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Jenseits der Elegien

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1975 werden es hundert Jahre sein, daß Rainer Maria Rilke in Prag geboren wurde. Als Sohn eines gescheiterten Offiziers und einer leicht verrückten Mutter, die sich darin gefiel, wie eine Erzherzogin in Trauer durchs Leben zu gehen. Nur 52 Jahre war Rilke alt, als er an Leukämie in einem Schweizer Sanatorium starb. Seinem Wunsch gemäß wurde er auf dem kleinen Dorffriedhof von Raron im Kanton Wallis beerdigt. Schon zu seinen Lebzeiten hatte er mit seinen Dichtungen die Menschen zutiefst beeindruckt. Er war einer der wenigen Dichter, die schon zu ihren Lebzeiten den Ruhm der Welt besaßen. Die ersten Jahrzehnte nach seinem Tod stieg sein Ruhm noch mehr. Nicht nur seiine Dichtungen erreichten unglaublich hohe Auflagen — der von ihm später verachtete „Cornet“ sogar über eine Million —, ununterbrochen erschienen auch Bücher, die sich mit seiner Dichtung, mit seiner Person beschäftigten oder Erinnerungen an ihn aufzeichneten. Jetzt beginnt es langsam etwas stiller um diesen seltsamen Dichter zu werden, der die Mit- und Nachwelt so sehr zu faszinieren wußte. Und erst das kommende Jahr mit seiner Zentenarfeier wird diesen Dichter, der ein Zeitgenosse Kafkas und Hofmannsthals, Werfeis, Musils und Zweigs gewesen ist, wieder in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit rük-ken. Ein Zeichen dafür ist die kleine Bildbiographie, die soeben im Inselverlag erschienen ist, in jenem Verlag, dem Rilke sein Werk anvertraut hatte, der durch Rilke, wenn auch nicht allein, berühmt wurde und dessen Eigentümer, das Ehepaar Kieppenberg, sich bis zum Tode des Dichters um diesen kümmerte.In dem kleinen Band sind nicht nur Rilke in den verschiedensten Lebensphasen zu sehen, sondern auch alle jene Orte und Personen, die für Rilkes Leben von Bedeutung waren. Da ist der Vater abgebildet, noch immer in der Haltung eines österreichischen Offiziers, und die leicht verrückte Mutter, ferner Rilke in der Uniform eines Zöglings der St. Pöltner Kadettenschule, aber auch als k. u. k. Soldat während des Ersten Weltkriegs im Wiener Pressequartier (hier soll die köstliche Geschichte sich abgespielt haben, daß der Hauptmann, dem sich der als „Rainer Maria Rilke“ Meldenden sagte: „Dieser Name ist mir zu lang, ich werde Sie Mitzi rufen“). Die bekannte Karikatur des jungen Rilke aus dem Jahre 1896 ist wiedergegeben. Die Porträts der vielen Frauen, die im Leben Rilkes eine Rolle spielten, sind wiedergegeben, so das Bild seiner Jugendfreundin Valerie von David-Rhonfeld, dann das Bild seiner berühmten Protektorin, der Fürstin Thum und Taxis, auf deren Schloß Duino er die berühmten „Duineser Elegien“ zu dichten begann. Man sieht das Bild von Lou Andreas-Salome, Tochter eines russischen Generals, Freundin Nietzsches, die für Rilke so etwas wie eine Ersatzmutter oder Uberschwester war, das Bild der Pianistin Magda von Hatting-berg, mit der Rilke in späteren Jahren sehr befreundet war. Einige Bilder zeigen auch seine Frau, die Bildhauerin Clara Westhof, mit der er nur wenige Jahre zusammengelebt hat. Ihr Gesicht ist sensibel und hart zugleich, wie übrigens die Gesichter fast aller Frauen, die durch das Leben Rilkes gingen. Rodin ist natürlich wiedergegeben, der aus Rilkes Leben nicht wegzudenken ist, Kassner, der Verleger Kieppenberg und Leonid Pasternak, der Vater des berühmten Dichters Boris Pasternak. Und alle die vielen Orte, an denen der ruhelose Wanderer Rilke verweilte, sind zu sehen: Prag, Petersburg, Paris, Duino, Lautschin, Rom und schließlich auch Raron, wo der Dichter seine letzte Ruhe fand. Viel wird davon gesprochen, daß unser Zeitalter ein optisches geworden sei, in dem die Bücher fast nur noch Bildbände würden und das Wort zum Vorwort.Wer dieses kleine Bildbuch durchblättert, wird in diesem Augenblick gar nicht böse über diese Entwicklung sein. Zeigt es ihm doch endlich einen Rilke, von dessen Leben er bisher nur aus Erinnerungen und Briefen wußte.

RAINER MARIA RILKE — Leben und Werk im Bild. Von Ingeborg Schnack. Insel-Verlag, Frankfurt. 266 Seiten, 251 Abbildungen.

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