7018893-1988_37_17.jpg
Digital In Arbeit

Jesus hat Angst

Werbung
Werbung
Werbung

Regisseur Martin Scorsese betont immer wieder und hält es auch im Vorspann seines Films fest: „Die letzte Versuchung Christi“ sei keine „Verfilmung“ der Evangelien, sondern die Adaption des gleichnamigen Romans von Nikos Kazantzakis, der als Spätwerk des Dichters 1955 erschien und sogleich auf den - inzwischen von Paul VI. abgeschafften — Index gesetzt wurde. Und tatsächlich, der Film folgt — natürlich gestrafft — ziemlich genau seiner literarischen Vorlage. Alles, was den Zuschauer inhaltlich und spirituell überrascht, verblüfft und vielleicht provoziert, stammt von Kazantzakis und wird von Scorsese in das Medium Film transponiert.

Es sind vor allem zwei Aspekte, die den Film nachdenkenswert machen, ihn aber für manche auch zum Ärgernis werden lassen: die überaus starke Betonung der Menschlichkeit Jesu und das Bild, das von Judas gezeichnet wird.

Jesus ist bei Scorsese „ganz Mensch“ geworden: Er hat einen Körper, ißt, trinkt, tanzt und übersieht auch nicht die Schönheit Maria Magdalenas oder die mütterliche Ausstrahlung der Schwestern des Lazarus. Aber, und dies beeindruckt viel tiefer: Jesus ist einer, der Angst hat und von Zweifeln umgetrieben wird, und dies nicht nur am ölberg, sondern von Anfang an. Daher gaukelt ihm die letzte Versuchung dann auch ein Gegenbild vor: ein Leben ohne göttliche Berufung, reduziert auf das Idyllische: Ehe, Familie, Arbeit.

Die göttliche Berufung ist dabei aber keineswegs ausgespart. Sie wird vorgeführt als eine unbeschreibliche Herausforderung, die Jesus erst nach Uberwindung dieser letzten Versuchung durch den Tod am Kreuz annehmen kann.

Auf die Frage, warum er gerade dieses Jesusbild gezeichnet hat, antwortet Regisseur Scorsese: „Jesus durchkämpft seine menschliche Existenz. Er leidet wie wir. Er muß der Versuchung widerstehen, und dieser Widerstand fällt ihm nicht leicht, und es fällt ihm auch nicht leicht, sich am Kreuz zu opfern, weil er — wie wir — bis in den Tod am Leben hängt. Ich wollte durch meinen Film versuchen, Jesus dem heutigen Menschen näherzubringen, ihn wieder .lebendig' zu machen. Die Evangelien und die Theologie haben ihn durch die Uberbetonung der göttlichen Seite abstrahiert. Ich möchte, daß wieder über ihn nachgedacht und gesprochen wird. Wenn wir dies tun, nehmen wir ihn und seine Botschaft ernst. Denn es ist eine gute Botschaft, nach der ich leben möchte...“

Judas ist bei Kazantzakis/Scor-sese der engagierteste Anhänger Jesu, allerdings politisch motiviert: Für ihn ist Jesus der kommende Befreier Israels von den Römern, und er ist vor allem der kompromißlos treueste Freund des Erlösers. Den Verrat verlangt Jesus von ihm als letzten und größten Freundschaftsdienst. Judas ist es auch, der die Versuchungsvision beendet, weil er Jesus auffordert, jetzt seinem Erlösungsauftrag „tfeu zu bleiben“ — und ihn durch den Tod am Kreuz einzulösen. Dieser Blickwinkel auf Judas ist nicht neu.

Kaum eine Gestalt der Weltgeschichte wurde so oft auf die Leinwand gebracht wie Jesus. Alle diese Versuche stießen zumeist auf harte Kritik. Irgend jemandes Jesus-Bild wurde immer verletzt. Eine Ausnahme in der langen Reihe der mehr oder aufwendigen Fehlversuche bildete eigentlich nur ein Werk: „II van-gelio secundo Matteo“ von

Willem Dafoe als Jesus

(UlP-Filmverleih)

Pier Paolo Pasolini, in strengem Schwarzweiß, sich ganz eng an den Evangeliums-Text haltend.

Ist der Film „Die letzte Versuchung Christi“ jenseits aller inhaltlichen und theologischen Dimensionen gelungen? Was den Betrachter als erster Eindruck „überfällt“ ist: Blut, Blut, Blut! Zu Beginn wird ein Zelot gekreuzigt. Beim Annageln der Hand spritzt sein Blut dem römischen Henker hoch aufschießend ins Gesicht. Jesus fastet in der Wüste. Ein plötzlich aufsprießender Apfelbaum verheißt ihm Labung. Er beißt in eine Frucht: Blut quillt heraus. Beim Letzten Abendmahl (bei dem auch Frauen anwesend sind) wird der Wein buchstäblich zu Blut — von Geißelung und Kreuzigung gar nicht zu reden. Viele Bilder würde der an Jesus-Darstellungen der Kunstgeschichte geschulte Europäer schlicht als Kitsch bezeichnen.

Von den Darstellern ist vor allem Harvey Keitel als Judas hervorzuheben. Er macht die ernste, fast verbissene Zuneigung zu seinem „Rabbi“ glaubhaft sichtbar. Willem Dafoe überzeugt eher als angstvoller Zweifler denn als kraftvoller Messias — aber dies dürfte ja den Vorstellungen des Regisseurs entsprochen haben.

Nirgendwo läßt sich die Absicht entdecken, Religion zu verspotten oder religiöse Gefühle zu verletzen. Von der Gestaltung her gerät der Film oft gefährlich in Kitschnähe und rechtfertigt als Kunstwerk (das es gar nicht ist) den Wirbel, der um ihn geschlagen wurde, keineswegs.

Der Autor ist Medienpädagoge an der Pädagogischen Akademie der Diözese Linz und war Jury-Mitglied der Internationalen Katholischen Film-Kommission in Venedig.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung