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Jesus, der Genießer
Jetzt wird der Fasching noch schnell seinen Höhepunkt erreichen, und dann geht die Geschichte mit dem Fasten wieder los. Religiöse und geschäftstüchtige Leute werden wieder einmal spontan den hohen Wert des Fastens entdek-ken und auf dem schlechten Gewissen der Übergewichtigen und der nur eingebildet Übergewichtigen einen guten Landeplatz finden. Und religiöse wie gar nicht religiöse Leute sind irgendwie überzeugt davon, daß das Fasten sehr viel mit der christlichen Tradition zu tun hat.
Da erstaunt es immerhin, festzustellen, daß Jesus kein Propagierer des Fastens war. Das haben ihm vor allem seine frommen Zeitgenossen übel vermerkt und ihn ganz ungeniert „einen Fresser und Weinsäufer" genannt. Jesus hat das Fasten -wie man leicht in den Evangelien nachlesen kann - aus theologischen und psychologischen Gründen abgelehnt. Sein Lebensgefühl war vital und genußfreudig. Hätte er sonst seine öffentliche Tätigkeit ausgerechnet mit dem Besuch einer Hochzeit begonnen? Hätte er sonst das Reich Gottes mit einer Hochzeitsgesellschaft verglichen? Wäre er sonst bei den gar nicht zimperlichen Zöllnerfesten zu Gast gewesen? Hätte er sonst eine Mahlzeit als Gleichnis für unsere Erlösung gewählt?
Es ist höchste Zeit, zu erkennen, daß die Menschen nicht Probleme mit dem Fasten haben, sondern mit dem Genießen. Ja, der Mensch ist geradezu zum Genießen gebaut. Auge und Ohr, Nase und Geschmack sind auf ein ungeheures Erlebnisspektrum angelegt, sind aber bei den meisten Menschen verkümmert, oder werden durch ein Bilderragout, Lärm, Gestank und Geschmacklosigkeit ruiniert.
Nach Gottes Willen ist aber jeder Mensch nach seiner Genußfähigkeit wie ein König ausgestattet. Meditation richtig verstanden heißt dann: wieder schauen, hören, riechen, schmek-ken, fühlen und denken zu lernen. Wenn das Fasten - vor allem das optische und akustische - dazu helfen kann, dann sei es herzlich empfohlen. Gefährlich wird aber Askese dann, wenn sie letztlich mit Resignation und Angst vor der Vielfalt der Schöpfung verbunden ist. Das Übergewicht kommt nicht von mangelnden Fasten, sondern weil die Menschen noch nicht genießen können.
Ein Indikator in diesem Lernprozeß ist die Unersättlichkeit. Sie zeigt an, daß im Hunger und Durst des Menschen etwas Unstillbares steckt, also letztlich ein Hunger nach Gott. Die Frustration des Konsums besteht also darin, Menschen und Dinge beharrlich mit Gott zu verwechseln. „Genießen" aber heißt, zu erkennen. Daß Menschen und Dinge zwar nicht „Gott" sind, aber nach Gott „schmecken". Wer so genießt, wird selbst zu einem Psalm. Lobt Gott mit Leib und Seele, sein Leben wird zur Antwort auf den Schöpfer.
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