6800455-1971_31_13.jpg
Digital In Arbeit

Jesus in schlechter Gesellschaft

Werbung
Werbung
Werbung

hervorgebracht und geformt hat, so daß sie in ihrer Mißgestalt erst unsere Furcht und unser Mitleid erregt. Das Gewissen treibt den Journalisten Robert Ross fort aus der braunen Barbarei, den Nichtjuden und Menschenfreund, verwies ihn in seine Odyssee: untergetaucht im Keller eines Brüssler Museums bei nächtlichen Wanderungen durch die Galerie, Flucht vor den einrückenden deutschen Truppen, von den Franzosen aufgegriffen, in ein Internierungslager geschleppt, entkommen mit gefälschten Papieren nach Lissabon, bis ihn ein Frachtdampfer ins „Paradies“ bringt, nach New York. Gerettet Aber das eigentliche Abenteuer sollte erst beginnen; denn nur befristet ist seine Aufenthaltsgenehmigung, stets widerrufbar wie alles in seinem gefährdeten Leben. Er bleibt, was er ist: ein Ausländer des Daseins, Peregrin, ein Fremdling in einer fremden Welt Seine Museumskenntnisse, dunkel erworben, helfen ihm vorerst weiter. Ein reicher Bilderhändler heuert ihn an: er schleppt Gemälde um Gemälde durch seine Armut und das schattenhafte Paradies, durch das reiche, weite Amerika. Seine Liebe zu dem russischen Mannequin Natascha zerbricht. Die Armut findet in Hollywood kein Daheim; sie ist nirgends zu Hause, sie bleibt unbehaust und imbeherzt wie seine Liebe. Natascha hat andere Flausen im Kopf, und das Schicksal hält überschwänglich seine schwarzen Lose für den entbürgerten, den freiwillig-unfreiwilligen Landstreicher bereit. Die Film- und Geldmacher in Hollywood engagieren ihn beglückt als Kenner von SS-Uniformen für ihr Flimmergeschäft. Da kennt er sich aus; derm die SS hat er erlebt, hautnah und honorig im Makabren, das sich ihm immer entgegenwirft, Schatten auf seinem Weg, Schatten im Paradies. Makaber endet der Krieg, und Ross kehrt nach Deutschland zurück. Noch träumt er, aber ein anderer, ein Alptraum erwartet ihn. Albtraum und Alptraum — der böse Geist geht noch immer um, und das Gebirge von Schuld ist nicht abgetragen. Wohl mahnen Schuttberge, doch die Mitläufer laufen blind an ihnen vor-

Adolf Holl, Kaplan in Wien und Dozent der katholischen Theologie, ist darum bemüht, nicht nur Jesus, sondern auch sich in eine ungute Gesellschaft zu versetzen. Der Klappentext seines neuen Buches erwähnt einen Informativprozeß der römischen Kongregation für die Glaubenslehre, der im Mai 1969 eingestellt worden sei. Überdies lebe Holl in Konflikt mit seiner kirchlichen Behörde; sein Kardinal habe ihn mit verschiedenen Verboten belegt. Der Schein des Martyriums trügt jedoch, da die Hybris zu offenkundig wird. Ist es nicht grundsätzlich einer Überlegung wert, wer eigentlich Bekennermut haben muß, ob ein unbotmäßiger Kaplan, der die Journaille spielend auf seine Seite zu bringen vermag, oder ein Bischof, der, nach anfänglicher Kompromißbereitschaft und einem nicht von allen verstandenen Zögern, schließlich durch reiflich erwogene Maßnahm- men eher in die Rolle des Bekenners versetzt wird.

Im gleichen Text wird Holl als Verfasser von neun Büchern, meist mit theologischen und historischen Themen, vorgestellt. Unwillkürlich erwartet man sich eine theologisch begründete und daher auch vertretbare Aussage. Man wird freilich die Erwartung nicht zu hoch spannen dürfen und gar meinen, Holl werde sich in die Reihe jener stellen, die seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert ihr Augenmerk der Leben-Jesu- Forschung zugewendet haben.

Der reisserische Titel müßte es nicht ausschließen, daß zumindest eine Berichterstattung und vielleicht auch Auswertung schon vorhandener Ergebnisse das Anliegen dieser Vul- garisierung wären. Leider erfolgt selbst das in wenig überzeugender Weise. Holl scheint vom „Hin und Her der Fachwissenschaft“ (23) nicht allzuviel zu halten, da er sich der soziologischen Methode zuwendet. Dennoch fehlt es nicht an Hinweisen auf die theologische Wissenschaft, die als Beweisstütze für all das herangezogen wird, was gerade behauptet werden soll. Das gilt selbst für die einschränkende Wendung der Wahrscheinlichkeit, wie etwa: „Im klinischen Sinn geistesgestört, war Jesus aller Wahrscheinlichkeit nach keineswegs, das darf behauptet wer den" (38). Ebenso muß die theologische Fachwissenschaft aushelfen, wenn es um den legendären Charakter der Jungfrauengeburt geht (95). Nicht minder hilfreich ist die Gelehrtenmeinung, wenn es um die Vergottungstheorie geht, die einen „brauchbaren Ansatz zur Diskussion liefert“ (52). Bedingt doch der soziologische Vorgang in der Geschichte der Stifterreligionen „bald so, bald anders formulierte Vergottung des Stifters (Scheler)“ (50).

Diese postuliert Holl für seinen Beweisgang schon deshalb, weh der Irrtum Jesu über das Weitende offenkundig sei. „Von einem universellen, auf alle Völker sich erstreckenden Missionsbefehl Jesu kann historisch keine Rede sein — so lautet der wissenschaftliche Befund; entgegenlaufende Stellen in den Evangelien wurden erst später in den Mund Jesu gelegt“ (17). Die Rolle Jesu als „Himmelsbräutigam“ und „Kalendergott“ (57) geht von der irrtümlichen Annahme aus, ihn als Stifter des Sakraments zu sehen. „Ob Jesus diese letzte bange Mahlzeit als Beginn einer fortdauernden kultischen Handlung vollzogen hat, darf historisch bezweifelt werden“ (60). „Daß Jesus dabei einen sakramentalen Ritus eingesetzt hat, ist eher unwahrscheinlich“ (143).

Das Ergebnis der Vergottung und der kultischen Verlangsamung „ermöglichte das Heraufkommen der abendländischen Kirchengestalt“ (61). Eine Entwicklung zum christlichen Tempelbau und das Aufkommen einer Priesterschaft sei hinlänglich bekannt, ebenso bekannt wie die Tatsache, „daß sie den Vorstellungen Jesu bezüglich Tempeldienst und Priesterklasse nicht entspricht“ (73). Grundsätzlich gilt vom Kirchen- Jesus, daß er — im Gegensatz zum historischen Jesus — eine Weltanschauung gehabt und „auf jede Frage die richtige Antwort schon bereit gehabt hätte“ (165). Das gehe nicht nur auf das Konto des Pfäffischen in der offiziellen Jesusdeutung, sondern auf einen Ordnungssinn, der Jesus einen Platz ziuweisen wollte, jenen des Gottessohnes und Religionsstiftens, der zur rechten Hand Gottes sitzt. „Die Gewohnheiten der Völker halben es erreicht, daß man sich bei Jesius auskennt, er ist verläßlich geworden, hat Karriere gemacht, hat es zu etwas gebracht“ (165).

Die Eigenständigkeit der soziologischen Untersuchung geht von der These aus, die Jesus eine „Außenseiterposition" zuweist. Das abweichende Verhalten Jesu zu den wichtigsten gesellschaftlichen Realitäten, religiösen und familiären Institutionen, sozialen Schichtungen und Klassenlagen sowie zum Wirtschafts- und Machtapparat, sind die Anwendungen dieser Grundthese.

Der Denkanstoß versetzt Jesus in die gegenwärtigen Verhältnisse; er „läßt sieh in fragwürdiger Gesellschaft antreffen — unter Ketzern, Neuerem und Schwärmern, Weltflüchtigen und Reaktionären, Neurotikern und Narren, Mystikern und Heiligen“ (24).

Damit hat Holl sich Grenzen gesetzt, die ihn zur Beschränkung auf die Methoden soziologischer Betrachtungsweisen zwingen. Daß sie den tieferen Grund für das Verhalten Jesu bloßzulegen vermöchten, muß verneint werden. Die Außenseiter- Position Jesu einfachbin auf sein „radikales Wollen zur Neuerung“ (42) aurückzuführen oder ihn in „die Kategorie der Rebellion“ einreihen zu wollen, ist als einzige Auskunft unzureichend. Was nützt es, die Tatsache zu buchen, daß Jesus sich „ausdrücklich auch in seiner Lehre über die Tora gestellt hat“ (38), wenn die Begründung dafür über das Außenseiterische nicht hinausgeht?

Das Buch ist — so will Holl es wahrhaben — in der Hoffnung geschrieben, die müde gewordene Christenheit durch Jesus in einer neuen Gestalt „zu beschwingen“ (62). Wind damit nicht die Gefahr um so größer, daß die Müdigkeit der Resignation weicht? Jesus in der Reihe von Rebellen wird ein geschichtliches Phänomen bleiben, das über den Rahmen einer zeitgebundenen und relativen Bedeutung nicht hinauszuwachsen vermag. Die zunächstliegende Konsequenz für jene, die am Kalendergott, dem vermeintlichen Stifter der Kirche, dem ungewollten Kult und einer nicht legitimierten Sakramentalität bisher festhielten, müßte die radikal und offen ausgesprochene Absage an das Christentum in seiner bisherigen Erscheinungsform sein. Die Konsequenz Jesu ist zu unmißverständlich, wenn es um jene ging, die sich auf den Tempel beriefen, in ihm wirkten rmd von ihm ihren Lebensunterhalt bezogen, ohne die Gesinnung der echten und inneren Hingabe zu besitzen. Die Berufung auf den Rebellen Jesus müßte hier für alle, die Holl zur Gesinnungsgenossenschaft aufgerufen hat, unmißverständliche Wegweisung sein.

JESUS IN SCHLECHTER GESELLSCHAFT. Von Adolf Holl, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1971, 212 Seiten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung