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Jenseits des Wissens und Sprechens

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„Die, die wissen, sprechen nicht; und die, die sprechen, wissen nicht", sagt der Tao-te king. Der wahrhaft weise gewordene Mensch, der das An-we-sen Gottes erfassen durfte, spricht nicht mehr. Und doch hat es über die Jahrtausende immer wieder solche gegeben, innerhalb seltsamer Umstände von fremdartigen nicht alltäglichen Kräften Getriebene, die es unternommen haben, über das Unaussprechliche, weil bloß jenseits des Denkens im Schauen Erfaßbare doch zu reden, auf die Gefahr hin, mißverstanden oder gar nicht verstanden zu werden, verspottet von den .Kindern der Welt", Meister Eckhart, Tauler, Theresa von Avila oder der Frankfurter gehören hier zu den ganz Prominenten. Und doch: jene, die aufgrund des Stammeins der „geistlichen Meister" über das „Unsagbare" den Weg gefunden haben, der weiterführt, jene wissen, daß sie diesen Versuchen, über das zu reden, was nun geschaut werden kann, ihr Glück und ihre ganze fröhliche Weisheit zu verdanken haben.

Wieder hat im Lauf der Welt ein mutiger, ein verehrungs würdiger Weiser es unternommen, über das, von dessen Unsagbarkeit er weiß, zu reden, noch dazu in der Sprache unserer Zeit und innerhalb der Probleme der Menschheit des ausklingenden zweiten Jahrtausends. Raimon Panikkar ist emeritierter Professor für Religionswissenschaft (Santa Barbara/Kalifornien) und seine Herkunft (die Mutter war Spanierin, der Vater Inder) ließ ihn von Anfang an in zwei Kulturkreisen, dem westlichen und dem indischen, innerhalb des Christentums, aber auch des Hinduismus leben. Immer wieder dringt bei dem Christen Panikkar seine hinduistische, aber auch buddhistische Seite zur Oberfläche, so zum Beispiel gleich zu

Beginn seiner Texte, wo er aus indischer Quelle definiert: das Reich der Weisheit ist dort zu Hause, wo Sittlichkeit und Seelenruhe schon erlangt wurden.

Sein neues Buch besteht aus vier Teilen. Beim ersten handelt es sich um die Mitschrift eines Vortrages, den Panikkar Anfang 1990 in der Münchner Ursulakirche hielt. Langsam wird dem aufmerksamen Leser klar, daß Weisheit nicht etwas ist, dem man nachjagen könnte, das man besitzen kann, um es hier oder dort zu verwenden, daß Weisheit vielmehr eine durchaus unproduktive Haltung ist, daß sie sich dem schenkt, der bereits absichtslos geworden, sich trotzdem bereit hält in Vertrauen und bestimmt durch die Ehrfurcht, und daß es dazu Gnade ist und sonst nichts, wenn die Weisheit Einzug hält in die Seele.

Schauen jenseits des Denkens

Kommt und seht, sagt Jesus zu den Männern, die ihn fragten: Meister, wo wohnst du? Es war die Einladung in das Reich der Weisheit, des Heiligen Geistes. In großer Stille die Weisheit erwarten, die an den Früchten, die sie bringt, erkannt werden kann: Friede, Freude, Freiheit. Man hat ihr eine Wohnung bereitet und sie kam. Es ist klar, daß Panikkar das Bereiten der Wohnung der Weisheit als das stille meditative Bereitsein zum Schauen jenseits des Denkens beschreibt. Niemand hat je erfolgreich über das Wesen der Meditation gesprochen, immer war es bloß ein Stammeln zusammen mit mehr oder weniger guten Anleitungen zu einem eigenen Tun, das letztlich für den jeweils Übenden in die Meditation, in ein Bereiten der Wohnung der Weisheit führt.

Der zweite Teil des Buches, Vorträge und Gespräche während einiger Einkehrtage in Bayern 1990, vertieft das zuvor Gesagte. Eine vierfache Gestalt des Menschen auf der Grundläge Erde/Leib, Wasser/Ich, Feuer/ Sein und Luft/Geist, wird herausgearbeitet. Zur Charakterisierung zwei Zitate; zuerst Bonaventura: „Die höchste Realität wird Finsternis genannt, weil der Intellekt nicht versteht". Also erst wenn vom Denken zum Schauen weitergegangen wurde, befindet man sich wieder am rechten Weg. Zum zweiten Panikkar/Eckhart: Innerhalb der Mystik kann man weder trainieren, noch kultivieren, aber man kann lieben, sich liebend ausliefern, denn die Liebe ist schöpferisch und „sunder Warumbe".

Im dritten und vierten Teil des Buches vertieft Panikkar, indem er zwei relevante Aufsätze von ihm zum Thema in neuer Bearbeitung bringt. Einmal „Philosophie als Lebensstil", quasi eine Selbstdarstellung, und zuletzt „The Jordan, the Tiber and the Ganges. Three Kairological Moments of Christic Self-Consciousness". Hier vor allem sucht er wahrhaft ein Fenster zu öffnen zu den Gläubigen anderer Religionen. Der „pluralistische" Christ wird nicht bekennen, daß es viele „Heilande" gibt, aber er wird beginnen zu verstehen, daß das Mysterium Christi nicht auf ein quantitatives Verständnis reduziert werden darf; wenn ich glaube, daß es von umfassender Bedeutung ist, darf ich nicht behaupten, daß es nur im Bereich meines persönlichen Heiles oder meiner eigenen Kirche und ihrer Lehrtradition bedeutsam sei.

Alles zusammengenommen: hier ist ein bedeutendes Weisheitsbuch, das dem aufmerksamen und zu eigenem Tun bereiten Leser wohl helfen kann, jene Haltung einzunehmen, die für das Einfließen der Gnade bereithält, die der Weisheit Wohnung bereitet.

DER WEISHEIT EINE WOHNUNG BEREITEN. Von Raimon Panikkar. Herausgegeben von Christoph Böchingen Kösel Verlag, München 1991, 211 Seiten mit Anmerkungen und einem Glossar, öS 265,20.

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