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Jesuit im Widerstand

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Ein neues Buch über konservative Hitler-Gegner belegt erneut, daß die Vorstellungen Moltkes und der“Kreisauer" kaum Chancen gehabt hätten - auch wenn am 20. Juli das Attentat geglückt wäre.

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Ein neues Buch über konservative Hitler-Gegner belegt erneut, daß die Vorstellungen Moltkes und der“Kreisauer" kaum Chancen gehabt hätten - auch wenn am 20. Juli das Attentat geglückt wäre.

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Am 19. August 1944 entkommt der Jesuitenpater Lothar König mit knapper Not der Geheimen Staatspolizei. Er flieht mit dem Fahrrad aus München, Richtvmg Starnberger See. Dort verstecken ihn Leute, die auch heute noch Wert darauf legen, daß man ihren Namen nicht nennt. Diese von Ro-

man Bleistein in einem Satz seines Buches „Dossier: Der Kreisauer Kreis" erwähnte Vorsicht kermzeichnet wohl ein wenig das Klima im heutigen Deutschland.

Im Kreisauer Schloß des Hitlergegners Helmuth James von Moltke trafen sich Leute verschiedener politischer und religiöser Überzeugungen, um zu erörtern, wie man die Nazis stürzen und wie Deutschland nachher organisiert werden konnte und sollte.

In Kreisau verkehrten auch Teilnehmer der Offiziersverschwörung, die am 20. Juli 1944 losschlug und, da Hitler das Bombenattentat überlebte, unterging. Moltke war am 20. Juli längst in Haft, teilte aber das Schicksal der vielen, die in den folgenden Tagen, Wochen und Monaten hingerichtet wurden.

Der Kreisauer Kreis ist vor allem durch seine Zielvorstellimgen interessant. Die schriftlich niedergelegten Pläne für die Nachkriegszeit blieben zum Großteil erhalten vmd bilden heute die wichtigste Quelle über das politische und staatsphilosophische Denken jener, die den konservativen Flügel des Widerstandes gegen Hitler repräsentierten.

Das Buch von Roman Bleistein kann und will keineswegs die Gesamtdarstellungen der Kreisauer Aktivitäten ersetzen, auch nicht die Biographien einzelner Teilnehmer wie Helmuth James von Moltke oder Carl Friedrich Goer-deler, den die Widerständler als provisorischen Hitler-Nachfolger im Amt des Reichskanzlers einsetzen wollten. Alles das gibt es längst.

Roman Bleistein setzt aber neue Akzente. P, Lothar König SJ galt bisher als Kreisauer Randfigur, als Kurier des Kreises, an dessen Beratungen er nicht teilnahm. Ein Aktenfimd im Tresor des Berchmannkollegs in Pullach, der schon 1971 gemacht und nun veröffentlicht wird, rückt den Pater näher zum Zentrum konservativen Nachdenkens über „Deutschlands Neugestaltung".

Offensichtlich hat Pater König stärker als bisher bekannt an der Formulierung imd Redigierung der Papiere mitgewirkt. Er starb 1946, da eine schwere Erkrankung im Kohlenkeller eines Ordensgebäudes, der ihm monatelang als Versteck diente, rücht hatte behandelt werden können. Er sorgte zwar für sichere Aufbewahrung seines Nachlasses, doch geriet das Konvolut in Vergessenheit.

Roman Bleistein SJ legt die zum Großteil schon aus anderen Quellen veröffentlichten Texte in einer Weise vor, die es ermöglicht,

Königs Mitwirkung zu erkennen, die Entstehungsgeschichte verschiedener Papiere besser als bisher zu erfassen und tiefer in die Ideengeschichte des Widerstandes gegen Hitler einzudringen.

Das Deutschland, das sich Graf Moltke und seine Freunde vorstellten, hat weder mit dem heutigen Deutschland noch mit dem der Nachkriegszeit Ähnlichkeit. Man muß sich, immer wieder in Erinnerung rufen, daß bei der Entstehung dieser Pläne die Hoffnung Pate stand, den Krieg beenden, aber die Souveränität des ,3eiches" retten zu können. Sie hätte sich wohl auch dann, wenn der 20. Juli geglückt wäre, als illusorisch erwiesen. Millionen Menschen wären nicht gestorben. Das Deutschland aber, das den Kreis-auern vorschwebte, hätte nicht nur den Alliierten wenig gefallen. Auch der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften war darin keine bestimmende Rolle zugedacht. Freüich - ein solches Deutschland mag auch noch nach dem Krieg manchem vorgeschwebt haben — oder vorschweben.

Ein weiter ausholender Uberblick über den Kreisauer Kreis hätte das Buch auch für nicht Vorinformierte empfehlenswert gemacht, der Abdruck des Abschiedsbriefes an seine Frau hätte zum Beispiel Graf Moltkes Stellung zum Jesuitenorden deutlicher hervortreten lassen. Sie war doch sehr ambivalent.

Rühmenswert und wichtig: Bleisteins Biographie des Paters Lothar König. Sie ist, auch unabhängig von dessen Mitwirkung in Kreisau, ein Beitrag zur Geschichte des kirchlichen Widerstandes gegen Hitler.

DOSSIER: KREISAUER KREIS. Dolounen-te aus dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Herausgegeben und kommentiert von Roman Bleistein. Verlag Josef Knecht; Frankfurt/M. 1987.376 Seiten, AbbU-dungen, Lin., äS 398,-.

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