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Jenseits des Gesetzes

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Wie groß das Beharrungs- und Durchsetzungsvermögen von Behörden ist, wenn es darum geht, den Betrieb einer einmal errichteten Müllverbrennungsanlage aufrecht zu erhalten, zeigt das Beispiel der Anlage am Flötzersteig im Westen von Wien. Lore Kummer von der „Bürgerinitiative Müllverbrennung Flötzersteig" weiß ein Lied von der Misere zu singen.

1962 mitten in ein Wohngebiet, in dem sich auch mehrere Spitäler befinden, ohne Gewerbeberechtigung gebaut, erzeugte diese Anlage nicht nur Lärm, Staub und üble Gerüche, sondern auch nachweisbare Belastungen des Bodens mit Dioxin.

1985 hatte sich die/Situation zugespitzt: Es gab Probleme mit der alten Anlage (auch im Zusammenhang mit der Verarbeitung des gestiegenen Kunststoffanteils), beachtliche Emissionen, viel Unruhe in der Bevölkerung.

So wurde beschlossen, die Anlage weitgehend zu erneuern: Der Umbau von drei auf zwei Ofen bedurfte aber einer gewerbebehördlichen Bewillli-

Die Verhandlung wurde ausgeschrieben und 1.700 Personen beantragten Parteistellung. Daraufhin wurde die Ankündigung von der Anschlagtafel entfernt und die Privatpersonen wurden nicht zur Verhandlung geladen. „Dennoch sind wir mit einem Bechtsanwalt zur Verhandlung erschienen. Diese hat sieben Stunden gedauert, verlief nicht, wie es sich die Behörden vorgestellt hatten und wurde neu ausgeschrieben," erinnert sich Lore Kummer.

Bei der Neuausschreibung ging es nur mehr um den Neubau. Von Gewerbeverhandlung keine Bede mehr. Diesmal (1985) haben 6.000 Personen Parteistellung angemeldet. Daraufhin wurde keine Verhandlung angesetzt und 1989 der Neubau zurückgezogen.

Unter dem Vorwand, die Anlage zu reparieren, ist sie seither total erneuert worden: die gesamte Verbrennungsmaschinerie mit dem Elektro-Filter ist neu.

Statt 100.000 Tonnen Müll können jetzt 200.000 Tonnen verbrannt

werden. Dennoch fand weder ein Verfahren statt, obwohl dies sowohl nach der Gewerbeordnung, dem Abfallwirtschafts- und dem Luftrein-haltegesetz als auch nach dem Wasserrecht erforderlich gewesen wäre...

Warum diesen Verfahren aus dem Weg gegangen wird? Weil man die Verbrennung eben doch nicht so beherrscht, wie man gerne

behauptet. Deswegen bekommen die besorgten Bürger auch keine relevanten Daten über die Emissionen. „Anfragen verlaufen immer im Sand auch bei der EBS oder der Verbrennungsanlage in der Spittelau", beklagt Lore Kummer, ohne sich aber über das Faktum zu wundern: „MüllVerbrennung ist prinzipiell unbe-herrschbar, weil dabei Dinge geschehen, von denen man keine Ahnung hat. Kein noch so toller Supercomputer kann voraussagen, was aus dem Schlot einer Müllverbrennunganlage herauskommt. Vielfach handelt es sich um Substanzen, die Krebs erregen und das Immunsystem schwächen.

Der Toxikologe Professor Wassermann (Uni Kiel) brachte einen guten Vergleich: in einem verdunkelten, mit chemischen Formeln voll tapezierten Baum, verfügt man über eine Stablaterne. Der im Lichtkegel erkennbare kleine Ausschnitt entspricht dem wenigen, was wir derzeit aus dem riesigen chemischen Mix in der Verbrennungsanlage kennen."

Beim unsortierten Müll gibt es ja die vielfältigsten chemischen Beak-tionen. „Man erkennt die Zusammenhänge nur mühsam. Auch registriert man die Gesundheitsfolgen nur mit Zeitverzögerung (bei Dioxin nach 15 bis 17 Jahren). Das Asthma der Kinder merkt man im Vergleich dazu schnell."

Es wäre höchst an der Zeit, im Umfeld der Verbrennungsanlage epidemiologische Untersuchungen durchzuführen, um das Ausmaß der gesundheitlichen Schädigungen endlich zahlenmäßig zu erfassen. Auch durch Bodenuntersuchungen könnte deutlich werden, wie schwerwiegend die Müllverbrennung unseren Lebensraum beeinträchtigt."

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