessor Gunther Tichy auf einer Pressekonferenz mit Vizekanzler Hannes Androsch ein interessantes Wort eingebracht: Die Tatsache, daß Österreichs Wirtschaft etwas „immobil“ und „wehleidig“ geworden sei, schrieb er der Sozialpartnerschaft insofern zu, als diese zu oft trachte, das Bestehende zu erhalten, dem Neuen kaum eine Chance geben. In der Förderung des Strukturwandels, meinte Tichy konkret, habe die Sozialpartnerschaft eine bremsende Wirkung.

Trotz Arbeiter-Abfertigung scheinen aber die Gewerkschafter mit Rudolf Sallinger einer Meinung zu sein, daß auch nach der Wahl auf Sozialpartnerebene zusammengearbeitet werden muß. Unmißverständlich warnte am Freitag Gewerkschaftsführer Karl Sekanina im Parlament davor, durch persönliche Attacken die Gesprächsbasis zu gefährden: „Nach dem 6. Mai kommt sicher auch ein 7. Mai!“ Noch direkter wurde Alfred Dallinger: „Man sollte die Möglichkeiten des Zusammenarbeitens wahrnehmen.“

Darüber hinaus sollte man - nach den Wahlen - zum Thema Sozialpartner einmal eine besinnliche Einkehr halten. Daß die meisten Politiker sich grundsätzlich zu ihr bekennen, ist zuwenig. Auch die „Denker“ der Parteien, Kammern und der Gewerkschaft, die sonst alles „thematisieren“ und „problematisieren“, werden wohl einen Beitrag zur Fortentwicklung der Sozialpartner-Idee leisten müssen.

Die große Chance, daß Österreich, wie die Parlamentsmehrheiten sich auch immer ändern mögen, weiterhin ein Hort der Stabilität und der ruhigen sozialen Entwicklung bleiben kann, sollte in wohlverstandener Sozialpartnerschaft gemeinsam genützt und verbessert werden. Auch hier gilt: Der besseren Lösung wird auch das noch so Gute nicht im Wege stehen.

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